Napoleon Bonaparte: Sinneswandel in den letzten Lebenstagen

Nachdem Napoleon zum zweiten Mal ins Exil geschickt wurde, verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens unter Bewachung auf der winzigen Insel St. Helena und fand dabei seinen verlorenen Glauben wieder.
Die letzten Tage von Napoleon Bonaparte und sein Sinneswandel
Während seines zweiten und letzten Exils auf einer winzigen Insel mitten im Atlantik vollzieht Napoleon große innere Wandlungen.Foto: Thomas Coex/AFP via Getty Images
Von 8. Oktober 2024

Für Napoleon Bonaparte waren am 15. Oktober 1815 die ruhmreichen Tage seiner politisch rasanten Karriere vorbei. Seine welterschütternden Feldzüge waren beendet, der eiserne Wunsch, Europa zu unterwerfen, versiegt und die gewaltigen Armeen, die auf sein Kopfnicken hin marschbereit waren, standen still. Doch genau dieser Moment ist vielleicht der bemerkenswerteste Teil seiner Geschichte.

An jenem Oktobertag 1815 begann Napoleons Zeit auf der winzigen Atlantikinsel St. Helena. Man kann sich vorstellen, dass Napoleon, wie auf dem Bild von František Xaver Sandmann, auf einer Landzunge stand und auf das schimmernde, glitzernde Meer blickte.

Fast 2.000 Kilometer vom nächsten Festland – der afrikanischen Küste – entfernt, liegt die Insel mitten im Nirgendwo. Weitläufige, zum Meer hin abfallende Berge, die Täler und Hänge grüngefleckt sowie Wüstenflächen mit Kakteen prägen das Landschaftsbild der Insel und erzeugen einen nicht gerade einladenden Eindruck.

Während Napoleon beobachtet, wie das Schiff, das ihn auf die Insel gebracht hat, dem azurblauen Horizont entgegen segelt, könnte eine frische Meeresbrise über ihn hinweggeweht sein. Schließlich verschwindet das Schiff aus seinem Blickfeld und mit ihm jede Chance, dass Napoleon Europa wiedersehen wird.

Napoleon auf St. Helena

„Napoleon auf St. Helena“, gemalt von František Xaver Sandmann (1805–1856), um 1820. Foto: Gemeinfrei

Hoch aufgestiegen und tief gefallen

Über ein Jahrzehnt lang hatten Napoleons Kriege Europa erschüttert und verwüstet, revolutioniert und umgestaltet – auf eine tiefgreifende Weise. Er war aufgestiegen, um die Macht in Frankreich nach den chaotischen Jahren der Französischen Revolution und der Hinrichtung des französischen Königs zu übernehmen.

„Napoleon I. (1769–1821) von Frankreich“, gemalt von Andrea Appiani (1754–1817). Öl auf Leinwand. Foto: Gemeinfrei

Napoleon war ein Mann von überwältigendem Ehrgeiz, auf dem Schlachtfeld so genial wie brachial und voll unermüdlicher Energie. Nach seiner Machtübernahme bemühte er sich um die Erschaffung eines aufgeklärten französischen Kaiserreiches, das weiterhin die Ideale der Revolution tragen sollte.

Für eine begrenzte Zeit gelang ihm dies. Auf dem Höhepunkt seiner Macht umfasste Napoleons Reich fast ganz Europa und er herrschte als Kaiser über mehr als 70 Millionen Menschen.

Außerdem führte er weitreichende Reformen des politischen, rechtlichen, militärischen und sozialen Systems durch. Dazu gehörten die Überarbeitung des Zivilrechts – bekannt als Code Napoléon –, die Verbesserung der Finanzverwaltung oder die Gründung einer Nationalbank. Darüber hinaus erneuerte er das Bildungssystem, organisierte das Militär neu, ließ Straßen pflastern und eine Abwasserentsorgung installieren. Der Einfluss Napoleon Bonapartes war enorm hoch.

Krönung von Napoleon

„Krönung von Napoleon“, gemalt von Jacques-Louis David (1748–1825) um 1806–1807. Öl auf Leinwand. Foto: Gemeinfrei

Doch ungeachtet seiner zahlreichen Siege, die Napoleon in seiner militärischen Karriere errungen hat, war auch er nicht unbesiegbar. Im Juni 1815 kam es schließlich in der Schlacht bei Waterloo in Belgien zu einer blutigen Katastrophe. Die Niederlage gegen die riesigen Streitkräfte Großbritanniens und Preußens war eine der wenigen, die Napoleon hinnehmen musste. Jedoch erwies sie sich als entscheidend, denn kurz darauf war er gezwungen, das Amt des Kaisers niederzulegen.

Er ergab sich den Briten, die ihn an den einsamsten und isoliertesten Ort schickten, den sie sich vorstellen konnten: die Insel St. Helena. Diese Wahl war nachvollziehbar, denn Napoleon war schon einmal aus dem Exil geflohen, als er nach der Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 auf die Insel Elba verbannt wurde.

„Napoleon I. verlässt Elba“, gemalt von Joseph Beaume (1796–1885). Öl auf Leinwand. Foto: Gemeinfrei

Napoleon zwischen Gucklöchern und Schimmel

Der britische Gouverneur von St. Helena, Hudson Lowe, war entschlossen, eine Wiederholung dieses Albtraums zu verhindern. Er schränkte Napoleons Bewegungsfreiheit ein, überwachte seine Kommunikation und schickte häufig britische Offiziere, um nach dem Gefangenen zu sehen.

Topografische Karte der Atlantikinsel St. Helena. Foto: Oona Räisänen (Mysid) und Furfur, Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0

Napoleon reagierte darauf, indem er in seinem Garten tiefer liegende Wege anlegte, um sich vor den Blicken der Offiziere zu verstecken. Außerdem schnitzte er kleine Gucklöcher in die Fensterläden seines Hauses, durch die er heimlich spähen konnte.

Jenes Haus, das diese Fensterläden trug, war ein düsterer Kontrast zu den Palästen, die Napoleon einst besessen hatte. Denn das sogenannte „Longwood House“ war baufällig, feucht und von Schimmel befallen. Die karge Behausung bot nicht nur Napoleon Unterschlupf, sondern auch seinen 28 Gefährten, die ihm ins Exil gefolgt waren. Unter diesen Männern war auch Comte de Las Cases, der das Gebäude als „eine erbärmliche Hütte, ein paar Meter im Quadrat“ beschrieb.

Das Longwood House auf der Insel St. Helena ist heute Museum. Foto: ZambeziShark/iStock

Ein anderer Begleiter, Graf de Montholon, schrieb über die Insel: „Das Tal von Jamestown glich einem Eingang zu den höllischen Gefilden […] nichts war zu sehen als Reihen von Kanonen und schwarze Klippen, die wie von Dämonenhand gebaut wurden, um die felsigen Gipfel zusammenzuhalten.“ Wenn St. Helena der Hölle glich, waren die Dämonen die Ratten, die die Insel bevölkerten.

Zeichnung des Longwood House, um 1837. Foto: Gemeinfrei

Ein Freigeist in Ketten

Dennoch war das Klima gemäßigt und gesund, und die Insel war nicht unansehnlich. Napoleon trug zur Schönheit der Insel bei, indem er kunstvolle Gärten entwarf und anlegte. Neben der Gartenarbeit diktierte Napoleon seine Memoiren, schrieb ein Buch über Julius Cäsar, studierte Englisch, las Klassiker und spielte Karten. Er wahrte den kaiserlichen Schein, indem er von den Männern verlangte, zum Abendessen in Militärkleidung, und von den Frauen in Abendkleidern und Schmuck zu erscheinen.

Dennoch müssen die Beschränkungen, die Einsamkeit und die Untätigkeit auf der Insel Napoleon schwer zu schaffen gemacht haben. Denn sein grenzenlos aktiver Geist war im Gegensatz dazu immer in Bewegung. Er, der über Nationen geherrscht hatte, besaß jetzt nur noch ein winziges, baufälliges Anwesen. Sein Blick, der einst über weite rauchverhangene Schlachtfelder schweifte, fand nun nur noch schroffe Felsen und karge Hügelkuppen. Dahinter erstreckte sich kilometerweit bis zum Horizont nichts anderes als das Meer.

Überall war der ehemalige Kaiser Frankreichs eingeengt. Zwar hätte Napoleon noch mehr von der Insel erkunden können, aber er lehnte dies aus Stolz ab. Denn jederzeit wäre er von einem britischen Offizier begleitet und bewacht worden.

Blick auf die Landschaft von St. Helena. Foto: Uwe Moser/iStock

Vielleicht lag es an Napoleons Bewegungsmangel und den schlechten Lebensbedingungen, dass er krank wurde. Oder aber es war die psychische Belastung der Gefangenschaft. Vielleicht war es auch die Tatsache, dass seine Frau Marie-Louise keine Nachricht schickte. Auch zu seinem Sohn hatte er keinen Kontakt.

Was auch immer die Ursache war, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich ab Ende 1817. Er litt an einer Magenkrankheit, möglicherweise an einem Geschwür oder Krebs. Im März 1821 war er ans Bett gefesselt. Er wusste, dass er im Sterben lag.

Die Ehefrau von Napoleon Bonaparte, Marie Louise von Österreich, mit ihrem gemeinsamen Sohn Napoleon II. Gemalt von Joseph Franque (1774–1833), Öl auf Leinwand. Foto: Gemeinfrei

Frieden mit dem Feind

Wie so oft, wenn ein Mensch weiß, dass er sterben wird, begann Napoleon, über die Ewigkeit und das Leben nachzudenken. Napoleon erkannte, dass auch er nicht über den unveränderlichen Gesetzen des Universums stand – einschließlich des Todes.

Als sich ein junger Arzt über Napoleons wachsende Religiosität lustig machte, antwortete er: „Junger Mann! Sie sind vielleicht zu klug, um an Gott zu glauben; ich bin noch nicht so weit. Nicht alle können Atheisten sein.“ Das Gefühl vertiefte sich mit der Zeit, und schließlich wollte Napoleon sich mit der Kirche seiner Kindheit, dem römischen Katholizismus, versöhnen.

Dies war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Denn Napoleon hatte ein Leben mit lockeren Sitten geführt, hatte direkt und indirekt Tausende oder gar Millionen von Menschen in den Tod geschickt und stand der Religion lange Zeit persönlich gleichgültig gegenüber.

Doch am erstaunlichsten ist die Tatsache, dass der Kaiser lange einen politischen Kampf mit der katholischen Kirche und ihrem Oberhaupt, Papst Pius VII. geführt hatte.

Portrait von Papst Pius VII., gemalt von Robert Lefèvre (1755–1830), um 1805. Öl auf Leinwand. Foto: Gemeinfrei

Zwar hatte Napoleon die Bedeutung der katholischen Kirche als Kraft in der französischen Gesellschaft und Kultur erkannt und zunächst versucht, sie durch das Konkordat von 1801 zu einem Verbündeten zu machen. Doch das Verhältnis zwischen Napoleon und der Kirche, insbesondere ihrem Oberhaupt, Papst Pius VII., verschlechterte sich im Laufe der Jahre.

Am Tiefpunkt der Beziehung kam es schließlich zu Zerwürfnissen: Napoleon beschlagnahmte päpstliche Gebiete und wurde daraufhin von Papst Pius VII. aus der Kirche verbannt. Als Vergeltung entführte Napoleon den Papst und hielt ihn sechs Jahre gefangen, bis die Husaren schließlich Pius VII. befreiten.

Napoleon lässt Papst Pius VII. inhaftieren

Gefangennahme von Papst Pius VII., angeordnet durch Napoleon Bonaparte. Foto: Benoit Lhoest, Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Der Sinneswandel Napoleons

Als auf dem kargen Außenposten St. Helena sein Leben wie die Flut dahinschwand, schrieb Napoleon in seinem Testament: „Ich sterbe im Schoß der Apostolischen und Römischen Kirche“, und verlangte, dass er nach katholischem Ritus bestattet werden solle.

Napoleons alter Feind, Papst Pius VII., erfuhr von Napoleons Wunsch, sich mit der Kirche zu versöhnen. Er sagte zu einem seiner Kardinäle: „Es wäre für mein Herz eine Freude wie keine andere, wenn ich dazu beitragen könnte, Napoleons Leiden zu lindern. Er kann für niemanden mehr gefährlich sein. Ich kann mir nur wünschen, dass er niemandem Gewissensbisse bereiten möge.“

Daher schickte der Papst einen Priester, Abbé Vignali, auf die weite und nicht ungefährliche Reise nach St. Helena. Vignali erreichte im April 1821 die Insel und trat vor Napoleon, der zu ihm sagte: „Ich bin in der katholischen Religion geboren. Ich möchte die Pflichten erfüllen, die sie mir auferlegt, und den Beistand empfangen, den sie mir gewährt.“ Er äußerte sich wohlwollend über Pius VII. und bedauerte ihr Zerwürfnis.

Napoleon auf dem Sterbebett

„Napoleon auf dem Sterbebett“, gemalt von Carl von Steuben (1788–1856), um 1828. Öl auf Leinwand. Foto: Gemeinfrei

Ein friedliches Ende

Am 29. April legte Napoleon in dem vom Wind gebeutelten Haus am Rande der Welt vor Vignali die Beichte ab und wurde von seinen Sünden losgesprochen. John Abbot schrieb in seinem Buch „Napoleon auf St. Helena“, dass Graf Montholon nach seiner Beichte „von dem ruhigen und friedlichen Ausdruck des Gesichts des Kaisers beeindruckt“ war.

In einem Nebenzimmer wurde ein kleiner Holzaltar aufgestellt und die Messe gelesen. Am Abend des 5. Mai, als ein tropischer Sturm tobte und gegen die Mauern von Longwood schlug, sprachen Napoleons Anhänger vor dem kleinen Altar die Gebete für den Sterbenden, während Napoleon lautlos einschlief.

Der tote Napoleon mit Lorbeerkranz

„Napoleon auf dem Totenbett am 5. Mai 1821“, gemalt von Horace Vernet (1789–1863). Öl auf Leinwand. Foto: Gemeinfrei

Die Hinterbliebenen bedeckten seinen toten Körper mit einem Mantel, den er oft in der Schlacht getragen hatte. Neben ihm legten sie sein Schwert und auf seiner Brust ein Kruzifix nieder. Napoleons letzte Schlacht war geschlagen.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „The Final Days of Napoleon Bonaparte and His Change of Heart“. (redaktionelle Bearbeitung kms)



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