Pfarrer verliert Vorsitz nach coronakritischer Andacht
Im Dezember schlug eine Andacht des Vorsitzenden des Thüringer Pfarrvereins, Martin Michaelis, in der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland große Wellen. Offen kritisierte er die Corona-Maßnahmen und die Corona-Impfung. Dabei appellierte er aus dem christlichen Glaubensverständnis an die Eigenverantwortung der Anwesenden und legte ihnen ans Herz, nach ihrem eigenen Gewissen zu handeln. Von den christlichen Geboten ausgehend, zeigte er die aus seiner Sicht bestehenden Verfehlungen der Politik auf und bat die Teilnehmenden mit ihrem „aufgefrischten Gewissen“ zu prüfen, „ob ihr ohne Sünde den Gesetzen folgen könnt, die in den letzten Monaten oder auch Tagen aus Berlin, Erfurt, Magdeburg und München kommen.“ Einigen Kirchenvertretern, insbesondere Kollegen, ging das zu weit. Diese versuchen nun, Michaelis seiner Ämter zu entheben. Am 2. März wurde ihm deshalb der Vorsitz der Pfarrergesamtvertretung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) entzogen.
Herr Michaelis, bitte schildern Sie uns kurz, wie es zu der Andacht in Sonneberg am 5. Dezember 2021 kam, die im Nachhinein so große Wellen schlug.
Es gab eine Initiative von 50 Ärzten und Heilberuflern. Diese hatten einige Wochen vor der Andacht einen Brief verfasst, in dem sie u.a. auf die Corona-Impfschäden und die gesellschaftliche Spaltung aufmerksam machten. Sie baten darum, dass sich die Gesellschaft damit auseinandersetzt, um Schlimmeres zu verhindern.
Einer dieser Freiberufler, ein Augenarzt, hatte dann eine „Lichterkette“ mit Andacht für den 5. Dezember an der Grenzkapelle in Sonneberg (Thüringen) angemeldet. Sein Ziel war es, in Erinnerung an die Grenzöffnung vor 30 Jahren die Menschen in kritischer Sicht auf die Corona-Maßnahmen dort zu versammeln. Es ging ihm nicht um eine große Demonstration oder große Reden politischer Art. Es sollte ausdrücklich nur einen Redebeitrag in Form einer Andacht geben.
Er hat dann zuerst den Superintendenten des Kirchenkreises Sonneberg, Thomas Rau, angefragt. Dieser hat aber für sich und den Kirchenkreis eine Teilnahme ausgeschlossen. Danach hat man mich gefragt. Da ich 18 Jahre lang Gemeindepfarrer in Steinach, einer Nachbargemeinde von Sonneberg war, sah ich keinen Grund, warum ich das nicht machen sollte.
Was für Reaktionen gab es nach der Andacht?
Zuvor ist vielleicht wichtig zu sagen, dass alles, was dort stattfand, mit den örtlichen Behörden abgesprochen war. Alles geschah ganz einvernehmlich. Das Ordnungsamt war einbezogen, auch die örtliche Polizei. Damals gab es die coronabedingte Auflage, dass Standkundgebungen auf 35 Teilnehmer beschränkt sind. Da die Teilnehmerzahl unerwartet hoch ausfiel, haben wir die Andacht dreimal wiederholt und drei kleine Gruppen gebildet, um die Teilnehmerzahl aufgrund der Corona-Auflagen kleinzuhalten. Das war alles mit der Polizei abgesprochen.
Die Polizei hat sich dann zurückgezogen und lediglich den Verkehr abgesichert. Allerdings sind diese einzelnen Gruppen, als sie vom Sammelpunkt zur Grenzkapelle loszogen, immer mehr angewachsen, da sich unterwegs Menschen anschlossen.
Während die Lokalpresse überwiegend korrekt berichtete, hieß es noch an demselben Abend im „MDR Thüringen Journal“: „Michaelis hätte auf einer ungenehmigten Demonstration gesprochen“. Das ist schlicht und einfach nicht die Wahrheit. Später hieß es dann in einem Folgebericht des MDR, es wäre nur eine Kundgebung für 35 Teilnehmer angemeldet gewesen, weshalb sie als ungenehmigt anzusehen sei. Das stimmt so auch nicht. Das war in meinen Augen nur eine Ausrede, um aus der Falschaussage mit der nicht angezeigten Andacht rauszukommen.
Im späteren MDR-Bericht stand nichts von einer Staffelung, sondern dass sich rund 1.000 Menschen versammelt hätten, obwohl nur 35 zulässig waren. Das war wie gesagt in meinen Augen nur eine Ausrede. Die Polizei war die ganze Zeit dabei und hat alles abgesichert. Als die Gruppen dann größer waren als geplant, hat die Polizei gesagt, wenn die Abstände eingehalten werden und alles in Ordnung ist, dann werden sie nicht eingreifen und sich zurückhalten. Sie haben uns hinterher auch bestätigt, dass alles ordentlich abgelaufen ist. Keiner hat damit gerechnet, dass es so viele Teilnehmer werden. Laut Polizei waren in den ersten beiden Gruppen jeweils rund 400 Teilnehmer und in der dritten rund 300.
Allerdings wurde ich jedes Mal mit einer anderen Funktion vorgestellt. Das wird mir jetzt vorgeworfen. Also, dass ich in diesen Funktionen dort gesprochen hätte. Das stimmt definitiv nicht. Es wurde lediglich gesagt, welche Ämter ich in der evangelischen Kirche ausübe. Das war völlig korrekt und ich sah keinen Grund, es zu beanstanden. Ich habe dann ausdrücklich betont, dass ich dort als Pfarrer spreche, also nicht in den anderen Funktionen, schon gar nicht für andere oder Gremien.
Nachdem die letzte Andacht ungefähr 18:45 Uhr endete und der erste Bericht des MDR über die Andacht im „MDR Thüringen Journal“ circa um 19:10 Uhr gesendet wurde, gab es im MDR um 19:30 Uhr im Rahmen der Nachrichtensendung „MDR aktuell“ bereits einen Auftritt des thüringischen Innenministers Georg Maier. Dort äußerte er, dass solche coronakritischen Demonstrationen sich nicht wiederholen dürften und dass sie nicht gleich überall mit Gummiknüppeln reingehen könnten, weil ja da manchmal auch Frauen und Kinder dabei wären.
Diese Aussage fand ich interessant: Also Männer darf man offensichtlich verprügeln, wenn sie sich irgendwo treffen? Dabei wurde Sonneberg nicht direkt erwähnt. Es fanden wahrscheinlich an diesem Tag noch andere Zusammenkünfte an anderen Orten in Thüringen statt. Aber für mich war es ziemlich deutlich, dass auch die Andacht in Sonneberg gemeint ist. Denn an diesem Abend war sie die größte Versammlung in ganz Thüringen. Die Nachrichtensendung hat mir deutlich gemacht, welche Wirkung diese kleine Predigt hatte. Ich hätte nie damit gerechnet.
Haben Sie eine Ahnung, warum ihre Predigt so große Wellen schlug?
Im Nachhinein denke ich, dass es an der Aufforderung lag, sich selber Gedanken zu machen und vor allem, dass die Menschen ihrem Gewissen folgen und sich nicht von jemand anderem vorschreiben lassen sollen, was richtig und was falsch ist. Das scheint eine sehr gefährliche Ansicht zu sein. Jeder muss selber vor Gott treten und sich dafür verantworten, was er gemacht hat. Und das Zweite, was mir wichtig gewesen ist, ist, dass man das ordentlich und verständlich begründet. Und deshalb habe ich auf diese drei Gebote und insbesondere auf Luthers Erklärung verwiesen.
Ich fand auch interessant, dass es nach jedem Verlesen eines Gebotes und der Erklärung Luthers dazu Beifall gegeben hat. Die Leute haben, ohne dass ich viel dazu sagen musste, schon selber verstanden, welche Auswirkungen das auf unsere Gesellschaft haben würde, wenn wir die Zehn Gebote nicht ernst nehmen.
Und ich habe dann eben noch die Confessio Augustana zitiert, diesen Artikel 16, in dem steht, dass wir der Obrigkeit gehorchen sollen, solange das ohne Sünde geschehen kann. Und wenn das ohne Sünde nicht geschehen kann, dann sollen wir Gott mehr gehorchen als den Menschen. Ja, das haben die Menschen sehr deutlich als Ermutigung empfunden und mit lauten Amen- und Hallelujarufen beantwortet.
Ich bin im Nachhinein durchaus erstaunt, dass das Zitieren der schlichten Bekenntnisgrundlagen der evangelisch-lutherischen Kirche so einen Wirbel macht, ja sich zur persönlichen Gefahr auswächst.
Wie reagierten die Teilnehmer und Kollegen?
Es war wirklich ganz ruhig und ganz friedlich. Jede Andacht hat ungefähr eine Viertelstunde bis 20 Minuten gedauert, mit zwei Liedern und einem Gebet, dem Vaterunser und dem Segen. Wir, meine Frau und ich, beobachteten, dass die Leute sehr gerührt waren. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe berichteten auch, dass Teilnehmer der ersten Gruppe ihnen mit Tränen in den Augen entgegenkamen. Sie wären überwältigt gewesen, weil ihnen endlich mal jemand Mut gemacht hätte und sie aufforderte, die Eigenverantwortung wieder wahrzunehmen. Und dies sei vom Glauben her auch begründet worden. Ich habe selten gehört, wie eine große Gemeinde so laut und vernehmlich das Vaterunser mitgebetet hat.
Und dann gab es ja noch die Reaktionen seitens meiner Kollegen. Einige von ihnen warfen mir vor, ich hätte sie dort irgendwie in ein schlechtes Licht gerückt. Das stimmt schlicht überhaupt nicht. Ich habe mich über niemanden dort geäußert. Einen Tag nach der Andacht in Sonneberg hat der Superintendent des dortigen Kirchenkreises, Thomas Rau, in einem Interview erklärt, dass diese Andacht für mich dienstrechtliche Konsequenzen haben könnte. Das ist völliger Unsinn, denn er ist für mich nicht die dienstaufsichtsführende Person.
Auch die Landeskirche hat sich dann gegenüber der Presse geäußert. Es hieß, dass ich scharf kritisiert worden sei. Aber warum und wofür – das hat man mir nicht gesagt, das ist mir bis heute nicht richtig verständlich. Mir wurde vorgeworfen, dass ich das überhaupt gemacht habe und mit was für Leuten ich mich da eingelassen hätte. Alles so völlig ungenaues Zeug, was aus meiner Sicht eher Diffamierung ist als Kritik. Mit dem konkreten Inhalt meiner Andacht haben sich wenige Leute wirklich auseinandergesetzt.
Superintendent Rau erklärte auch gegenüber dem MDR: „Martin Michaelis und die Organisatoren hätten durch die vielen Teilnehmer Menschen unnötig und fahrlässig in Lebensgefahr gebracht“. Was sagen sie zu diesem Vorwurf?
Wenn das eine reale Gefahr gewesen wäre, dann hätte man es hinterher merken müssen. Es ist ja niemand krank geworden. Es ist einfach Unsinn. Und außerdem, wenn die Menschen sich an der frischen Luft aufhalten und der Wind ein bisschen geht und einige stehen etwas enger zusammen, da sie zu einer Familie gehören. Was soll da passieren? Die Polizei hat uns jedenfalls bestätigt, dass alles in Ordnung war.
Neben diesem Vorwurf gab es noch einen anderen. Es wurde geäußert, ich hätte eine Andacht in einem Gemeindegebiet gehalten, was ich nicht hätte tun dürfen oder ich hätte damit eine Amtshandlung vorgenommen, die man nur in seiner eigenen Gemeinde durchführen dürfe. Aber das ist alles unsinnig. Ich habe ja niemanden beerdigt. Die Grenzkapelle gehört der Stadt Sonneberg, die hat nicht nur die Genehmigung gegeben, dass wir das dort machen dürfen. Sie hat auch den Schlüssel übergeben, damit wir da rein konnten, um zum Gebet die Glocken zu läuten. Da greift natürlich gar kein Recht, womit man mir das verbieten könnte.
Dies wurde auch im Gespräch mit dem Personaldezernenten in Erfurt deutlich. In einer schriftlichen Äußerung gegenüber einem Vereinsmitglied erklärt dieser, dass der Inhalt der Predigt durch das Recht auf freie Wortverkündigung und das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Er hat keinen Anlass gesehen, jetzt irgendetwas zu tun. Deshalb ist seitens der Kirchenleitung auch überhaupt nichts passiert.
Interessanterweise hat sich der stellvertretende Landrat, der damals die Amtsgeschäfte in Sonneberg führte und ebenfalls von der Presse interviewt wurde, hinter die Lichterkette und die Andacht gestellt. Dort äußerte er, dass er „die Schnauze von Corona voll hat“ und zeigte mit seiner Wortwahl Verständnis dafür, dass man auch mal klare Worte finden dürfe, so wie ich sie gefunden hatte.
In mehreren Gremien versucht man nun anscheinend Corona als Druckmittel zu nutzen, um personelle Veränderung herbeizuführen, von denen man vielleicht schon vorher träumte. So versucht man mir mit Verweis auf die Andacht in Sonneberg das Vertrauen zu entziehen und mich aus verschiedenen Ämtern zu drängen, obwohl die Kirchenleitung keinen Handlungsbedarf sah und die Pfarrvertretung hinter mir steht.
Würden Sie rückblickend etwas anders machen oder bereuen Sie, diese Andacht gehalten zu haben?
Nein, gar nicht. Ich würde zwar peinlichst darauf achten, dass ganz klar ist, dass ich nicht in irgendwelcher Funktion rede oder für irgendwelche Gremien. Aber ich würde mir ganz bestimmt nicht das Wort verbieten lassen. Im Gegenteil. In einem Bericht hieß es kürzlich, dass die Krankenkassen über ihre Abrechnungen gemerkt haben, dass aufgrund der Corona-Impfungen weit mehr gesundheitliche Schäden bei den Menschen aufgetreten seien, als das Paul-Ehrlich-Institut veröffentlicht hat. Das hat mich bestärkt. In diesem Bericht fiel auch die Aussage, dass es ethisch falsch wäre, darüber zu schweigen.
Ich denke, dass ich vom geistlichen Hintergrund her genau darüber bei der Andacht in Sonneberg gesprochen habe. Daher würde ich auch diesen Satz für mich in Anspruch nehmen: Es wäre ethisch und auch vom Glauben her falsch gewesen, dort nicht zu sprechen, feige obendrein. Zudem hatte ich eine ganz wichtige Erkenntnis: Mir wurde klar, dass die Menschen wirklich nach einer geistlichen Orientierung, nach Gottes Wort suchen. Viele haben mir hinterher gesagt, dass die Kirche hier eine Verantwortung habe, die sie aber nicht hinreichend wahrnehme.
Ich selber bin überrascht, wie massiv ich mit dem Verlust von Ämtern bedroht werde, schlicht dafür, dass ich in einer Predigt meiner Verpflichtung, Gottes Wort zu verkündigen und konsequent lutherisch auszulegen, nachgekommen bin. Kürzlich fanden extra deshalb zwei Sondersitzungen der Pfarrergesamtvertretung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands statt. Am Mittwoch (2.3.) wurde mir die Briefwahlentscheidung des Gremiums mitgeteilt: Mir wurde das Vertrauen und damit der Vorsitz entzogen. Das finde ich äußerst befremdlich. Es sagt viel über den inneren Zustand der Gesellschaft, über Teile der Pfarrkollegenschaft und die Kirche aus. Sie läuft Gefahr zum Salz zu werden, das nicht mehr salzt. Ich fürchte mit den Konsequenzen, die Jesus in der Bergpredigt nannte.
Weiter kommentieren kann man das nur noch mit dem alten DDR-Witz: Was ist der Unterschied zwischen dem Sozialismus und einer Champignonzucht? Keiner. Es ist alles ein Haufen Mist und wenn sich mal ein helles Köpfchen zeigt, wirds abgeschnitten.
Herr Michaelis, herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview führte Erik Rusch.
Pfarrer Martin Michaelis ist Vorsitzender des Thüringer Pfarrvereins e.V., Vorsitzender der Pfarrvertretung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ex-Vorsitzender der Pfarrergesamtvertretung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Mitglied der Dienstrechtlichen Kommission der Evangelischen Kirche in Deutschland, Mitglied des Vorstands des Verbandes Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V.
Er wurde in Jena geboren und ist 61 Jahre alt. Er war zuerst Physiklaborant (Tieftemperaturphysik) an der Physikalischen Fakultät Jena und studierte anschließend evangelisch-lutherische Theologie. Als Gemeindepfarrer war er in Altenburg und Steinach (Thüringen) tätig. Gegenwärtig ist er für die Aufgaben der Pfarrvertretung (Personalvertretung) vom Gemeindepfarrdienst freigestellt. Er lebt und arbeitet in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Wochenzeitung Ausgabe 34 vom 5. März.
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