Berufung nicht mehr möglich: Wann kommen die „BMWK-Files“ zum Atomausstieg?
Nach dem journalistischen Knüller um die „RKI-Files“ steht offenbar die nächste, womöglich höchst brisante Enthüllung bevor: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) muss dem Magazin „Cicero“ jene Dokumente zur Verfügung stellen, die den Entscheidungsprozess zum Atomkraftausstieg in Deutschland nach Beginn des Ukraine-Kriegs womöglich detailliert erläutern.
Die Kernfrage: Warum hielt das Ministerium von Robert Habeck (Grüne) und mit ihm die gesamte Bundesregierung letztlich doch am bundesweiten Atomausstieg zum 16. April 2023 fest, obwohl der Kriegsbeginn in der Ukraine die Energieversorgungssicherheit Deutschlands seit dem 24. Februar 2022 vor neue Herausforderungen gestellt hatte?
AKW-Aus trotz dringendem Bedarf und CO₂-Einsparungen
Spätestens mit der teilweisen Zerstörung der Nord-Stream-Gaspipelines Ende September 2022 lag auf der Hand, dass Deutschland dringend eine verlässliche Energieproduktion benötigen würde, um Wirtschaft und Privathaushalte weiter mit bezahlbarem Strom versorgen zu können. Die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke abzuschalten, erschien vor diesem Hintergrund kontraproduktiv. Habeck ließ sie Mitte April 2023 trotzdem vom Netz nehmen.
Bereits Ende September 2023 war bekannt geworden, dass das BMWK intern die Vorteile der Kernkraft für deutlich größer erachtet hatte, als BMWK-Chef Habeck es öffentlich verlautbart hatte.
Das BMWK hatte in Diskussionspapieren nach Angaben der „Bild“ bestimmte Textpassagen gestrichen, die die Kernkraftwerke und deren Weiterbetrieb wegen der CO₂-Einsparungen in ein positiveres Licht gerückt hätten. Auf wessen Anweisung bleibt vorerst unklar. Auch damals hatte die Beharrlichkeit des „Cicero“ gegenüber dem BMWK den Sachverhalt öffentlich gemacht.
Berufungsfrist für Ministerium abgelaufen
Wie der „Focus“ berichtet, hatte das Verwaltungsgericht Berlin bereits am 14. Februar 2024 im Rechtsstreit um die Herausgabe der BMWK-Unterlagen dem „Cicero“ recht gegeben: Das Ministerium müsse sämtliche angeforderten Papiere offenlegen und dürfe laut Urteil (Aktenzeichen: 2 K 51/23) lediglich „Namen, Titel, akademische Grade, Berufs- und Funktionsbezeichnungen, Anschriften und Telekommunikationsnummern“ unkenntlich machen.
Die gesetzliche Frist, in der das Ministerium Berufung gegen diese Entscheidung hätte einlegen können, sei vier Wochen später – also Mitte März – ungenutzt abgelaufen, bestätigt der „Focus“. Heute, gut drei Wochen später, liegt aber immer noch nichts vor. Auch die Epoch Times bat das Ministerium am Morgen des 9. April 2024 um Einsicht in die Unterlagen. Eine Antwort steht noch aus.
Rechtsstreit seit Sommer 2022
Das Magazin „Cicero“ hatte nach eigenen Angaben bereits im Juli 2022 über seinen Wirtschaftsredakteur Daniel Gräber Akteneinsicht beim BMWK beantragen lassen. Dabei habe sich Gräber auf Paragraf 3, Absatz 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) berufen. Demnach besitzt jede Person das Recht auf freien Zugang zu Umweltinformationen. Gräber geht es insbesondere um jene BMWK-Dokumente, die sich seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine mit den Themen „Laufzeitverlängerung“ beziehungsweise „Wiederinbetriebnahme“ der deutschen Kernkraftwerke befassten.
Das BMWK habe allerdings seit der allerersten „Cicero“-Anfrage versucht, große Teile genau jener Unterlagen geheim zu halten. Speziell jene E-Mails oder Passagen, aus denen der Standpunkt des mittlerweile entlassenen Energie-Staatssekretärs Patrick Graichen hervorgehen könnte, habe das Ministerium als geheimhaltungswürdig dargestellt, betonte der „Cicero“ bereits im Januar 2024.
Doch das habe Verwaltungsrichter James Bews nach zwei mündlichen Verhandlungen nicht gelten lassen: „Der Kläger hat Anspruch auf Zugang zu den nicht offengelegten Unterlagen“ gemäß Paragraf 113, Absatz 5, Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), zitiert der „Cicero“ das Urteil vom 14. Februar 2024. Anders als vom BMWK zunächst argumentativ ins Feld geführt, seien „nachteilige Auswirkungen für andere gegenwärtige oder zukünftige Beratungen […] nicht dargelegt“ worden. Zudem bezögen sich die angeforderten Unterlagen „auf einen abgeschlossenen Beratungsprozess“, so das VG-Urteil.
Das BMWK hatte laut „Cicero“ vor Gericht dagegen argumentiert, „dass dieses Thema noch lange nicht erledigt sei“: Die Bundesregierung müsse sich ja im In- und Ausland, insbesondere gegenüber der EU, noch immer für das AKW-Aus „rechtfertigen“.
Dieser Sichtweise aber habe Bundeswirtschaftsminister Habeck sogar persönlich widersprochen, gibt der „Cicero“ zu bedenken: Er habe schließlich immer wieder selbst gesagt, dass das Aus für die Atomkraft in Deutschland „abschließend“ und „endgültig“ besiegelt sei. Belege dafür finden sich zum Beispiel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 9. Juni 2022 oder in der „Zeit“ vom 18. November 2022. Auch Bundeskanzler Scholz hatte „das Thema Kernkraft“ noch im Herbst 2023 als „totes Pferd“ bezeichnet.
Der „Cicero“ hält die vom BMWK vor Gericht vorgebrachte Volte, nach der das Thema immer noch aktuell sei und die Öffentlichkeit deshalb nichts über die Entscheidungsprozesse im Hintergrund erfahren dürfe, für „politisch höchst merkwürdig“, wenn auch für „juristisch vielleicht noch vertretbar“. Der beim Verwaltungsgericht Berlin zuständige Richter James Bews habe den Sachverhalt allerdings weniger wohlwollend eingeschätzt. Zitat:
Das von der Beklagten [dem BMWK] in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Erfordernis, die von der Bundesregierung gefasste Entscheidung sowohl gesellschaftlich als auch gegenüber den internationalen und europäischen Partnern zu verteidigen, belegt den Abschluss ihres Entscheidungsprozesses, nicht aber das Vorliegen eines weiteren Beratungsprozesses.“
Atomkraft in der Ukraine – für Habeck kein Problem
Der insbesondere von den Grünen seit Jahrzehnten geforderte Atomausstieg war stets mit der Gefahr einer Havarie und der Nichtexistenz eines Endlagers für radioaktive Abfälle untermauert worden, obwohl Deutschland im internationalen Vergleich unbestritten über die sichersten Anlagen verfügte.
Als der finale Abschalttermin der letzten drei verbliebenen Anlagen Anfang April 2023 näher rückte, hatte Wirtschaftsminister Habeck anlässlich eines Besuchs in der Ukraine allerdings nichts gegen einen Weiterbetrieb der dortigen Atommeiler einzuwenden: „Die Ukraine wird an der Atomkraft festhalten. Das ist völlig klar – und das ist auch in Ordnung, solange die Dinger sicher laufen. Sie sind ja gebaut“, hieß es auf einmal aus Habecks Mund. Auch die finanzielle Belastung der deutschen Steuerzahler für den Bau von Kernkraftwerken im benachbarten EU-Ausland findet die Bundesregierung offenbar in Ordnung.
Deutschland international auf Geisterfahrt
Der Bundestag hatte am 30. Juni 2011 unter dem Eindruck des tsunamibedingten Atomunglücks im japanischen Fukushima vom März desselben Jahres den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Treibende Kraft war damals Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Bis Ende 2022 sollte nach ihrem Willen kein einziger Meiler mehr auf deutschem Boden betrieben werden.
Schrittweise wurden also die 17 noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke vom Netz genommen. Am 1. Januar 2022 lieferten nach der Abschaltung von Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf nur noch drei AKW Strom: Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland. Diese sollten plangemäß ursprünglich zum 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Bundeskanzler Scholz gewährte ihnen Ende Oktober 2022 im Rahmen seiner „Richtlinienkompetenz“ allerdings weitere dreieinhalb Monate Gnadenfrist: Nach „befristetem Streckbetrieb“ wurden sie erst am 15. April 2023 abgeschaltet.
Seitdem bezieht Deutschland Atomstrom von seinen Nachbarländern. Die Europäische Union hatte sich im Februar 2024 darauf geeinigt, auch Atomenergie als „nachhaltig“ zu fördern. Die UN-Klimakonferenz setzt sich ebenfalls für den weltweiten Ausbau der Kernenergie ein.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion