Fritz Vahrenholt: Die neueste CO₂-Bilanz

In einem Gastkommentar spricht der ehemalige Hamburger Umweltsenator Prof. Fritz Vahrenholt unter anderem über die deutsche CO₂-Bilanz, unseren Anteil an der Welt-CO₂-Bilanz anhand neuester Zahlen sowie über Folgen und (Un-) Bedeutsamkeit der deutschen Netto-Null-Bemühungen.
Welchen Effekt haben die deutschen Klimaschutzbemühungen auf die CO₂-Bilanz weltweit?
Welchen Effekt haben die deutschen Klimaschutzbemühungen auf die CO₂-Bilanz weltweit?Foto: gan chaonan / iStock
Von 16. Juli 2024

Der ausgeprägte Temperaturanstieg von 2022 bis 2024 kann nicht allein von CO₂ verursacht worden sein, denn die Zunahme der CO₂-Emissionen ist in den letzten Jahren gebremst worden. Sich abschwächende Emissionen gehen einher mit einer Verbesserung der CO₂-Bilanz durch Aufforstung und stagnierender Waldrodung.

Seit 2010 stabilisieren sich die weltweiten CO₂-Emissionen. Aufforstungen verbessern die Bilanz weiter.

Seit 2010 stabilisieren sich die weltweiten CO₂-Emissionen. Aufforstungen verbessern die Bilanz weiter. Foto: ts/Epoch Times nach Friedlingstein et al. (2023), CC-BY 4.0

Die außergewöhnliche Erwärmung der letzten Jahre ist im Wesentlichen auf den El Niño, den Vulkanausbruch des Hunga Tonga 2022 sowie die erhöhte Durchlässigkeit der Wolken für die Solareinstrahlung zurückzuführen. Der Einfluss des El Niños geht zurück, sodass in den nächsten Monaten mit einem starken Rückgang der globalen Mitteltemperatur zu rechnen ist.

Die Temperaturen im Juni 2024 überstiegen das langfristige Mittel um +0,80 Grad Celsius. Das ist deutlicher weniger als in den letzten Monaten. Der langfristige Erwärmungstrend seit Januar 1979 liegt bei +0,15 Grad Celsius pro Jahrzehnt oder 1,5 °C pro Jahrhundert.

Die Temperaturen im Juni 2024 überstiegen das langfristige Mittel um +0,80 Grad Celsius. Das ist deutlicher weniger als in den letzten Monaten. Der langfristige Erwärmungstrend seit Januar 1979 liegt bei +0,15 Grad Celsius pro Jahrzehnt oder 1,5 °C pro Jahrhundert. Foto: Dr. Roy SpencerUniversity of Alabama, Huntsville

Der brandneue Bericht „Statistical Review of World Energy“ des Londoner Energy Institute (LEI) zeigt, dass die Verminderung der CO₂-Emissionen in Deutschland, England, Japan und USA durch das extreme Wachstum in Südostasien zunichtegemacht wird. Das LEI wurde früher von BP verantwortet, nun von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und der US-amerikanischen Unternehmensberatungsfirma Kearney.

Niemand wird den Nachholbedarf von China und Indien infrage stellen. Doch infrage stellen sollten wir sehr wohl, ob das Ziel einer Nullemission bis 2045 in Deutschland gerechtfertigt ist, wenn dies zu einer Zerstörung des Wohlstands in Deutschland führt.

Denn selbst wenn Deutschland sämtliche CO₂-Emissionen – 589 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr 2023 – auf null bringen würde, würde dies allein durch das Wachstum in China in einem einzigen Jahr wieder wettgemacht. Unter der Führung der KP China erhöhten sich die Emissionen im selben Jahr um 642 Millionen Tonnen CO₂.

Veränderung der CO₂-Emissionen ausgewählter Länder.

Veränderung der CO₂-Emissionen ausgewählter Länder. Foto: Fritz Vahrenholt nach LEI

Jährlich 200.000 Arbeitsplätze im Ausland

Im Mai 2024 ging der Wert der deutschen Exporte kalender- und saisonbereinigt um 3,6 Prozent zurück. Besonders dramatisch sank der Export nach China – um 10,2 Prozent. Die Industrieproduktion ging im Mai um 2,5 Prozent gegenüber dem Vormonat zurück und erreichte damit den niedrigsten Stand seit vier Jahren.

Eine der wesentlichen Ursachen sind die nach wie vor deutlich höheren Strompreise in Deutschland. Sie steigen aufgrund der Energiewende durch stark ansteigende Netzkosten sowie durch die hohen Kosten der CO₂-Zertifikate von Gas- und Kohlekraftwerken.

Daher liegen die Stromerzeugungskosten in Deutschland etwa doppelt so hoch wie in Frankreich und dreimal so hoch wie in China und den USA. Der Arbeitgeberverband Metall und die IG Metall sehen „bedrohliche Symptome einer Deindustrialisierung“. So hieß es in ihrer gemeinsamen Mitteilung. Und weiter: „Die Bundesregierung muss allem voran für konkurrenzfähige Energiekosten sorgen sowie attraktivere Investitionsbedingungen schaffen.“

Seit drei Jahren Ampelregierung werden Jahr für Jahr etwa 100 Milliarden Euro von deutschen Unternehmen im Ausland investiert. Umgekehrt werden nur noch 22 Milliarden von ausländischen Unternehmen in Deutschland investiert.

Um die Zahlen einordnen zu können: Das Statistische Bundesamt gibt für die Schaffung eines Arbeitsplatzes eine Investition von 500.000 Euro im produzierenden Gewerbe an. Das bedeutet, dass mit 100 Milliarden Euro Investitionen jährlich 200.000 Arbeitsplätze im Ausland geschaffen werden, und das Jahr für Jahr. Das sind die bitteren Folgen einer grünen deutschen Politik, die im Alleingang die CO₂-Emissionen auf Null bringen will.

Deutschlands Deindustrialisierung erhöht CO₂-Bilanz weltweit

Bis 2030 will Deutschland aus der grundlastfähigen Kohleverstromung aussteigen, nachdem es bereits aus der Kernenergie ausgestiegen ist. Der Bericht des Energy Institute zeigt indes das ungebrochene Wachstum der Kohleverbrennung vor allem in China und Südostasien.

Die Zahlen bescheinigen der Vorreiterrolle Deutschlands und Europas als auch dem deutschen Vorgehen zur Reduktion der weltweiten CO₂-Reduktion Wirkungslosigkeit: Über 70 Prozent des Kohleverbrauchs der Welt findet in Asien statt, allein 56 Prozent in China.

Der weltweite Kohleverbrauch hat 2023 ein neues Rekordhoch erreicht. Indien verbraucht erstmals mehr Kohle als Europa und die USA zusammen. Foto: London Energie Institute, Statistical Review of World Energy 2024

Deutschlands Einfluss auf die weltweite CO₂-Emission ist nahe Null, belastet Bürger und Industrie aber jährlich mit zweistelligen Milliardenbeträgen durch CO₂-Abgaben. Nach Angaben des LEI hat Deutschland seine Emissionen seit 2010 um 27,7 Prozent reduziert – von 815 Millionen Tonnen auf 589 Millionen Tonnen. Seit Beginn der Ampelregierung ist die CO₂-Verminderung in Deutschland geprägt durch einen Rückgang der energieintensiven Industrieproduktion.

Deutschlands Hauptwettbewerber China, Exportweltmeister, produziert Güter ohne Rücksicht auf die Kosten zur CO₂-Vermeidung. Das spiegelt sich in den Emissionsdaten. China hat seit 2010 seine Emissionen von 11.218 Millionen Tonnen auf 12.603 Millionen um 12 Prozent erhöht.

Boom der Erneuerbaren, überflügelt von Fossilen

Nun wird bei einem Vergleich Chinas mit Deutschland immer darauf hingewiesen, dass doch China eine viel höhere Bevölkerungszahl hat. Doch teilt man die Emissionen durch die Bevölkerungszahl (84 Millionen in Deutschland, 1.425 Millionen in China), so kommt man zu einer pro Kopf-Emission in Deutschland von 7,01 Tonnen CO₂ pro Person und in China von 8,84 Tonnen CO₂ p.P.

Die durchschnittlichen Emissionen der Weltbevölkerung liegen bei rund fünf Tonnen CO₂ pro Person. Das Ziel der Nullemission wird in diesem Kontext immer fragwürdiger. Der Bericht des Energy Institute liefert darüber hinaus eine weitere wichtige Zahl für die politische Debatte: Deutschland hat 2023 nur noch einen Anteil von 1,5 Prozent an der CO₂-Emission der Welt.

Es gibt noch zwei weitere Märchen, mit denen der Bericht des Energy Institute aufräumt. Oft hört man: Indien und China würden ja viel mehr in Solarenergie investieren als in Kohle. Das ist falsch. In Indien wuchs die Stromerzeugung durch Kohle 6,5-mal schneller als durch Solar; in China 2-mal schneller. Von Substitution von Kohle durch Solar ist nirgendwo die Rede.

Zuwachs von Erneuerbaren und Fossilen in Indien und China im Jahr 2023. Foto: Fritz Vahrenholt nach LEI

Das zweite Märchen ist, dass weltweit der Zuwachs an Stromerzeugung durch Solar und Wind größer sei als der Zuwachs der Stromerzeugung durch fossile Energien. Der Ölverbrauch durchbrach 2023 erstmals die 100 Millionen Barrel Grenze (+2 Prozent), der Kohleverbrauch stieg auf einen neuen Rekord (+ 1,6 Prozent). In Summe stammen 81,5 Prozent der Weltprimärenergieversorgung aus Kohle, Öl und Gas. Nur 2,7 Prozent stammen von Wind und Solar, jene Technologien, auf die Deutschland allein setzt.

Zwar sind die Zubauten an Solarflächen und Windkraftwerken auf Rekordkurs, aber der wachsende Energiehunger ist größer; der Zuwachs an Kohle, Öl und Gas ist größer als der Zubau an Solaranlagen und Windkraftanlagen.

Weltweiter Zubau nach Energiequellen im Jahr 2023. Foto: Fritz Vahrenholt nach LEI

Ist die weltweite CO₂-Bilanz kritisch?

Trotz der ungebrochenen Dominanz der fossilen Energieversorgung ist keine Katastrophenstimmung und schon gar keine Katastrophenpolitik angesagt. Trägt man nämlich die reale Entwicklung in die Szenarien des Weltklimarats ein, so wird immer deutlicher, dass das katastrophale Szenario „RCP 8.5“, das eine Verdreifachung der CO₂-Emissionen annimmt, völlig irreal ist. Dennoch – mit diesem Szenario wird Politik gemacht.

Achten Sie darauf, wenn von einer Klimastudie hören, die Katastrophenstimmung erzeugt. Sie fußt in der Regel auf diesem völlig irrealen Szenario. Die reale Entwicklung entspricht eher dem „RCP 4.5“-Szenario mit einem leichten Anstieg bis 2050.

Die tatsächlichen Emissionen geben keinen Grund für Panik. Foto: Fritz Vahrenholt

Für RCP 4.5 sagt das Zwischenstaatliche Gremium für Klimawandel (IPCC) eine Erwärmung von etwa 2,7 Grad voraus – also etwa weiteren 1,5 Grad gegenüber heute. Diese Annahme steht auf tönernen Füßen. Drei Viertel der Erwärmung der letzten Jahre sind auf den Rückgang der Wolkenbildung zurückzuführen. Es gibt eine CO₂-bedingte Erwärmung, auf die man sich aber einstellen kann. Die Katastrophe können wir getrost absagen.

Was macht die Bundesregierung?

Würde die Bundesregierung die Erkenntnisse des Energy Reviews zur Grundlage ihrer Politik machen, könnte sie die Zumutungen für Bürger und Industrie, von Heizungsgesetz bis Verbrennerverbot, von Kohleausstieg bis zur unbezahlbaren Wasserstoffwirtschaft beiseite schieben. Doch die Bundesregierung legt sich immer weiter auf das Null-CO₂-Szenario fest, das unter anderem auf den irrealen Extremszenarien wie RCP 8.5 des IPCC balanciert.

Sie hat in ihrem neu vorgelegten Haushaltsentwurf hohe Subventionen für Gaskraftwerke angekündigt, die später auf Wasserstoff umgerüstet werden sollen. Diese Subventionen will Herr Habeck aus dem Klimafonds nehmen, der gespeist wird aus der CO₂-Abgabe in den Öl- und Gasrechnungen der Mieter und Vermieter sowie aus der CO₂-Abgabe, die die Autofahrer an der Tankstelle zu entrichten haben.

Die Bundesregierung räumt ein, dass trotz dieser Subvention diese Wasserstoffkraftwerke nur dann wirtschaftlich betrieben werden können, wenn der CO₂-Preis für Kohle- und Gaskraftwerke weiter steigt. Mit anderen Worten, die Bundesregierung räumt ein, dass der Preis des Wasserstoffkraftwerksstroms deutlich höher liegen wird als die heutigen Strompreise. Man kündigt auch schon an, dass man zur Finanzierung dieses teuren Wasserstoffstroms die Verbraucher durch eine neue Stromsteuer zur Kasse bitten wird.

Diese Steuer soll aber – so wird beruhigt – lediglich im niedrigen Nachkommastellenbereich liegen. Das hört sich an wie die Kugel-Eis-Schätzung der Energiewendekosten durch Jürgen Trittin.

Über den Autor:

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt ist promovierter Chemiker, SPD-Politiker, Manager, Wissenschaftler und Buchautor. Seit 1976 arbeitete er unter anderem im Umweltbundesamt, als Staatsrat bei der Umweltbehörde und als Umweltsenator in Hamburg. Er war Vorstand für erneuerbare Energien der Deutschen Shell AG sowie Gründer und Vorstand des Windenergie-Anlagenbauers REpower Systems.

Seit 1999 ist er Honorarprofessor im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg. Sein Bestseller „Seveso ist überall“ (1978) war eines der wirkmächtigsten Bücher in den Anfangsjahren der Umweltbewegung. 2020 erschien sein Bestseller „Unerwünschte Wahrheiten“, 2021 folgte „Unanfechtbar – Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz im Faktencheck“. www.vahrenholt.net

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt Foto: privat

Dieser Artikel erschien im Original auf klimanachrichten.de/ unter dem Titel: „Fritz Vahrenholt: Die neueste CO2-Bilanz“ (redaktionelle und grafische Bearbeitung ts/Epoch Times)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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