Atomkraft-Ausstieg während Energiekrise: Bundestag macht Weg frei für U-Ausschuss

Die Unionsfraktion hat ihn verlangt, nun ist die Einsetzung offiziell abgesegnet: Der Untersuchungsausschuss zu den Fragen rund um den deutschen Atomausstieg kann mit der Arbeit beginnen. Noch am Abend soll die konstituierende Sitzung stattfinden.
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Das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 stellt am 15. April 2023 endgültig den Betrieb ein. Symbolbild.Foto: Thomas Lohnes/Getty Images
Von 4. Juli 2024

Der Bundestag hat am Donnerstagnachmittag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum deutschen Atomausstieg abgesegnet. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wird die erste Sitzung, die der Öffentlichkeit zugänglich sein wird, am Abend eröffnen. Es wäre der zweite Untersuchungsausschuss in dieser Legislaturperiode. Aktiv ist derzeit nur jener zum Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan.

Ergebnisoffene Entscheidungsfindung bezüglich der AKW?

Die Union hatte den Untersuchungsausschuss Mitte Juni beantragt. Die Fraktion will klären lassen, ob das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium eine ergebnisoffene Entscheidungsfindung zum Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke unterminiert haben.

Diesen Verdacht sieht man in der Union unter anderem durch einen Bericht des „Cicero“ vom 25. April des Jahres begründet. Das Magazin hatte vor Gericht erfolgreich auf die Herausgabe Bezug habender Akten geklagt. Diesen zufolge sollen Mitarbeiter in Steffi Lemkes Umweltministerium und engste Vertraute von Minister Habeck in manipulativer Weise Erkenntnisse über Potenziale des Weiterbetriebs von Kernkraftwerken aufbereitet haben.

Auf diese Weise sollen sie bewusst die Botschaft kommuniziert haben, dass Experten eine Laufzeitverlängerung für unnötig hielten. Außerdem sähen Kraftwerksbetreiber keine Möglichkeit, eine solche umzusetzen. Ursprünglich sollte der deutsche Atomausstieg Ende 2022 stattfinden. Der Ukraine-Krieg hatte jedoch die Energiekrise eskalieren lassen, sodass die Bundesregierung alle Möglichkeiten prüfen ließ, einen Mangel an bezahlbarer Energie im Winter zu verhindern.

Habeck sprach von Prüfung „ohne Tabus“

Minister Habeck betonte stets, auch die Grünen seien über ihren Schatten gesprungen. Man habe unideologisch und ergebnisoffen über die Frage einer möglichen Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke diskutiert. Eine solche Prüfung sei auch bereits im Februar 2022 angekündigt gewesen. Am 1. März kündigte Habeck eine Prüfung „ohne Tabus“ an. In Betrieb waren zum damaligen Zeitpunkt noch die Meiler Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2.

In der Union hat man Zweifel an der „Unvoreingenommenheit“ und „Ergebnisoffenheit“ der Prüfung. Noch im Februar hätten die Expertenstäbe der Ministerien Lemkes und Habecks ihrer Leitung ausschließlich Erkenntnisse vorgelegt, denen zufolge eine Laufzeitveränderung unnötig und von den Kraftwerksbetreibern gar nicht erst gewünscht sei.

Diese wiesen diese Darstellung wiederholt zurück. Allerdings war zum damaligen Zeitpunkt auf Regierungsseite ausschließlich von einer „Kaltreserve“ die Rede. Für diese seien die Anlagen jedoch nicht geeignet – und dies habe man gegenüber dem Ministerium auch kommuniziert. Aus technischen Gründen käme nur ein echter Streckbetrieb in Betracht. In diesem Fall müssten jedoch nach spätestens 100 Tagen neue Brennelemente zur Verfügung stehen.

Grüne Minister mauerten bis zum Sommer bei der Laufzeitverlängerung

Die Grünen hatten sich – inklusive ihrer Minister – in der ersten Hälfte des Jahres 2022 gegen jede Form der Laufzeitveränderung für die Kernkraftwerke gesperrt. Nur die FDP sprach sich innerhalb der Ampel eindeutig für einen solchen Schritt aus, solange dieser erforderlich sei. Erst ein von Habecks Ministerium selbst in Auftrag gegebener Stresstest der vier regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber zur Stromversorgung hat auch ihn zur Kehrtwende veranlasst.

Im Stresstest war von einer „äußerst angespannten“ Versorgungssituation in Europa die Rede. Im eigenen Strommarkt könne, hieß es dort explizit, „die Last nicht vollständig gedeckt werden“. Ein harter Winter 2022/23 hätte ungeahnte Versorgungsengpässe mit sich bringen können, zumal sich auch zahlreiche französische Anlagen im Wartungsmodus befanden.

Habeck hatte im September 2022 nach Rücksprache mit den AKW-Betreibern allerdings nach wie vor lediglich das Konzept einer „Einsatzreserve“ vorgelegt – und das nur für zwei Kraftwerke. Im Oktober 2022 entschied Bundeskanzler Olaf Scholz per Kanzlermachtwort die Koalitionsdebatte. Er ordnete den Weiterbetrieb aller drei AKW bis zum 15. April 2023 an.

Habeck könnte Untersuchungsausschuss zur Anklage gegen Union nutzen

Nun will die Union im Untersuchungsausschuss klären, ob und inwieweit bei der Prüfung auf Ministeriumsebene „fachliche Expertise politischen und parteipolitischen Vorgaben weichen musste“. Habeck und Lemke halten die Vorwürfe schon jetzt für „ausgeräumt“. Es habe, so der Bundeswirtschaftsminister, eine Prüfung „ohne Denkverbote, allerdings natürlich immer auf der Basis von Fakten, von Daten und auch von Rechtsnormen“ gegeben. Beide Minister sollen als Zeugen vor den Ausschuss geladen werden.

Vieles spricht dafür, dass Habeck versuchen wird, den Ausschuss zu seinen Gunsten zu nutzen und seinerseits die Energiepolitik der Union und der von ihr geführten Regierungen an den Pranger zu stellen. Die Kabinette unter Angela Merkel hätten den Ausstieg aus der Kernkraft vorwiegend durch Energielieferungen aus Russland abgesichert und sich so vom Kreml abhängig gemacht. Dies sei ein „historischer Fehler“ gewesen, betonte Habeck.

Bereits im Juni hatte der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), Stefan Wenzel, einen elfseitigen Brief an den Obmann der Union im Energieausschuss, Thomas Gebhart, gerichtet. Darin erklärte Wenzel namens des Habeck-Ministeriums, bereits im Vorfeld der russischen Militäroperation in der Ukraine die Zertifizierung von „Nord Stream 2“ ausgesetzt zu haben.

Damit habe er der „besonderen Verletzbarkeit“ Deutschlands aufgrund der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gegensteuern wollen. Wenzel warf der Union vor, noch im Jahr 2021 Schritte zur Genehmigung und Inbetriebnahme von Nord Stream 2 veranlasst zu haben. Zugleich hätten die deutschen Gasspeicher „ungewöhnlich niedrige Füllstände“ aufgewiesen.



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