Gamsutl: Das Machu Picchu des Kaukasus

Ein beschwerlicher Weg erwartet jeden, der das verlassene Bergdorf Gamsutl in der südrussischen Republik Dagestan besuchen möchte. Doch die Entbehrungen lohnen sich.
Titelbild
Majestätisch thront das verlassene Bergdorf Gamsutl über den Hängen des Kaukasus.Foto: Olga_Gavrilova/iStock
Von 24. Oktober 2024

Im Mittelalter bestand das beste Sicherheitssystem darin, sein Haus hoch oben auf einem steilen Berggipfel zu bauen. Die Khane, die das Gebiet des heutigen Dagestans im Süden Russlands beherrschten, wussten das zweifellos. Als die expandierenden Osmanen im 16. Jahrhundert ihre Macht in der Region auszuüben versuchten, sahen die Khane wahrscheinlich einen Sinn darin, sich und ihre Familien auf der Spitze einer Felskuppe im Kaukasusgebirge zu verschanzen.

Ein Zeuge der Jahrtausende

Die alte Bergfestung Gamsutl in Dagestan, die den Ruinen von Machu Picchu auf den Gipfeln der peruanischen Anden ähnelt, liegt zwischen den östlichen Hängen des Kaukasus und dem Kaspischen Meer. Bereits vor mindestens 1.600 Jahren soll es hier eine Siedlung gegeben haben; älteste Funde weisen sogar auf das 3. Jahrtausend vor Christus hin. 

Das Dorf wurde zunächst von den Anhängern des Zoroastrismus bewohnt. Später wurden die Bewohner Christen und dann Muslime. Das zeigen auch die archäologischen Funde von Grabmälern mit altpersischer Keilschrift und christlichen Kreuzen. Die Fassaden mancher Häuser weisen bis heute kunstvolle Verzierungen mit arabischen Buchstaben auf. Während Machu Picchu im 16. Jahrhundert aufgegeben wurde, blühte Gamsutl bis ins 20. Jahrhundert hinein.

Gamsutl, das kaukasische Machu Picchu. Foto: Anna_Anikina/iStock

Die Festung des Khans

Auf dem Berg Gamsutlme’er, der etwa 1.400 Meter über dem Meeresspiegel liegt, nutzten die Menschen die steilen Berghänge als Wände für ihre Steinhäuser, die sie auf dem vorspringenden Gipfel errichteten. Die steilen Klippen machten es leicht, Gamsutl zu verteidigen. Früher gab es hier etwa 300 Gebäude, in denen bis zu 3.000 Menschen lebten. 

Ein Steingebäude in Gamsutl. Foto: alkir/iStock

Der Name des Dorfes, das wie ein Schwalbennest inmitten der steinernen Felsen liegt, erzählt eine uralte Geschichte. Übersetzt aus der awarischen Sprache Dagestans bedeutet Gamsutl „am Fuße der Festung des Khans“, was darauf hinweist, dass ein Khan hier einst zum Schutz wohnte. Zu seinen Füßen liegt ein weiteres altes Dorf, das heute noch existiert. Dort hielt sich die Armee des Khans auf. Die Festung soll nie erobert worden sein.

Das Dorf Gamsutl wäre bereits vor Jahrhunderten beinahe der Geschichte zum Opfer gefallen. Doch im 19. Jahrhundert erlebte die Siedlung eine Wiedergeburt. Die älteren Behausungen verschwanden und die Bewohner errichteten Gebäude aus Steinen und Lehm. Die Dachbalken bedeckten sie mit Erde und Stroh.

Gamsutl soll zwischen 1.600 und 5.000 Jahre alt sein. Die heutigen Gebäude stammen allerdings aus dem 19. Jahrhundert. Foto: Pavel Sipachev/iStock

Die Häuser im Bergdorf wurden aus Steinen errichtet. Die Erbauer nutzten die steilen Klippen als Wände. Foto: Inna Giliarova/iStock

In den 1960er-Jahren begann der Niedergang

Noch um 1900 blühte Gamsutl. Die Siedlung erhielt einen Anschluss an das Stromnetz, zeitweise fuhren auch Busse in das Dorf (die frühere Straße wurde aber bei einem Unwetter weggespült). Es gab einen Kindergarten, eine Schule, einen Lebensmittelladen, ein Krankenhaus und eine Entbindungsklinik. Sogar ein Wanderkino kam in die Stadt, um Filme zu zeigen. 

Doch in den 1960er-Jahren führten die zunehmende Mobilität und die neuen Möglichkeiten in der Gesellschaft zu Veränderungen. Für die Bewohner von Gamsutl waren die nahegelegenen Städte attraktiver als das Leben auf dem Berggipfel. Vor allem für die jüngere Generation verlor das abgelegene und entbehrungsreiche Dorfleben schnell seinen Reiz. Die Bewohnerzahl schrumpfte.

Als der letzte Bewohner von Gamsutl im Jahr 2015 starb, verwandelte sich die Siedlung in ein Geisterdorf. Foto: Евгений Харитонов/iStock

Der letzte Bewohner starb 2015

Allerdings gingen nicht alle Bewohner; einige kamen sogar wieder zurück. Doch das konnte das Sterben des Bergdorfs nicht aufhalten. Im Jahr 2002 gab es nur noch 17 Einwohner. Bis 2010 sank diese Zahl auf zehn. 

Im 20. Jahrhundert gab es im Dorf Strom, einen Lebensmittelladen und sogar ein Krankenhaus mit einer Entbindungsstation. Foto: Евгений Харитонов/iStock

Das Dorf Gamsutl blühte bis etwa 1960. Danach fingen die Bewohner an, in größere Dörfer und Städte zu ziehen. Foto: Proxima13/iStock

Bald gab es in Gamsutl nur noch einen Bewohner, Abdulschalil Abdulschalilow, der hier geboren wurde. Er blieb und betrieb bis an sein Lebensende Gartenarbeit und Bienenzucht. Bevor er 2015 starb, empfing Abdulschalilow bereitwillig Touristen und führte sie durch sein abgelegenes Heimatdorf in den Bergen. Zudem verlieh er sich selbst den Titel „Bürgermeister von Gamsutl“. Fernsehsender berichteten über ihn.

Das nun verlassene Haus von Abdulschalil Abdulschalilow. Foto: Евгений Харитонов/iStock

Das einst blühende und uneinnehmbare Gamsutl ist heute ein verlassenes Geisterdorf. Allerdings ist es nun eine der größten Touristenattraktionen Dagestans und ein Magnet für Besucher aus aller Welt.

Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „Ruins of Ancient Village Thousands of Years Old Stand on Steep Mountain Peak—Here’s Who Built Them“. (redaktionelle Bearbeitung as)



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