Unsere Sonne in anderem Licht: Deutsche Forscher veröffentlichen nie gesehene Details
Kein Körper in unserem Sonnensystem ist so dynamisch und vielschichtig wie die Sonne. Um möglichst all ihre Eigenheiten aufzudecken, brach die ESA-Raumsonde „Solar Orbiter“ im Februar 2020 mit insgesamt sechs Messinstrumenten in Richtung unseres Heimatsterns auf, um unter und in die verschiedenen Schichten des Feuerballs zu blicken.
Daran beteiligt waren auch die Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen, die die Hardware für vier der Instrumente mit auf die Reise zur Sonne schickten.
Eines der Instrumente ist das EUI, das insbesondere die kurzwellige ultraviolette Strahlung der Sonne einfängt. Diese hat ihren Ursprung vornehmlich in ihrer heißen äußeren Atmosphäre: der Sonnenkorona.
Das Doppelteleskop PHI richtet seinen Blick dagegen unter die Haut und auf die sichtbare Fotosphäre. Dort brodelt es, während Sonnenplasma aus dem Inneren aufsteigt – ein Vorgang, der an kochendes Wasser erinnert. Das Licht, das von dort abgestrahlt wird, enthält zudem Informationen über die Stärke des Sonnenmagnetfeldes und die Bewegungsrichtung des Sonnenplasmas.
Mosaik der Sonne aus 25 Teilen
Im März 2023 war es schließlich so weit: Solar Orbiter befand sich nur halb so weit von unserer Sonne entfernt wie die Erde. Hier war die Sonnenscheibe bereits zu groß, um auf ein einzelnes Foto zu passen.
Aus 25 Einzelaufnahmen und den Messdaten der beiden Instrumente puzzelten die Sonnenforscher erstmals einen hochaufgelösten Gesamtüberblick über die Sonnenscheibe zusammen. Wer in die Aufnahmen hineinzoomt, kann erkennen, wo die Sonne ihr Temperament entfaltet.
„Wenn man die Sonne in ihrer Gesamtheit verstehen will, ist es unabdingbar, gleichzeitig und mit hoher Auflösung in all ihre Schichten zu schauen“, sagte Sami K. Solanki, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und wissenschaftlicher Leiter des PHI-Teams. „Das kann Solar Orbiter wie keine Raumsonde vor ihr“, fügt er hinzu.
Neben der umfangreichen Ausstattung sei ihre außergewöhnliche Flugbahn ein weiterer Vorteil der Raumsonde. Sie führt Solar Orbiter auf lang gezogenen Ellipsen um die Sonne herum – und so immer wieder auf weniger als ein Drittel des Abstandes zwischen Erde und Sonne an unser Zentralgestirn heran. Das entspricht etwa 42 Millionen Kilometern.
Bilder reisen wochenlang durchs All
Am 22. März vergangenen Jahres trennten Solar Orbiter indes etwa 74 Millionen Kilometer von ihrem Forschungsobjekt. Aus dieser „Nähe“ ist die Sonne zu groß, um komplett ins Sichtfeld des hochauflösenden Teleskops von PHI zu passen. Stattdessen gelangen über einen Zeitraum von mehreren Stunden insgesamt 25 Einzelaufnahmen, die die Forscher später mosaikartig zusammensetzten, um eine Gesamtansicht der Sonne zu kreieren.
„Die Informationen, die wir beispielsweise für unsere magnetischen Karten der Sonne benötigen, verstecken sich nur in einem winzigen Teil des eingefangenen Lichtes“, erklärt Johann Hirzberger vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, der die Mosaike erstellt hat. „Die Daten können deshalb an Bord der Sonde kaum komprimiert werden. Wegen des großen Abstands zur Erde und der vergleichsweise geringen Datenübertragungsrate erreichen uns die riesigen Datenmengen, die so anfallen, zum Teil erst Monate nach der Messung.“
Da Solar Orbiter während der Messungen weiterfliegt, entstehen die einzelnen Teilansichten alle aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln. Diese Effekte müssen dann beim „Zusammenpuzzeln“ sorgfältig berücksichtigt werden. Obwohl der Aufwand relativ hoch ist, wollen die Forscher künftig mehr hochaufgelöste Ansichten der Sonne – schneller und etwa zweimal im Jahr – liefern. Sie sollen helfen, zu verstehen, wie sich unsere Sonne aus ihren kleinsten Strukturen und Prozessen zusammensetzt.
Weniger Schärfe, mehr Sonne
Die heute veröffentlichten Gesamtansichten der Fotosphäre haben eine Auflösung von etwa 175 Kilometern pro Pixel. Damit bleibt ihre Detailschärfe hinter der Genauigkeit der leistungsfähigsten Sonnenteleskope auf der Erde zurück. Zum Vergleich: Das Sonnenteleskop GREGOR auf Teneriffa schafft es, mit seinem 1,5-Meter-Spiegel sogar Strukturen von 50 Kilometern in einem Pixel abzubilden.
Allerdings können die irdischen Sonnenspäher nur einen winzigen Ausschnitt der Sonnenoberfläche hochaufgelöst abbilden. Und wegen der schwierigen Beobachtungsbedingungen auf der Erde, wo ständige Luftturbulenzen den Blick stören, ist es kaum möglich, diese „Sonnenschnipsel“ jemals zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Da die Erdatmosphäre zudem die ultraviolette Strahlung von der Sonne größtenteils verschluckt, sind zeitgleiche Aufnahmen der Korona von der Erde aus ebenfalls nicht möglich. Dies ist nur aus dem All möglich.
So offenbart sich beim Hineinzoomen in die neuen Sonnenansichten die ganze Komplexität und Schönheit unseres Sterns. Im sichtbaren Licht überzieht ein wabenartiges Muster die Fotosphäre. Es ist Ausdruck der heißen Plasmaströme, die im Innern der Sonne aufsteigen, abkühlen und wieder in die Tiefe sinken – wie in einem Topf mit kochendem Wasser.
Auch Sonnenflecken – dunkle Bereiche auf der Sonnenoberfläche – sind zu sehen. Wie ein Magnetogramm zeigt, ist in diesen Bereichen das Magnetfeld der Sonne besonders stark. Es verhindert das Aufsteigen heißen Plasmas aus der Tiefe. Im Bereich der Sonnenflecke ist die Sonnenoberfläche deshalb kühler und erscheint dunkler. Die verschiedenen Farben stehen dabei für Stärke und Richtung des Magnetfeldes. Die stärksten Felder sind in Rot (nach außen zeigend) und Blau (nach innen zeigend) dargestellt.
Alle elf Jahre herrscht Chaos
Diese Daten erlauben auch einen detaillierten Überblick über die extremen Prozesse im Inneren und Äußeren der Sonne. Sie sollen zum Beispiel verraten, wie das Magnetfeld genau entsteht und warum die Sonne alle elf Jahre besonders aktiv ist. Bekannt ist, dass die Sonne rotiert und mit ihr das Plasma in ihrem Inneren.
Die Magnetfelder, die so entstehen, wickeln sich durch die Rotation des Feuerballs regelrecht auf – ein Wirrwarr an Feldlinien, das vor allem über Sonnenflecken auch Schleifen bildet. Entlang dieser Schleifen steigt das Sonnenplasma auf und sinkt wieder zur Oberfläche ab. Beide Bewegungen sind im rot-blau gefärbten sogenannten Tachogramm erkennbar.
Im Falle eines magnetischen Kurzschlusses schleudert die Sonne geladene Plasmateilchen ins All. Wenn diese das Erdmagnetfeld treffen und die Sonnenteilchen die Erdatmosphäre zum Leuchten anregen, erstrahlen Polarlichter. In dieser chaotischen und damit aktiven Phase der Sonne treten auch mehr Sonnenflecken als sonst auf.
Eigentlich ist das Magnetfeld der Sonne geordneter und zweipolig so wie das der Erde. Laut derzeitigen Theorien spielt auch hier die Rotation eine Rolle. Dank ihr entstehen heiße Plasmaströme, die im Inneren der Sonne auf- und absteigen und sich wie ein Dynamo mit der Rotation der Sonne im Kreis drehen. Alle neun bis 13 Jahre polt sich dieses Feld vollständig um und durchläuft dabei auch den chaotischen Zustand. Um das Jahr 2030 soll wieder Ruhe einkehren.
(Mit Material des MPS)
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