Astronomen entdecken Galaxien, die nicht existieren dürften

Bilder des James-Webb-Teleskops zeigen etwas, das theoretisch gar nicht existieren dürfte, sprich, entweder haben Forscher einen Fehler gemacht und Galaxien gefunden, wo keine sind – oder die bisherige Theorie ist falsch.
Stephan’s Quintet, eine visuelle Gruppierung von fünf Galaxien. Dieses riesige Mosaik ist das bisher größte Bild vom Weltraumteleskop James Webb und bedeckt etwa ein Fünftel des Monddurchmessers.
In einem „relativ langweiligen“ Bereich des Universums hat das James-Webb-Teleskop (un)mögliche neue Galaxien gefunden. (Symbolbild)Foto: NASA, ESA, CSA, and STScI
Von 3. März 2023

Astrophysiker haben mehrere mysteriöse Objekte entdeckt, die sich in den Bildern des James-Webb-Weltraumteleskops verstecken: sechs potenzielle Galaxien, die so früh in der Geschichte des Universums entstanden und so massereich sind, dass sie nach der derzeitigen kosmologischen Theorie nicht existieren dürften.

Jede von ihnen könnte zu Beginn des Universums, etwa 500 bis 700 Millionen Jahre nach dem Urknall, also vor mehr als 13 Milliarden Jahren, entstanden sein. Sie sind außerdem gigantisch und enthalten fast so viele Sterne wie die heutige Milchstraße.

„Das ist der Wahnsinn“, sagt Erica Nelson, Mitautorin der neuen Studie und Assistenzprofessorin für Astrophysik an der University of Colorado Boulder. „Man erwartet einfach nicht, dass das frühe Universum in der Lage war, sich so schnell zu organisieren. Diese Galaxien dürften gar keine Zeit gehabt haben, sich zu bilden.“

Galaxien sind zu jung, um schnell zu wachsen

Diese jüngsten Ergebnisse stammen aus dem Cosmic Evolution Early Release Science Survey (CEERS). Dafür blickte das Teleskop tief in einen Bereich des Himmels in der Nähe des Großen Wagens – eine, zumindest auf den ersten Blick, relativ langweilige Region des Weltraums, die das Hubble-Weltraumteleskop erstmals in den 1990er-Jahren beobachtete.

Nelson betrachtete einen briefmarkengroßen Ausschnitt eines Bildes, als ihr etwas Seltsames auffiel: ein paar „unscharfe Lichtpunkte“, die viel zu hell aussahen, um echt zu sein. „Sie waren so rot und so hell“, sagte Nelson. „Wir hatten nicht damit gerechnet, sie zu sehen.“

Das Mosaik aus Bildern des James-Webb-Teleskops enthält die sechs neuentdeckten Galaxien.

Das Mosaik aus Bildern des James-Webb-Teleskops zeigt die sechs neuentdeckten Galaxien. Fotos: NASA, ESA, CSA, I. Labbe (Swinburne University of Technology)

Sie erklärte, dass in der Astronomie rotes Licht in der Regel mit altem Licht gleichzusetzen ist. Das Universum, so Nelson, dehnt sich seit Anbeginn der Zeit aus. Während es sich ausdehnt, bewegen sich Galaxien und andere Himmelsobjekte weiter auseinander. Das Licht, das sie währenddessen aussenden, dehnt sich ebenfalls aus – die Wellenlänge wird länger –, wodurch es röter erscheint.

Das weckte die Neugier der Forscher, denn ihre Berechnungen legen nahe, dass es zu dieser Zeit nicht genug normale Materie – aus der Planeten und menschliche Körper bestehen – gegeben haben dürfte, um so viele Sterne so schnell zu bilden. „Wenn auch nur eine dieser Galaxien real ist, stößt sie an die Grenzen unseres Verständnisses der Kosmologie“, so Nelson.

Wissenschaft ist der aktuelle Stand des Irrtums

Allerdings sind die neuen Funde weder die frühesten Galaxien, die vom James-Webb-Teleskop beobachtet wurden, noch die ältesten im Universum. Letztes Jahr entdeckte ein anderes Team von Wissenschaftlern vier Galaxien, die wahrscheinlich etwa 350 Millionen Jahre nach dem Urknall aus Gas zusammengewachsen waren. Diese Objekte seien jedoch im Vergleich zu den neuen Galaxien geradezu „schrumpelig“.

Das Team führte Berechnungen durch und entdeckte, dass ihre alten Galaxien ebenfalls riesig waren und von der Masse her mit der Milchstraße vergleichbar sind. Dafür müssten sie Dutzende bis Hunderte Milliarden Sonnen-große Sterne beherbergen. Diese ursprünglichen Galaxien hatten jedoch wahrscheinlich nicht viel mit unserer eigenen Galaxie gemeinsam. „Die Milchstraße bildet jedes Jahr etwa ein bis zwei neue Sterne“, so Nelson. „Einige dieser Galaxien müssten während der gesamten Geschichte des Universums Hunderte von neuen Sternen pro Jahr bilden.“

Um zu bestätigen, dass diese neuen Galaxien so groß sind, wie sie aussehen und, und so weit in die Vergangenheit zurückreichen, brauchen die Forscher nach eigenen Angaben weitere Daten. Ihre vorläufigen Beobachtungen geben jedoch einen verlockenden Vorgeschmack darauf, wie James Webb die Lehrbücher der Astronomie neu schreiben könnte.

„Eine andere Möglichkeit ist, dass es sich bei diesen Dingen um eine andere Art von seltsamen Objekten handelt, wie zum Beispiel schwache Quasare, was genauso interessant wäre“, so Nelson.

Blick in die Vergangenheit

Für Nelson sind die neuen Erkenntnisse die Krönung einer Reise, die bereits in der Grundschule begann. Als sie zehn Jahre alt war, schrieb sie einen Bericht über das Hubble-Teleskop, das 1990 in Betrieb genommen wurde und heute noch aktiv ist. Nelson war fasziniert.

„Das Licht braucht Zeit, um von einer Galaxie zu uns zu gelangen, was bedeutet, dass man in der Zeit zurückblickt, wenn man sich diese Objekte ansieht“, sagte sie. „Ich fand dieses Konzept so umwerfend, dass ich in diesem Moment meinen Traumberuf gefunden hatte.“

Das schnelle Tempo der Entdeckungen mit James Webb ähnelt sehr den Anfängen von Hubble, so Nelson. Damals glaubten viele Wissenschaftler, dass sich Galaxien erst Milliarden von Jahren nach dem Urknall bilden würden. Doch schon bald entdeckten die Forscher, dass das frühe Universum viel komplexer und spannender war, als sie es sich vorstellen konnten.

„Auch wenn wir unsere Lektion bereits von Hubble gelernt haben, haben wir nicht erwartet, dass James Webb so reife Galaxien sehen würde, die so weit in der Vergangenheit existieren“, sagte Nelson. „Ich bin so aufgeregt.“

Nelson und ihre Kollegen, darunter der Erstautor Ivo Labbé von der Swinburne University of Technology in Australien, veröffentlichten ihre Ergebnisse vorab am 22. Februar 2023 in der Zeitschrift „Nature“.



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