16.000 mal stärker als irdische Teilchenbeschleuniger: Energiereichstes Neutrino aus dem Mittelmeer gefischt

Im Mittelmeer haben Forscher mittels eines Unterwasserteleskops ein kosmisches Neutrino mit einer noch nie zuvor beobachteten, ungeahnt hohen Energie entdeckt. Was bedeutet dies für die Wissenschaft?
Künstlerische Darstellung einer Supernova, der möglichen Quelle für das extrem energiereiche Neutrino.
Das Neutrino mit der Rekordenergie könnte bei einer Supernova entstanden sein.Foto: Naeblys/iStock
Von 22. Februar 2025

Neutrinos gehören zu den geheimnisvollsten Elementarteilchen: Sie haben keine elektrische Ladung und fast keine Masse. Außerdem sind sie besondere kosmische Boten, die die Geheimnisse der energiereichsten Phänomene im Universum lüften können.

Obwohl Neutrinos nach den Photonen das zweithäufigste Teilchen im Universum sind, sind sie auch aufgrund ihrer schwachen Wechselwirkung mit der Materie sehr schwer nachzuweisen. Aber wie können diese geisterhaften Teilchen aus dem All dann erkannt werden?

Forscher auf Teilchenfang

Genau hier kommt das KM3NeT-Neutrinoteleskop ins Spiel. Dieses Observatorium besteht aus zwei Detektoren, ARCA bei Sizilien und ORCA bei Toulon in Frankreich – in 3.450 Metern Tiefe. Als Detektorvolumen dient dabei das reichlich vorhandene Meerwasser, wobei physikalisch Folgendes passiert:

Reagiert ein kosmisches Neutrino mit den Atomkernen des Meerwassers, können Myonen erzeugt werden. Myonen sind schwerer als Elektronen, aber tragen ebenfalls eine einfache negative Ladung. Das Myon erfährt bei dieser Reaktion so viel Bewegungsenergie, dass es einen Lichtkegel erzeugt, während es das Meerwasser durchpflügt. Dieses sogenannte Cherenkov-Licht, alternativ auch Tscherenkow-Strahlung, ist vergleichbar mit dem Überschallknall, den ein Düsenjet erzeugt.

Tscherenkow-Strahlung im Kühlwasser eines US-amerikanischen Kernreaktors. Foto: Oak Ridge National Laboratory, Wikimedia Commons | CC BY 2.0

Das Neutrinoteleskop besteht aus 230 parallel liegenden Strängen, an denen wie an einer Perlenkette jeweils 18 optische Module aufgereiht sind. In jedem Modul sitzen 31 sogenannte Photomultiplier, die schwaches Licht aus allen Richtungen einfangen und verstärken – so auch das Licht, das durch kosmische Neutrinos entsteht.

Überirdisch hohe Energie

Mit KM3NeT können Astronomen also nicht nur die Neutrinos nachweisen, sondern auch tiefgreifender untersuchen. So kommt es, dass dabei bisher unmenschlich hohe Energien gemessen werden – so wie das am 13. Februar 2023 gemessene Teilchen mit einer Energie von etwa 220 Petaelektronenvolt (PeV).

Ein PeV entspricht dabei 1015 oder einer Billiarde Elektronenvolt. Diese Energie ist 16.000 Mal größer als die stärkste Teilchenkollision, die Forscher bislang auf der Erde schaffen konnten.

„Dieser erste Nachweis eines Neutrinos im Bereich von hunderten PeV eröffnet ein neues Kapitel in der Neutrinoastronomie“, sagt Paschal Coyle, Forscher am Nationalen Institut für Kernphysik und Teilchenphysik Frankreichs.

Technik zum Einfangen der Neutrino

Physiker arbeiten an den optischen Modulen, die das ausgesendete Licht der Neutrinos einfangen. Foto: Marco Kraan Nikhef, KM3NeT Collaboration

Woher kommt das rekordbrechende Neutrino?

Die zentrale Frage ist jedoch, woher die hochenergetischen Teilchen kommen. „Durch die Kombination mit anderen Teleskopen versuchen wir, eine Verbindung zwischen der Beschleunigung der kosmischen Strahlung, der Produktion von Neutrinos und der Rolle supermassereicher Schwarzer Löcher herzustellen“, erklärt Yuri Kovalev am Max-Planck-Institut für Radioastronomie.

Neben Schwarzen Löchern zählen auch Explosionen von Sternen, sogenannten Supernovae, zu möglichen leistungsstarken kosmischen Teilchenbeschleunigern. Das nun gemessene hochenergetische Neutrino könnte direkt aus einem solchen Beschleuniger stammen, oder es könnte der erste Nachweis eines kosmogenen Neutrinos sein.

Kosmogene Neutrinos könnten entstehen, wenn andere kosmische Teilchen mit dem schwachen Licht des kosmischen Hintergrunds reagieren und dabei extrem energetische Neutrinos erzeugen. Da hier jedoch nur ein einziges Ereignis bei hunderten PeV gemessen wurde, bleibt der Ursprung ungewiss. Um mehr zu erfahren, müssen die Forscher mehr solcher Ereignisse aus dem Wasser fischen.

„Die Bestimmung von Richtung und Energie dieses Neutrinos erforderte eine präzise Kalibrierung des Teleskops. Der aktuelle Nachweis gelang mit nur einem Zehntel der endgültigen Konfiguration des Detektors, was das große Potenzial des Experiments und für die Neutrinoastronomie zeigt“, so der KM3NeT-Physiker Aart Heijboer abschließend. Bis auf Weiteres bleibt die Herkunft des Neutrinos damit unklar.

(Mit Material des MPI)



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