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Notre-Dame: Moderne Kunst soll sechs traditionelle Glasfenster ersetzen

Erneut gibt es Zündstoff um Notre-Dame in Paris. Der Grund: Die französische Regierung plant, die traditionellen Glasfenster im hochwertigen gotischen Stil durch neue zu ersetzen. Liefern soll die moderne Kunst eine französische Künstlerin aus den USA.

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Notre-Dame in Paris, wieder renoviert, nachdem sie 2019 durch einen großen Brand stark beschädigt worden war.

Foto: Kyrylo Neiezhmakov/iStock

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Lesedauer: 15 Min.

Ein neues Feuer bedroht die architektonische Einheit der berühmten Notre-Dame in Paris. Dieses Mal ist es ein intellektuelles Feuer, das immer wieder entfacht wird: die Frage, ob moderne Stile in der alten Architektur ihren Platz haben dürfen.
Historische Denkmäler auf der ganzen Welt sind in unterschiedlichem Maße erhalten worden – von behutsamen Restaurierungen bis hin zu umfassenden Renovierungen –, je nach der damaligen gesellschaftlichen Ansicht. Und oft wurden diese Restaurierungsbemühungen von Ruhm und im Namen des künstlerischen Fortschritts angefacht.
Im Jahr 2026 sollen in sechs der sieben Kapellen der Kathedrale moderne Glasfenster eingebaut werden. Sie sollen jene Fenster aus dem 19. Jahrhundert ersetzen, die den Brand überstanden haben.

April 2019: Der verheerende Brand in der Pariser Kathedrale Notre-Dame, einem der berühmtesten Wahrzeichen der Welt.

Foto: Thibault Camus/AP/dpa

Bevor wir uns diese neuen Fenster ansehen, sollten wir uns mit den Merkmalen der gotischen Architektur vertraut machen.

Das himmlische Jerusalem

Notre-Dame de Paris gilt als das Juwel der französischen Gotik. Jeder Zentimeter des Gebäudes wurde so gestaltet, dass er zur Hingabe anregt. Sogar die drei Hauptelemente der gotischen Architektur – Spitzbögen, Kreuzrippengewölbe und Fensterrosette – weisen alle in den Himmel, sei es durch ihr Thema oder ihre architektonische Gestaltung.
Blick in den Altarraum der Notre-Dame de Paris

Blick in den Altarraum der Notre-Dame de Paris von 2005.

Foto: Kurt Muehmel, Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Der Kunsthistoriker E. H. Gombrich (1909–2001) beschrieb in „Die Geschichte der Kunst“, wie gotische Kathedralen den Gläubigen einen Blick auf das „himmlische Jerusalem“ gewähren:
„Mit seinen Toren aus Perlen, seinen unschätzbaren Juwelen, seinen Straßen aus reinem Gold und durchsichtigem Glas […] war diese Vision vom Himmel auf die Erde herabgestiegen. Die Wände dieser Gebäude waren nicht kalt und abweisend. Sie waren aus buntem Glas, das wie Rubine und Smaragde glänzte. Die Säulen, die Rippen und das Maßwerk glitzerten in Gold. Alles Schwere, Irdische und Langweilige war verschwunden. Die Gläubigen, die sich der Betrachtung all dieser Schönheit hingaben, konnten spüren, dass sie dem Verständnis der Geheimnisse eines Reiches, das jenseits der Materie liegt, näher gekommen waren.“
Gombrichs Eindruck erinnert an die Inschrift des Abtes Suger (1081–1151) an den Türen der gotischen Kathedrale St. Denis nahe Paris, die mehr als 800 Jahre zuvor geschrieben wurde:
„Wer auch immer du bist, wenn du die Herrlichkeit dieser Türen zu preisen versuchst,
staune nicht über das Gold und die Kosten, sondern über die Kunstfertigkeit des Werkes.
Hell ist das edle Werk; doch da es edel hell ist, soll das Werk den Geist erhellen, damit er durch das wahre Licht reisen kann […].
Der dumpfe Verstand erhebt sich zur Wahrheit durch das, was materiell ist […].
Suger gilt als der Vater der gotischen Architektur. Bei der Restaurierung von St. Denis schrieb er: „Wir waren bestrebt, sowohl die Ehrfurcht vor der alten Weihe als auch eine harmonische Kohärenz mit dem modernen Werk nach dem bereits bestehenden Muster zu wahren.“

Dieses Fenster in der Kathedrale von St. Denis bei Paris zeigt den Abt Suger.

Foto: Gemeinfrei

Die Glasmalerei von Notre-Dame

Zwischen 1855 und 1865 entwarfen die Architekten Eugène Viollet-le-Duc (1814–1879) und Jean-Baptiste Lassus (1807–1857) im Rahmen der umfassenden Restaurierung der Kathedrale ein neues Dekorationsschema für die Glasmalereien, um die mittelalterliche Atmosphäre der Kirche wiederherzustellen.
Ein Großteil der Buntglasfenster aus dem 13. Jahrhundert wurde 1753 aus dem Kirchenschiff entfernt, um mehr Licht in die Kirche zu bringen. Zwischen 1855 und 1860 schufen Glasmacher sogenannte Grisaillen – Fenster ohne figurale Darstellungen in Weiß-Grau-Schattierungen –, die Viollet-le-Duc erstmals in der französischen Kathedrale von Bourges sah.

Grisaille bedeutet „Eintönigkeit“ und ist eine Malerei, bei der die Farben Grau, Weiß und Schwarz verwendet werden.

Foto: Gemeinfrei

Die vom französischen „gris“ abgeleitete Grisaille erlebte 1134 erstmals einen Aufschwung, nachdem der Zisterzienserorden farbige und figurale Glasmalereien verboten hatte. In der Predigt 45 über das Hohelied vom Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux heißt es:
„Es gibt hier (in der Kontemplation), wie ich meine, keine Notwendigkeit oder Verwendung für materielle, sinnlich vermittelte Bilder des Fleisches oder des Kreuzes Christi oder andere Darstellungen, die zur Schwäche seiner Sterblichkeit gehören.“
Infolgedessen schufen Glasmaler zwei Varianten von Grisaille: klares Glas mit silbernen floralen Mustern und klare, mit Blei zusammengesetzte Glasstücke, die ein geometrisches Muster bildeten.

Grisaille können geometrische oder florale Muster haben.

Foto: Gemeinfrei

Die Grisaille ist keineswegs ein schlechter Verwandter der farbigen Glasmalerei, sondern ist reich an Symbolik. So schreibt das Onlinemagazin „Vidimus“: „Grisaille in Form von oder mit gemalter Vegetation soll Christus, den Schöpfer, darstellen, der die Wahrheit, die Auferstehung und die Wurzel Jesse symbolisiert. Geometrische Grisaille stellt die göttliche und rationale Ordnung der Schöpfung dar.“

Die modernen Fenster von 1935

Im Jahr 1935 wandte sich der Glasmacher Louis Barillet im Namen von zwölf Künstlern an die französische Kommission für historische Denkmäler. Er schlug vor, die Grisaillefenster aus dem 19. Jahrhundert im Hauptschiff der Pariser Notre-Dame zu ersetzen.
Kapelle St. Joseph der Notre-Dame de Paris

Ein weiteres Fenster, das 2026 ersetzt werden soll, in der Kapelle St. Joseph. Die oft komplexen und farbenfrohen geometrischen Muster der Grisaille lassen immer noch neutral gefärbtes Licht in die Kapelle eindringen.

Foto: Gemeinfrei

Sie wollten die farbenfrohe Atmosphäre der ursprünglichen mittelalterlichen Glasfenster wiederherstellen und dabei den avantgardistischen Kunststil des Kubismus verwenden. Um 1907 erfanden Pablo Picasso (1881–1973) und Georges Braque (1882–1963) die moderne Kunstrichtung des Kubismus. Dabei werden mehrere Perspektiven eines Themas in einem abstrakten Bild dargestellt.
Einige dieser Fenster waren in der Ausstellung „Notre-Dame de Paris: Der Glasmalerei-Streit“ bis 9. März dieses Jahres zu sehen. Diese Ausstellung in Troyes, der Stadt der Glasmalerei, des nordfranzösischen Departement Aube beleuchtete die 30 Jahre zwischen 1935 und 1965, in denen moderne Künstler dem gotischen Meisterwerk ihren Stempel aufdrücken wollten. Die Kuratorin der Ausstellung, Marie-Hélène Didier, sagte: „In den Augen vieler harmonierten die Glasfenster nicht mit der Architektur der Kathedrale.“
Kapelle St. Eloi der Notre-Dame de Paris

Die Glasfenster der Kapelle St. Eloi. Glaskünstler haben dünne Ränder an den Rosettenfenstern angebracht, die mehr Licht in die Kapelle lassen und gleichzeitig die zarten Blumen des Fensters betonen.

Foto: Gemeinfrei

Obwohl der Erzbischof von Paris, Kardinal Verdier, und der Generalinspektor für historische Denkmäler, Eugène Rattier, den Künstlern Anweisungen zur Ikonografie gegeben hatten, traten viele Probleme auf. Am 25. März 1935 äußerte der Vizepräsident der Kommission, Gabriel Ruprich-Robert, in einem Brief an den Generaldirektor der schönen Künste, Georges Huisman, seine Bedenken.
Ruprich-Robert verwies auf den guten Zustand der Grisaillen und darauf, dass sich die Arbeiten an den historischen Monumenten „auf die Erhaltung des Erbes beschränken müssen“. Er war überzeugt, dass die Anzahl der Künstler und die unterschiedlichen Vorschläge die Harmonie des Projekts gefährdeten. Er schloss: „Dieses Gebäude [Notre-Dame] sollte nicht zum Experiment werden, das nicht notwendig ist.“
Kapelle des Heiligen Herzens der Notre-Dame de Paris

Blick auf die Grisaillen der Kapelle des Heiligen Herzens, welche nächstes Jahr ausgetauscht werden sollen. Die Grisaille-Blumen und -Blätter auf dem sechsblättrigen Rosettenfenster werden durch rote, blaue, grüne und gelbe Akzente hervorgehoben – ein Farbschema, das sich im gesamten Glas wiederholt.

Foto: Gemeinfrei

Disharmonie in der Notre-Dame

Auch die Kommission für historische Denkmäler war der Ansicht, dass die verschiedenen Stile, Farben und Proportionen nicht harmonieren. „Wenn wir heute die Fenster nebeneinander sehen, verstehen wir die Zurückhaltung der Kommission. Die zwölf Künstler, die diese Glasfenster gezeichnet haben, haben unabhängig voneinander gearbeitet“, so Didier.
Kapelle St. Pierre der Notre-Dame de Paris

Die Grisaille in der Kapelle St. Pierre von Notre-Dame de Paris ist eines der sechs Kapellenfenster, die 2026 durch zeitgenössische Buntglasfenster ersetzt werden sollen. Rote Rauten in den Lanzettfenstern (hohe, schmale Fenster mit einer lanzenartigen Spitze) heben den roten Stern der Rosette an der Spitze hervor. Sie ist von zartem Grisaille-Laub umgeben.

Foto: Gemeinfrei

Diese Unabhängigkeit führte dazu, dass die Fenster kein gemeinsames künstlerisches Thema aufwiesen, was einige Kommentatoren als Kakophonie bezeichneten. „Der Mangel an Harmonie muss eklatant gewesen sein“, so die Kuratorin der Ausstellung, Julia Boyon.
1939 wandte sich die Stiftung zur Bewahrung der französischen Kunst mit einer Petition an Kardinal Verdier. Die Gegner der zeitgenössischen Fenster waren besorgt über die fehlende Harmonie und die unzusammenhängende Erzählung. Sie befürchteten, dass dies darauf hindeuten würde, dass die moderne Kunst die Alten Meister übertroffen hätte, was nicht der Wahrheit entsprechen würde.
Kapelle St. Geneviève der Notre-Dame de Paris

Die Glasfenster der Kapelle St. Geneviève. Im Hauptrosettenfenster erblüht eine wunderschöne Rose. Sie sticht besonders durch die Wiederholung von Blau und Gelb in den Rändern der Lanzettfenster (hohe, schmale Fenster mit einer lanzenartigen Spitze) hervor. Auch diese Grisaille soll 2026 durch moderne Fenster ersetzt werden.

Foto: Gemeinfrei

Am 22. April 1939 berichtete die Zeitung „Le Figaro“: „In einer Zeit, in der wirtschaftliche Sorgen und die Angst vor dem Krieg die Intelligenz verdunkelten und die Sensibilität bedrückten, war das Pariser Publikum noch in der Lage, sich für ein künstlerisches Problem zu begeistern.“
Die Kuratoren der Ausstellung erklärten, die Menschen seien nicht unbedingt gegen das Projekt gewesen. Sie waren gegen die modernen Werke für Notre-Dame und glaubten, dass dies einen Präzedenzfall für spätere historische Gebäude schaffen könnte. Dennoch erhielt die Kathedrale 1939 ihre kubistischen Fenster. Doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte dazu, dass die Fenster zur Sicherheit entfernt wurden – bis heute.
Kapelle St. François-Xavier der Notre-Dame de Paris

Blick auf die Grisaillen der Kapelle St. François-Xavier. Der farbenfrohe Rand greift die Farben auf, die im gesamten Fenster verwendet werden. Auch dieses soll 2026 durch zeitgenössische Buntglasfenster ersetzt werden.

Foto: Gemeinfrei

Neue Fenster für 2026 geplant

90 Jahre später und nach einem verheerenden Brand sind die Grisaillen von Notre-Dame de Paris erneut bedroht. Dieses Mal könnten die Fenster aus sechs Kapellen im südlichen Seitenschiff der Kathedrale ersetzt werden. Betroffen seien die Kapellen St. Eloi, St. François-Xavier, St. Geneviève, St. Joseph, St. Pierre und die Kapelle des Heiligen Herzens, auch Chapelle du Sacré-Cœur genannt.
Plan der Notre-Dame de Paris

Im südlichen Seitenschiff der Notre-Dame de Paris sollen sechs von sieben Kapellen neue Fenster bekommen: St. Eloi (1), St. François-Xavier (2), St. Geneviève (3), St. Joseph (4), St. Pierre (5) und die Kapelle des Heiligen Herzens (6).

Foto: Gemeinfrei

Die traditionellen Grisaillen in schlichten Farben und ohne Figuren sollen den aktuellen Plänen zufolge bunten und figurativen Glasfenstern weichen, die das Pfingstereignis darstellen.
Entwürfe zu den neuen Fenstern der Notre-Dame de Paris

Mit ihren Entwürfen erhielt die französische Künstlerin Claire Tabouret am 18. Dezember 2024 den Auftrag, die Glasfenster von sechs der sieben Notre-Dame-Kapellen neu zu gestalten.

Foto: Stephane de Sakutin/AFP via Getty Images

Nach dem Brand gründete die französische Regierung eine öffentliche Einrichtung mit dem Namen Public Establishment, um die Kathedrale zu restaurieren. Am 27. Januar 2025 kritisierte die französische Denkmalschutzorganisation Sites & Monuments die öffentliche Einrichtung aufgrund von zwei Punkten: wegen der Planung des Austausches der Glasfenster und des anschließenden Vertrags mit der in Los Angeles lebenden französischen Künstlerin Claire Tabouret.
Viele Einwände gegen diese neuen, zeitgenössischen Fenster spiegeln die Argumente gegen die Fenster aus den 1930er-Jahren wider. Der französische Journalist Didier Rykner rief eine Petition ins Leben, um das Projekt zu stoppen. Inzwischen verzeichnet die Petition bereits über 280.000 Unterschriften.
Künstlerin Claire Tabouret und ihre Entwürfe zu den neuen Fenstern der Notre-Dame de Paris

Die französische Künstlerin Claire Tabouret soll bis 2026 die neuen Glasfenster für Notre-Dame anfertigen.

Foto: Stephane de Sakutin/AFP via Getty Images

Es bleibt abzuwarten, ob die Fenster von Tabouret in Notre-Dame de Paris eingebaut werden. Bis dahin können die Besucher der Kathedrale Gombrichs „himmlisches Jerusalem“ betreten und sich in dem göttlichen Licht der neugotischen Grisaillen von Viollet-le-Duc und anderen sonnen.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Notre-Dame: Modern Art to Replace 6 Traditional Stained Glass Windows“. (redaktionelle Bearbeitung kms)

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