Thomas von Aquin und das göttliche Geschenk der Vernunft



Vor fast 800 Jahren wurde Thomas von Aquin geboren. Vor 750 Jahren starb er als berühmter Theologe und Denker im Ruf der Heiligkeit. Sein faszinierendes und tiefes Denken ist bis heute wirkmächtig.


Triumph des Heiligen Thomas von Aquin, genannt „Doctor Angelicus“, umgeben von Heiligen und Engeln. Fresco von Andrea di Bonaiuto, 1366.
Triumph des Heiligen Thomas Aquinas, genannt „Doctor Angelicus“, umgeben von Heiligen und Engeln. Fresco von Andrea di Bonaiuto, 1366.Foto: Public Domain
Von 29. April 2024

Neun Kilometer von Aquino, einer kleinen Stadt im Latium zwischen Rom und Neapel, liegt die Ruine der Burg Roccasecca hoch auf einer felsigen Anhöhe. Einst war sie der imposante Sitz des stolzen Adelsgeschlechts der Grafen von Aquino.

Kurz vor oder nach dem Jahreswechsel von 1224 zu 1225 kam hier das siebte Kind des Grafen Landulf und seiner Frau Donna Theodora zur Welt und wurde auf den Namen Tommaso getauft.

Früher Weg ins Kloster Montecassino

Nur etwa eine Tagesreise zu Fuß entfernt hatte fast 700 Jahre zuvor der Heilige Benedikt von Nursia das Mutterhaus aller Benediktinerklöster in der unmittelbaren Nähe des Städtchens Cassino gegründet. Dorthin bringen die Eltern Tommaso im Alter von fünf Jahren 
und geben ihn in die Obhut seines Onkels, des Abtes von Montecassino.

Blick auf das Benediktinerkloster Montecassino. Foto: Radomił, CC BY-SA 3.0

Als Oblat, was im Lateinischen so viel wie „Hingegebener“ bedeutet, ist der Junge nun Teil der benediktischen Ordensfamilie. Das Oblationsversprechen, das seine Eltern für ihn abgeben, soll ihn lebenslang an den Orden binden. Heute wäre so ein Handeln kaum denkbar, im Hochmittelalter ist es jedoch keineswegs ungewöhnlich.

Das Ziel ist klar umrissen: Tommaso ist als jüngster Sohn der Familie für die geistliche Laufbahn bestimmt. Und auch die Hoffnung seiner Eltern mag mitschwingen, der junge Graf könne Jahre später möglicherweise seinem Onkel im einflussreichen Amt des Abtes nachfolgen.

Entscheidung für den Bettelorden der Dominikaner

Der tiefe Glaube an die frohe Botschaft Jesu Christi ist in Thomas lebendig; sein Weg nimmt jedoch eine andere Richtung, als es seine Eltern für ihn vorsehen. Nach einem Studium Generale im unweiten Neapel, zu dem ihm vom Abt geraten wird, tritt er dort in den jungen, erst wenige Jahrzehnte zuvor gegründeten Bettelorden der Dominikaner ein.

Den Gütern der Welt zu entsagen und gleichzeitig das göttliche Geschenk des Verstands zu schulen und zu nutzen, war das Anliegen des Ordensgründers, des Heiligen Dominikus.

In Gebet und Kontemplation verwurzelt tragen die Dominikaner als kenntnisreiche und begabte Prediger und Lehrer das Evangelium in die Welt hinaus. Besonders denk- und wissbegierige junge Menschen wie Thomas von Aquin zieht dieses apostolische Charisma geradezu magnetisch an.

Überfallen und festgesetzt

Thomas ahnt jedoch, dass seine Entscheidung für den Dominikanerorden auf den erbitterten Widerstand seiner Familie treffen wird. Er versucht also aus dem Einflussbereich der Conti d’Aquino zu entkommen – vergeblich.

Die Burgruine von Roccasecca, der ehemalige Familiensitz der Grafen von Aquin, auf einem Holzschnitt aus dem Jahr 1898 von Barberis – Strafforello Gustavo, La patria, geografia dell’Italia. Unione Tipografico-Editrice, Torino, 1898. Foto: Public Domain

Auf dem Weg nach Bologna wird er von zweien seiner Brüder überfallen und auf die heimatliche Burg Roccasecca gebracht. 
Über ein Jahr hält die Familie ihn hier fest und versucht ihn von seinem Plan abzubringen, er jedoch bleibt standhaft und unbeirrbar.

Aufbruch nach Paris und Köln

Im Herbst 1245 lässt ihn seine Familie schließlich ziehen. Er kehrt in den Konvent in Neapel zurück und erobert nun von hier aus die Geisteswelt des mittelalterlichen Europa. Bereits im selben Jahr bricht er nach Paris auf, um beim wohl berühmtesten dominikanischen Gelehrten seiner Zeit, dem Deutschen Albertus Magnus, zu studieren.

Der deutsche Gelehrte Albertus Magnus, geboren um 1200 in Lauingen an der Donau, dargestellt auf einem Fresco von Tommaso da Modena aus dem Jahr 1352. Foto: Public Domain

Drei weitere Jahre später folgt er seinem Lehrer als Assistent nach Köln, wo die beiden Ordensbrüder eine Dominikanische Hochschule ins Leben rufen, die sich bald zum intellektuellen Magnet für Studenten aus ganz Europa entwickelt.

Der „stumme Ochse“ und sein Widerhall

Auch Thomas von Aquin übernimmt in diesen vier Kölner Jahren Lehrveranstaltungen – in der damals internationalen Gelehrtensprache Latein. Außerhalb der Vorlesungen scheint er aber eher wortkarg gewesen zu sein.

Studenten verpassen dem wuchtigen Ordensbruder deshalb den Spitznamen „Bovis mutuus“, „stummer Ochse“.
 Albertus Magnus wiederum soll den Studentenscherz zum Anlass genommen haben, seinem Assistenten ein ganz besonderes Lob auszusprechen: Das „Brüllen der Lehre“ dieses „stummen Ochsen“, soll Albertus Magnus vorhergesagt haben, „wird in der ganzen Welt widerhallen“.

Große Wirkung und viele Anfeindungen

Und tatsächlich findet Thomas von Aquins Denken bald große Beachtung. 
Schon in Neapel war er erstmals mit der Philosophie des Aristoteles in Berührung gekommen.

Als gelehriger Schüler Alberts des Großen, des Wegbereiters der christlich mittelalterlichen Aristotelik, durchdringt er bald selbst immer tiefer das vorchristliche Denken des antiken Philosophen und bringt es in immer engere Beziehung zur christlichen Theologie.

Büste des antiken Philosophen Aristoteles, römische Kopie in Marmor nach dem griechischen Bronze-Original von Lysippos, das um 330 vor Chr. entstand. Der Alabaster-Mantel ist eine spätere Ergänzung. Foto: Jastrow, Public Domain

Zurück in Paris ist diese Symbiose zwischen der antiken, vorchristlichen Philosophie und dem christlichen Gottes- und Menschenbild eine von Thomas‘ wichtigsten Forschungs- und Lehrinhalten.

Er entdeckt viele bis dahin unerhörte gedankliche Parallelen und Verbindungen zwischen Aristoteles und der christlichen Lehre und wird so auch zum Ziel von theologischen Angriffen – bis hin zum schwerwiegenden Vorwurf der Häresie.

Unfassbare Schaffenskraft

Erst als Thomas von Aquin nach bewegten und konfliktreichen Jahren nach Italien zurückkehrt, kann er sich verstärkt dem Verfassen seiner Schriften widmen. 
Wie sein Privatsekretär berichtet, tut er dies mithilfe von bis zu vier Schreibern, in deren Mitte er steht, um ihnen gleichzeitig unterschiedliche Texte diktieren zu können.

In Kommentaren zur Heiligen Schrift, zu den Schriften des Aristoteles und vor allem in den beiden großen Darstellungen, der „Summa contra Gentiles“ und der „Summa Theologiae“ legt er eine zeitlos faszinierende Sicht auf das Zusammenwirken von Glauben und Vernunft dar. Bei Thomas von Aquin entfaltet sich so ein umfassendes christliches Weltbild, das von den Planeten zum Gestein, von der belebten Natur bis hin zum Menschen, über die Chöre der Engel bis hin zu Gott reicht.

Der „unbewegte Beweger“

Der Begriff des „unbewegten Bewegers“, bei Aristoteles ein physikalisches Prinzip, wird in Thomas von Aquins „fünf Wegen der Gotteserkenntnis“ zum Synonym für Gott.

Denn alles, was existiert, hat einen Anfang; alles, was geschieht, hat eine Ursache; jede Bewegung entsteht aus einem ersten Impuls heraus.
 Nichts kann aus dem Nichts entstehen. 
All das weist auf ein unerreichbares, übernatürliches Maximum, auf ein Erkennendes, Ursächliches und Lenkendes hin.

„Folglich IST ein Intelligentes, von dem alle Naturdinge auf ein Ziel zugeordnet werden“, schreibt Thomas von Aquin. 
Jede seiner bestechend logischen Argumentationsketten zur Gotteserkenntnis beschließt er mit den Worten „[…] und das nennen wir ‚Gott‘.“

Großer Denker, frommer Beter

Doch Thomas von Aquin ist nicht nur ein großer faszinierender Denker.
 Zeit seines Lebens ist er ein tief frommer Priester und Beter. Noch heute werden seine ergreifenden Gebete und liturgischen Hymnen voll gläubiger Innigkeit gesprochen und gesungen.

Das über 750 Jahre alte „Tantum ergo sacramentum“, das aus seiner Feder stammt, erklingt auch heute noch zur höheren Ehre Gottes.

Monstranz mit dem Allerheiligsten während einer Sakramentsandacht in der Herz Jesu Kirche in München. Traditionell wird bei Sakramentsandachten seit über 700 Jahren der Hymnus „Tantum ergo sacramentum“ von Thomas von Aquin nach gregorianischer Notation gesungen. Foto: Willuconquer, CC BY-SA 4.0

Minutenlange Vision

Am 6. Dezember 1273 hält Thomas von Aquin während der Zelebration der Heiligen Messe minutenlang inne. Über die Vision, die er erblickt, sagt er später, alles, was er geschrieben habe, erschiene ihm nun wie Stroh – „verglichen mit dem, was ich geschaut habe“.

Er stellt die Arbeit an seinen Schriften ein. Am 7. März 1274 stirbt er auf dem Weg von Neapel zum Konzil von Lyon auf der ersten Wegstrecke, im Benediktinerkloster Fossanova, nur 60 Kilometer von der Burg Roccasecca entfernt, in der er 49 Jahre zuvor das Licht der Welt erblickte.

Blick auf das Benediktinerkloster Fossanova, das etwa 50 Kilometer von Aquino entfernt liegt. Foto: ENIT – Agenzia Nazionale del Turismo (Ausschnitt), CC BY-SA 4.0

Schon 1323 wird Thomas von Aquin, der Doctor Angelicus, der engelsgleiche Gelehrte, heiliggesprochen und 244 Jahre später, 1567, zum Kirchenlehrer ernannt.



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