Großbritannien: Braverman geht, Cameron kommt – Sunak will die Tories in der Mitte positionieren

Will Großbritanniens Premier Sunak die schlechten Umfragewerte der Tories durch einen Ruck zur Mitte aufbessern? Mit Suella Braverman entlässt er eine Verfechterin restriktiver Migrationspolitik, stattdessen kehrt Brexit-Gegner Cameron ins Kabinett zurück.
Suella Braverman soll als britische Innenministerin entlassen worden sein.
Suella Braverman wurde am Montag als britische Innenministerin entlassen.Foto: Kirsty Wigglesworth/AP
Von 13. November 2023

Mit der Verkündung einer weitreichenden Parlamentsumbildung hat Premierminister Rishi Sunak am Montag, 13. November, Großbritannien überrascht. Vor allem zwei Personalentscheidungen sorgen für Diskussionen – und werden von Weggefährten und Gegnern Sunaks gleichermaßen als hochriskant bewertet.

So hat der Premierminister nicht nur die an der Parteibasis beliebte Innenministerin Suella Braverman entlassen. Er hat zudem Ex-Premier David Cameron zurück ins Parlament geholt – als Außenminister. Cameron war im Juli 2016 unter dem Eindruck der Brexit-Abstimmung als Regierungschef zurückgetreten.

Tories weiter deutlich hinter den Sozialdemokraten

Spätestens im Januar 2025 steht die nächste Wahl zum britischen Unterhaus an. Seit November 2021 liegt die oppositionelle Labour Party in Umfragen vor den Konservativen – im Oktober 2022 betrug der Unterschied sogar 30 Prozentpunkte. Derzeit rangieren die Sozialdemokraten mit 46 Prozent immer noch deutlich vor den Tories mit 25.

Anfang Oktober hatten die Konservativen mit 28 Prozent ein vorübergehendes Zwischenhoch erreicht. Das war kurz nachdem Premier Rishi Sunak eine Abschwächung der Klimaziele angekündigt hatte, um Energiepreise zu senken.

Terror und Krieg im Nahen Osten wirkten sich jedoch nicht zugunsten der Regierungspartei aus. Vielmehr gingen der Entlassung von Innenministerin Suella Bravermann Kontroversen voraus, die bis an den Kabinettstisch reichten.

Rechtsextreme sollen sich durch Braverman angestachelt gefühlt haben

Diese eskalierten im Umfeld des „Armistice Days“ am 11. November, an dem jährlich des Waffenstillstands zum Ende des Ersten Weltkriegs gedacht wird. Anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten waren auch Massendemonstrationen pro-palästinensischer Gruppen angekündigt. Bereits im Vorfeld gingen Meldungen durch die Medien, wonach deren Angehörige Verkäufer von Mohnblumen-Ansteckern belästigt haben sollen. Diese werden zum 11. November traditionell von vielen Briten und Amerikanern getragen.

Suella Braverman hatte die Demonstranten daraufhin öffentlich als „Hass-Mob“ bezeichnet und das Verbot von Kundgebungen zur „Palästina-Solidarität“ gefordert. Zudem rief sie dazu auf, nationale Wahrzeichen wie den Londoner Kenotaph zu schützen, der zu Ehren der Kriegsveteranen errichtet wurde.

Am Samstag versammelten sich dort einige Dutzend rechtsextreme Aktivisten wie der bekannte islamfeindliche Agitator „Tommy Robinson“ (bürgerlicher Name: Stephen Christopher Yaxley-Lennon). Dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Nicht abgestimmte Kritik an Londoner Polizei als Anlass für Entlassung

Während Kritiker Braverman beschuldigten, mit ihren Äußerungen die Rechtsextremen zu ihrem Auftreten ermutigt zu haben, nahm diese selbst Anstoß am Verhalten der Londoner Polizei. Diese messe mit zweierlei Maß, erklärte die Ministerin.

Während die Beamten mit Härte gegen Teilnehmer der Rechtsaußen-Kundgebungen vorgegangen seien, habe es am Rande pro-palästinensischer Aufmärsche kaum Verhaftungen gegeben. Dabei habe es dort massenhaft Sprechchöre gegeben, die zur Vernichtung Israels aufriefen. Insgesamt nahmen an einer Großkundgebung in London bis zu 300.000 Personen teil.

Dass Braverman die polizeikritische Aussage ohne Rücksprache mit dem Kabinett getroffen hatte, war der unmittelbare Grund für Sunaks Entscheidung, die Ministerin zu entlassen.

Rees-Mogg: Entlassung von Braverman wird es „schwieriger machen, Wahlen zu gewinnen“

In der Konservativen Partei stieß der Schritt auf wenig Verständnis. Die ehemalige Bildungsministerin Andrea Jenkyns schrieb in sozialen Medien, Braverman sei entlassen worden, „weil sie die Wahrheit gesagt hat“. Es sei eine schlechte Entscheidung von Sunak gewesen, „vor den Linken einzuknicken“.

Auch Ex-Wirtschaftsminister Sir Jacob Rees-Mogg sprach von einem „Fehler“ von Sunak. Braverman habe verstanden, „was das Land über die Migration denkt, die Sorgen, die das Land hat, [sie] ist ernsthaft bei der Sache, war entschlossen, es zu beenden“. Es werde nun schwieriger werden für die Tories, Wahlen zu gewinnen. Viele könnten zur Reformpartei von Nigel Farage abwandern.

Nur wenige Konservative zeigten Verständnis für den Schritt. Diese warfen Braverman vor, aus der Regierung heraus die Autorität Sunaks untergraben zu haben. Es wird jetzt damit gerechnet, dass die Parteirechte beginnen könnte, Braverman als potenzielle Sunak-Nachfolgerin an der Parteispitze aufzubauen, sollten die Konservativen die nächsten Wahlen verlieren.

Will Sunak Mehrheit für Tories durch Annäherung an Liberaldemokraten retten?

Sunak rechnet sich offenbar mit einer Strategie der Mitte Chancen aus, den Rückstand auf Labour noch egalisieren zu können. Dafür spricht auch die Nominierung von David Cameron zum Außenminister. Der Ex-Premier, der vergeblich verhindern wollte, den Brexit abzuwenden, soll vor allem Wähler von den Liberaldemokraten zurückholen.

Diese kommen zwar landesweit nur auf eine Handvoll eigener Parlamentssitze. Allerdings könnten die Tories zahlreiche umkämpfte Sitze verlieren, wenn zu viele ihrer Wähler zu den Liberaldemokraten abwandern. Die Reformpartei hält Sunak demgegenüber für eine geringere Gefahr.

In Richtung der Rechten zielen bereits Maßnahmen wie die Abschwächung der Klimaziele. Bravermans Nachfolger wird der bisherige Außenminister James Cleverly. Dieser hatte sich unter anderem gegen die Forderung seiner Vorgängerin gewandt, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszusteigen. Diese hatte Braverman vorgebracht, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) darauf gestützt Abschiebungen von Asylsuchenden nach Ruanda verhindert hatte.

In sozialen Medien wird vor allem die Rückholung Camerons kritisiert – und das auch von Brexit-Skeptikern:



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