UN-Forum über Chinas Erdbeben-Missmanagement
„Die Zufahrtsstraßen zwischen den Katastrophengebieten waren entgegen staatlicher Angaben weitgehend passierbar“.
„Hubschraubereinsätze sind laut Werbung des Militärs bei jedem Wetter möglich, wurden aber hinaus gezögert“.
„Bekanntmachung von Vorhersagen hätte viel Unglück verhindern können, aber sie wurden unterdrückt“.
„Christen der Hauskirchen sammeln Spenden und wandern dafür in Haft. Die Spenden werden konfisziert, die Sammler werden bezichtigt, “illegale Geschäfte“ zu betreiben.“
So hörten es am 11. Juni etwa 700 Festland-Chinesen zu ihrem Erstaunen via Internet, direkt aus einem Forum in der UNO zum Thema „Erdbeben-Management in China“. Zu dem Forum hatte eine Nichtregierungsorganisation (NGO) aus Kalifornien eingeladen, unterstützt von der NGO „Interfaith International“, deren Vorsitzender Charles Graves auch das Forum leitete.
Augenzeugen aus Sichuan
Zwei chinesische Augenzeugen, Hydraulik-Ingenieur Xiao Fan und Umweltaktivist Zuoren Tan, machten die angeführten Aussagen in Telefon-Interviews. Die Gespräche mit dem Amerikaner Shi Zhong Chen bedeuteten für beide eine große persönliche Gefahr. Sie wurden aufgezeichnet und im chinesischen Original mit Übersetzung vor der internationalen Zuhörerschaft wiedergegeben. Die beiden Chinesen aus Sichuan werfen darin ein kritisches Licht auf Chinas angeblich so gutes Erdbeben-Management.
Zuoren Tan sieht die Regierung als Hauptschuldigen für die großen Ausmaße der Erdbebenschäden. Er stellt an das KP-Regime so unangenehme Fragen wie „Wer hat die offizielle Erdbebenvorhersage unterdrückt?“ – „Wenn technische Fehler ausgeschlossen sind, wer sind die Verantwortlichen?“ – „Warum wurden die vielen Anzeichen für ein Erdbeben, die vorlagen, von staatlicher Seite ignoriert?“
Die Bevölkerung konnte, was das Militär nicht konnte
Tan kritisiert, dass am ersten Tag keine offiziellen Hilfskräfte kamen. Aber viele Chinesen aus der Nachbarstadt Mianyang am Nachmittag des Erdbebentages nach Beichuan kamen, um ihren Familien und Freunden zu helfen. Also war der Verkehr möglich. Die Städte liegen weniger als eine Stunde von einander entfernt, der Verkehr war fließend, die Straße wies nur an wenigen Stellen kleinere Schäden auf. Am Tag nach dem Beben sei erst gegen 19 Uhr die Polizei gekommen, habe aber weder Hilfsmittel noch das nötige schwere Einsatzgerät mit sich geführt.
Und erst nach 72 Stunden rückte das Militär an, allein nach Beichuan kamen über 1.000 Militärangehörige. An allen betroffenen Orten durften sich aber nur einige Dutzend militärische Helfer an den Rettungsmaßnahmen beteiligen, jeweils nur für eine Dauer von sieben bis acht Stunden. Über ihre Arbeiten gab es dann viele Berichte in Chinas staatlich kontrollierten Medien. Die Regierung versuchte, mit ihrer Leistung zu glänzen.
Schulen in Trümmern
Fan und Tan haben in den ersten Tagen mehr als zehn zerstörte Schulen in der Erdbebenregion besichtigt. Einige davon wurden in den Jahren 1998-2003 gebaut und sind völlig zerstört. Laut ihren übereinstimmenden Aussagen befinden sich in der nächsten Umgebung dieser zerstörten Schulbauten Privatwohnungen und offizielle Gebäude mit weit geringeren Schäden.
Tan zitierte die Regierung mit: „Es gab keine Fehler bei der Ausführung der Bauten“. Auf seine Frage, „wenn es nicht mindere Ausführung war, woran lag es dann?“, gibt es aber bisher keine Antwort.
Er fragt, warum geht die Regierung gegen Eltern vor, die sich beklagen? „Unsere Kinder starben nicht durch das Erdbeben, sondern durch die mangelhaften Schulbauten“ stand auf einem Banner von Eltern, das über eine breite Straße gespannt war. Tan fordert: „Wenn die chinesische Regierung die Verantwortlichen nicht herausfindet, muss eine unabhängige internationale Untersuchungskommission einberufen werden, die sich auch mit der Frage der Korruption befasst.“
Xiao Fan stellte die Frage, ob ein im Jahre 2004 in Betrieb genommener Staudamm, der an einem bekanntermaßen geologisch instabilen Gebiet gebaut wurde, etwa Auslöser des Erdbebens gewesen sein könnte? Vor 2004 gingen Erdbeben in dieser Region höchstens bis zur Stufe 6,5, dieses Mal aber bis zu 7,9 auf der Erdbebenskala. Die besten Erdbebenvorhersagen kamen laut Fan bisher aus China. Schon beim Erdbeben von Tangshan 1976 konnten Todesopfer vermieden werden. Diesmal wurde das Land aber Opfer seiner eigenen (unterdrückten) Vorhersagen.
Christen fürs Spendensammeln verhaftet
Als weiterer Zeuge saß Jian Zhang, einer der Anführer bei der Studentenrevolte auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989 und Präsident des französischen Zweiges der Allianz für Demokratie in China, persönlich auf dem Podium. Er berichtete über unrechtmäßiges Vorgehen gegenüber Christen in China nach der Katastrophe. Zhang trug unter anderem den Fall der Christin Jiu Xiuxiang und des Priesters Lu Zhaojun vor. Sie hatten umgerechnet rund 40.000 Euro an Spenden für die Erdbebenopfer gesammelt. Das gesamte in bar vorliegende Geld nahm die Polizei bei einer Hausdurchsuchung ohne Quittung mit, die beiden wurden festgenommen. Zwei von bisher sechs bekannt gewordenen Fällen, in denen Christen der Hauskirchen wegen ihres Engagements für Erdbebenopfer selbst zum Opfer wurden.
Der Traum von freierer Berichterstattung von Auslandsmedien in China scheint derzeit ausgeträumt. Vom Podium kam auf eine entsprechende Frage eine frustrierende Antwort. Seit etwa 2-3 Wochen gäbe es neue Regelungen für ausländische Journalisten: Keine Berichte über Vorhersagen, keine Berichte über Fragen bezüglich Schulgebäuden und ihrer Konstruktion, und keine Berichte über Spenden. Mehrere ausländische Reporter wurden bei der Erdbebenberichterstattung vor Ort festgenommen, unter ihnen auch ein Reporter von Associated Press.
Und die Verantwortlichen?
Die Frage nach den Verantwortlichen blieb im Raum. Zhang erinnerte an die Geschichte des Kaisers Cheng Tang, dass schon zu Zeiten der alten Dynastien chinesische Kaiser die Gründe für Naturkatastrophen in ihrem eigenen Handeln zu suchen pflegten und die Götter um Verzeihung baten. Manchem der in China via Internet lauschenden Chinesen mag das durch den Kopf gegangen sein. Viele sprachen es auch aus in der anschließenden Diskussion mit den Forums-Teilnehmern, auch über das Internet.
Zunächst gab es aus China viele Danksagungen für die Initiatoren der Übertragung. Weitere Stimmen aus China:
„Fast alle chinesischen Medien sind von der kommunistischen Partei gekauft.“
„In chinesischen Medien ist es sehr schwierig, die Wahrheit auszusprechen.“
„Bitte macht weiter mit solchen Aktionen.“
„In der Uno muss es wohl viele solcher Gruppen geben?“
„Diese Gelegenheit weiß ich sehr zu schätzen.“
„Für uns in China ist es kaum möglich, am Volkskongress teil zu nehmen. Daher sollten wir die Gelegenheit bei der UNO gut nutzen.“
„Ihr habt für uns Chinesen eine so große Sache veranstaltet, sie reicht bis zum Himmel.“
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