„Rom zur vorherigen Größe verhelfen“: Das juristische Vermächtnis von Kaiser Justinian
Soziale Zersplitterung, politische Polarisierung, Fraktionszwang, schwindende staatliche Kapazitäten, militärische Überlastung, Pandemien und so weiter. Beschreibe ich unsere heutige Zeit oder das sechste Jahrhundert?
Im sechsten Jahrhundert war das Römische Reich mehr als 1.000 Jahre alt und befand sich in einem schlechten Zustand. Die alte Stadt Rom war außer Mode gekommen. Der kaiserliche Hof war nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, verlegt worden.
Germanische Truppen eroberten mehrere Generationen lang die meisten der westlichen Provinzen zurück. Im Osten rückte das Iranische Reich immer näher an die instabile Grenze heran, die sich vom Kaukasus nach Süden bis nach Arabien erstreckte – häufige kriegerische Auseinandersetzungen inklusive.
Das Schicksal Armeniens, des wichtigsten Königreichs zwischen Iran und Rom, stand auf dem Spiel. Die Steuern waren hoch, der Handel unsicher und das alte römische Rechtssystem war ein Sammelsurium von widersprüchlichen Gesetzen, die Hunderte Jahre zurückreichten.
Aufstieg eines Bauern
Vor fast 1.500 Jahren, im April des Jahres 527, wurde ein Bauer aus dem heutigen Mazedonien römischer Kaiser. Sein ursprünglicher Name war Petrus Sabbatius, aber als Kaiser trug er den Namen Justinian I. „Rom wieder groß machen“ soll sein Motto gewesen sein.
Er hatte einen äußerst ehrgeizigen Plan zur Reform und Erneuerung. Sein großer Traum war es, die römische Herrschaft im Westen wiederherzustellen und die zerrissene Mittelmeerwelt wieder zu vereinen. Dabei begannen seine Reformen vor allem mit dem Rechtssystem.
Er beauftragte ein Komitee von Juristen aus Beirut und Konstantinopel, welches der Rechtsprofessor Tribonian leitete. Sie beseitigten alle Unklarheiten sowie widersprüchlichen Gesetze und Rechtsauffassungen – deren Wurzeln bis in die Zeit der Römischen Republik zurückreichten – und strichen alles Überflüssige. Justinian nahm regen Anteil an den Arbeiten und trieb sie in rasantem Tempo voran.
Zeitlose Gesetze
Das Ergebnis waren der sogenannte „Codex Justinianus“, alle bis dahin erlassenen Gesetze, die Digesta, eine juristische Enzyklopädie, und die Institutiones, ein juristisches Lehrbuch. Sie alle sind als das Gesetzbuch „Corpus iuris civilis“ bekannt. Später kamen weitere Aktualisierungen und Erweiterungen in Form von Justinians „Novellae“ hinzu.
Justinians kompromisslose Konzentration auf die Rechtsreform war äußerst erfolgreich. Sie war sogar so weitreichend, dass es für Historiker sehr schwierig festzustellen ist, wie das römische Recht vor den Veränderungen aussah. Der beste Beweis für den Erfolg ist jedoch die Tatsache, dass das Römische Reich noch fast 1.000 Jahre lang existierte. Das Byzantinische Reich, wie wir es heute nennen, war eigentlich nur das langlebige Oströmische Reich, das bis 1453 bestand.
Aber Justinians Werk überdauerte selbst das und sein Gesetzbuch wurde zur Grundlage des modernen europäischen Zivilrechts. Der Einfluss dieses Rechtssystems erreichte sogar die Neue Welt in Form der Bürgerlichen Gesetzbücher von Quebec (Kanada) und Louisiana (USA).
Widerstände, Kriege und Krankheiten
Keine der anderen Bestrebungen von Justinian waren so erfolgreich. Viele sahen in ihm nur einen bäuerlichen Emporkömmling und bezweifelten seine Legitimität. Sie hassten viele seiner Maßnahmen und rebellierten. Justinian reagierte darauf, indem er 30.000 Demonstranten niederschlug.
Seine Kriege im Westen waren größtenteils innenpolitische Ablenkungen und Legitimationsbestrebungen. Die Bemühungen um die Rückeroberung Italiens kosteten jedoch viel Geld und führten zur Zerstörung und Entvölkerung großer Teile des Landes.
Indes entwickelte sich der germanische Widerstand zu einem Aufstand. Die darauffolgenden Umwälzungen machten Italien für Gelehrte unwirtlich und führten zum Aussterben des alten römischen Senats. Das, was manche immer noch als das „dunkle Zeitalter“ des Abendlandes bezeichnen, ist größtenteils Justinian zuzuschreiben.
Auch die scheinbar endlosen Konflikte mit dem Iran brachten keine nennenswerten Erfolge. So trug Justinians Religionspolitik mehr zur Spaltung als zur Einigung der christlichen Welt bei.
Und dann kam auch noch die Pest hinzu. Die in den 540er-Jahren ausgebrochene Krankheit verbreitete sich wie ein Lauffeuer und tötete rund 30 Prozent der römischen Bevölkerung. Alles geriet aus der Ordnung – die Städte waren verwüstet und die Überlebenden geschwächt und demoralisiert.
Es ist nie zu spät für eine Veränderung
Wer nun erwartet, dass eine Persönlichkeit wie Justinian wieder Ordnung herstellen würde, den sollte die Geschichte des sechsten Jahrhunderts eines Besseren belehren. Trotz all seiner Bemühungen ließ der römische Kaiser seinen Staat verarmt zurück und verstrickte sich fast überall in Kriege.
Das Beispiel Justinians, der versuchte, die Welt durch Eroberung und Regimewechsel neu zu gestalten, hätte den Neokonservativen in den 2000er-Jahren eine Warnung sein müssen. Und seine Politik der totalen religiösen Vereinheitlichung ist eine Warnung für alle ideologischen Puristen.
Aber seine Rechtsreform war ein Triumph. Und das ist das Beispiel, dem wir nacheifern sollten. Die westlichen Rechtssysteme und die Regierungen, die sich auf sie stützen, sollten gestärkt und gefestigt statt ausgeweidet und gedankenlos liberalisiert werden.
Die Ausbildung einer neuen Generation von kompetenten Rechtsgelehrten, Bürokraten und Politikern hätte uns mehr gebracht als die unrealistischen militärischen Abenteuer der letzten 20 Jahre. Und wenn die Rechtsreform etwas beweist, dann, dass es nie zu spät sein kann, die Dinge zu ändern. Hoffen wir, dass wir uns dies bald zu Herzen nehmen.
Über den Autor:
Michael Bonner ist Berater für Kommunikation und öffentliche Ordnung bei „Atlas Strategic Advisors“. Er hat an der Universität Oxford in iranischer Geschichte promoviert und ist zusätzlich als Buchautor tätig.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „The Lasting Legacy of Emperor Justinian’s Efforts to ‘Make Rome Great Again’“ (redaktionelle Bearbeitung lwl)
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