Bundesrechnungshof zieht vernichtendes Zwischenfazit zur Energiepolitik – Habeck trotzt Kritik
Robert Habeck (Grüne), Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz, hat sich gegen die massive Kritik des Bundesrechnungshofs (BRH) an seiner Energiepolitik gewehrt. Nach Informationen des „Focus“ verwies Habeck während seines Besuchs in Washington gegenüber Reportern auf die Versäumnisse seiner Vorgängerregierungen in den vergangenen Jahrzehnten.
Unter seiner Regie habe „der Ausbau der erneuerbaren Energien [dagegen] mächtig Fahrt aufgenommen“, es gebe heute schneller Genehmigungen für den Netzausbau, und die Energiepreise würden bereits zurückgehen. Zudem lägen die Produktionskosten in Deutschland „auf Vorkriegsniveau“, wie die „Bild“ den Energieminister zitiert.
Ich sage nicht, dass wir durch sind. Aber zu sagen, die Bundesregierung tut nicht genug, die Energiepreise runterzubringen, die Energiesicherung umzusetzen, den CO₂-Ausstoß zu reduzieren, ist eine erstaunliche Wahrnehmung, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.“ (Robert Habeck)
Laut „Bild“ räumte Habeck zwar ein, dass „das Problem“ darin bestehe, die Kosten für den Ausbau der Leitungsinfrastruktur auf den Strompreis umzulegen. Doch für diese Erkenntnis habe er „nicht den Bericht des Bundesrechnungshofes gebraucht“.
Sein Ministerium habe auf eine Anfrage des BRH vor Erscheinen des Sonderberichts dessen Standpunkt geteilt, dass es noch an der „Ausbaudynamik“ mangele, so der „Focus“. Das aber liege daran, dass „Maßnahmenpakete“ aus dem ersten vollen Ampelregierungsjahr 2022 „zeitversetzt“ wirken würden. Sowohl die Genehmigungsverfahren als auch die Installation von Onshore-Windkraftanlagen hätten „aber bereits deutlich zugenommen“, so Habeck.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) stimmte Habecks Darstellung laut „Welt“ zu: Es seien Fortschritte bei den Bedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien erkennbar, und auch der Netzausbau schreite voran. Eine „‚Versorgungslücke‘ im Stromsystem“ sei nicht erkennbar, habe die BDEW-Hauptgeschäftsführerin und ehemalige Grünen-Politikerin Kerstin Andreae erklärt. Lediglich der „Zubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke“ könne mehr Geschwindigkeit vertragen. Insgesamt aber schieße der BRH „mit seiner Generalkritik über das Ziel hinaus“.
Bundesrechnungshof befürchtet Akzeptanzverlust
Am Donnerstag, 7. März 2024, war gemäß Paragraf 99 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) ein Sonderbericht der obersten Bundesbehörde BRH veröffentlicht worden, in dem die Verfasser zu einem geradezu vernichtenden Urteil über die „Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Stromversorgung“ gekommen waren (PDF-Datei).
Demnach sei die Energiewende „nicht auf Kurs“, sondern hinke insbesondere „ihren Zielen beim Ausbau erneuerbarer Energien sowie hinreichend gesicherter, steuerbarer Kraftwerksleistung hinterher“. Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) wurde BRH-Präsident Kay Scheller bei der Präsentation des Berichts am 7. März deutlich:
Die bisherigen Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende sind ungenügend und bergen daher gravierende Risiken für die energiepolitischen Ziele.“
Wohlstandsverlustrisiko verschärft
„Langfristig“ könne „nicht gewährleistet werden“, dass die Stromversorgung sicher sei: „Die Risiken für die Energiewende und damit für unseren Wohlstand“ seien „groß“ und hätten sich „seit der letzten Prüfung des Bundesrechnungshofes im Jahr 2021 verschärft“, so der Bericht.
Immerhin hätten die deutschen Privathaushalte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 durchschnittlich 41,25 Cent für die Kilowattstunde Strom bezahlt – 42,7 Prozent mehr als im EU-Schnitt. Die Aussicht auf erneut steigende Preise scheint die Analysten besonders zu beunruhigen:
Die Kosten des Stromsystems werden erheblich steigen. Die steigenden Kosten trägt der Endverbraucher über die Strompreise oder – bei Übernahme von Kosten aus Haushaltsmitteln – als Steuerzahler. Die aktuelle und voraussichtliche Entwicklung der Strompreise birgt ein erhebliches Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung.“
Infrastrukturziele deutlich verpasst
Trotz des schon jetzt hohen Preisniveaus seien bis jetzt nicht einmal alle Etappenziele erreicht worden. Das bedeute noch weniger Planungssicherheit.
So habe die Bundesnetzagentur 2023 nicht einmal die Hälfte des ursprünglich geplanten Ausschreibungsvolumens für Landwindanlagen unter Dach und Fach gebracht. Statt Anlagen mit einer Gesamtleistung von 12,84 GW auf den Weg zu bringen, seien nur Aufträge in Höhe von 6,38 GW zustande gekommen. „Das nicht vergebene Ausschreibungsvolumen von 6,46 GW entspricht der Leistung von vier bis sechs Braunkohle- oder Kernkraftwerken“, heißt es im BRH-Bericht. Ein Volumen von 16,46 GW allein 2024 aufzuholen, sei „unrealistisch“.
Auch der Ausbau der Ökostromnetze liege „erheblich hinter der Planung zurück“ – nämlich genau „sieben Jahre oder 6.000 Kilometer“, wie der BRH laut FAZ bezifferte. Nach Berechnungen des BRH würden für den Netzausbau in den Jahren bis 2045 über 460 Milliarden Euro benötigt. Doch Habecks Ministerium berücksichtige „diese Systemkosten bisher nicht bei seiner Darstellung der Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien.“ Damit kein „falsches Bild der tatsächlichen Kosten der Transformation“ entstehe, dürfe der Umstieg auch nicht mit staatlichen Zuschüssen erfolgen, so der BRH.
Der BRH gab zu bedenken, dass der Umstieg auf „erneuerbare“ Stromquellen anstelle fossiler Energieträger zugleich einen Strommehrbedarf bei der Industrie, beim Heizen und bei der Mobilität bedeute. Er rechne mit einer Nachfrage von 750 Terawattstunden im Jahr 2030 – ein Drittel mehr als noch 2021.
Zu wenige Kraftwerke fertig
Die jüngst vorgestellte „Kraftwerksstrategie 2026“ wird nach Ansicht des BRH ebenfalls nicht ausreichen, um genügend steuerbare „Backup-Kapazitäten“ aufzubauen: Die Zielmarke von wasserstofffähigen Gaskraftwerken mit einer Gesamtleistung von 10 GW werde nicht genügen.
Bislang gebe es in Deutschland lediglich Reservekraftwerke mit einer Kapazität von 1,1 GW, so der BRH laut „Welt“, obwohl das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) 2,6 Gigawatt vorschreibe. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) habe trotzdem darauf verzichtet, eine „Nachbeschaffung“ für den „Sicherheitspuffer“ von den Übertragungsnetzbetreibern einzufordern.
Zudem, so der BRH, fehle es an einer umfassenden Datenbasis, mit der man die Effekte der Energiewende „auf Landschaft, Natur und Umwelt“ überhaupt bewerten könne.
Kritik an Bundesnetzagentur
Als „wirklichkeitsfremd“ bezeichnete der BRH laut „Welt“ außerdem den jüngsten „Monitoringbericht“ der Bundesnetzagentur (PDF-Datei), der den Stand der Energieversorgungssicherheit überwachen soll. Nach BRH-Einschätzung beruhten dessen Prognosen für die Jahre 2025 bis 2031 lediglich auf „Best-Case-Szenarien“, obwohl es primär auf die „Worst-Case-Szenarien“ ankomme. Das verantwortliche BMWK habe es dennoch „hingenommen, dass Gefahren für die Versorgungssicherheit nicht rechtzeitig sichtbar und Handlungsbedarfe zu spät erkannt“ würden.
Nach Informationen der „Welt“ wies die Bundesnetzagentur den Hinweis auf die „Best-Case-Szenarien“ bereits zurück: Ihr Monitoring berücksichtige sehr wohl „Extremsituationen“, bei denen es mehrere Herausforderungen zu gleicher Zeit geben könnte. Außerdem beruhe die eigene Analyse auf „über 27 Millionen Einzelsituationen im europäischen Strommarkt“. Der BRH aber habe das nicht gelten lassen: Es fehlten die vom Energiewirtschaftsgesetz vorgeschriebenen „angemessenen zentralen Referenzszenarien“.
Dringende Hausaufgaben für Habeck
Zusammenfassend verlangte der BRH eine „umgehende“ Reaktion der Bundesregierung:
Sie muss wirksam private Investitionen in erneuerbare Energien, Kraftwerksleistung zu deren Absicherung sowie die Stromnetze sicherstellen. Die Kosten der Energiewende muss sie klar benennen. Zudem muss die Bundesregierung endlich ein Ziel- und Monitoringsystem einführen, um die Umweltwirkungen der Energiewende systematisch zu bewerten.“
Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft war jüngst ebenfalls zu dem Schluss gekommen, dass die Energiewende in Deutschland nicht schnell und unkompliziert genug vorankommt. Der Netzbetreiber TransnetBW sieht vor allem die Gefahr mangelnder Netzstabilität.
Nach Informationen des „Münchner Merkur“ hatte der EU-Rechnungshof bereits im Juni 2023 mangelndes Engagement der Bundesrepublik im Kampf „gegen den Klimawandel“ beklagt. Es sei fraglich, ob das EU-weit gemeinsam erklärte Ziel erreicht werden könne, die „Treibhausgasemissionen“ bis zum Jahr 2030 auf nur noch 45 Prozent des Wertes von 1990 zu senken. „Besorgniserregend“ sei vor allem ein Blick auf die Finanzierungssituation. Auch an Transparenz mangele es, hieß es vonseiten des Rechnungshofs.
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