Heißhunger verstehen und besiegen – ohne Disziplinzwang

Es ist immer dasselbe Bild: Ein langer Tag, der Abend naht, und plötzlich ist sie da – diese unbändige Lust auf etwas Süßes, Salziges oder Fettiges. Nicht ein kleines Verlangen, nein, ein innerer Drang, der sich kaum ignorieren lässt. Heißhunger. Ein Wort, das nicht nur den Magen beschreibt.
In der Praxis sehe ich zahlreiche Menschen, die mit diesem Phänomen kämpfen. Sie schämen sich, halten sich für disziplinlos. Doch ich sage ihnen immer: Heißhunger ist kein Charakterfehler, er ist eine Botschaft des Körpers – und der Seele.
Die Biologie hinter dem Verlangen
Heißhunger ist oft das Resultat einer Blutzuckerachterbahnfahrt. Wer den Tag mit einem Brötchen und Marmelade beginnt, schickt seinen Blutzuckerspiegel auf eine steile Bergfahrt. Doch was schnell steigt, fällt ebenso rasant. Zwei, drei Stunden später kommt der Absturz – und mit ihm die Gier nach dem nächsten schnellen Energieschub.

Weizenbrötchen mit Marmelade treiben den Blutzucker rasant in die Höhe und unterstützten Heißhungerattacken. Foto: Stefanie Keller/iStock
Doch der Blutzucker ist nicht der einzige Schuldige. Ein Mangel an bestimmten Nährstoffen wie Magnesium, Chrom oder B-Vitaminen kann ebenso das Verlangen antreiben. Und dann sind da noch die Hormone.
Stress schüttet Cortisol aus, das wiederum die Lust auf Zucker fördert. Besonders Frauen kennen das Spiel im Zyklusverlauf, wenn der Progesteronabfall kurz vor der Menstruation das Schokoladenbedürfnis auf die Spitze treibt.
Heißhunger: Wenn die Seele mitisst
Doch Heißhunger ist nicht nur biochemisch. Er ist auch emotional. Viele meiner Patienten greifen zu Essen, um Lücken zu füllen: Langeweile, Einsamkeit, Stress. In unserer modernen Welt sind wir oft so im Außen gefangen, dass wir die leisen Stimmen unseres Inneren überhören. Der Griff zur Tafel Schokolade wird dann zum Versuch, sich selbst Trost zu spenden.
Eine Patientin sagte einmal: „Wenn ich abends endlich auf dem Sofa sitze, fühle ich mich so leer. Das Eis im Gefrierschrank ist dann wie eine Umarmung.“ Diese Leere, dieser Wunsch nach Geborgenheit, ist oft der wahre Kern des Heißhungers.
Wege aus dem Teufelskreis
Was also tun? Wie durchbricht man diesen Kreislauf, ohne in die Falle der Selbstanklage zu tappen? Hier sind die Ansätze, die sich in meiner Praxis immer wieder bewährt haben:
1. Stabile Blutzuckerwerte schaffen
Der Schlüssel liegt im Gleichgewicht. Beginnen Sie den Tag mit einer proteinreichen Mahlzeit, die auch gute Fette enthält: Eier, Avocado oder ein Quark mit Obst – was ich persönlich bevorzuge. Vermeiden Sie isolierte Kohlenhydrate wie Zucker oder weißes Brot – vor allem mit Marmelade.
Auch das Abendessen sollte ausgewogen sein, zum Beispiel durch eine Kombination aus Eiweiß, gesunden Fetten und ballaststoffreichem Gemüse. Bedeutsam ist: Sie sollten etwas finden, was sinnvoll ist und was Sie auch jeden Tag gern essen würden. Kaufen Sie die entsprechenden Zutaten, sodass diese immer vorrätig sind.

Ein Abendessen aus Eiweiß, gesunden Fetten und Gemüse hilft, Heißhunger vorzubeugen. Foto: bhofack2/iStock
2. Nährstoffmängel beheben
Die meisten Patienten mit Heißhunger haben ein Defizit an bestimmten Mineralstoffen oder Vitaminen. Magnesium kann abendlichen Heißhunger lindern, während Chrom hilft, den Blutzuckerspiegel zu stabilisieren. Es gibt ein paar empfehlenswerte Kombipräparate, welche die wichtigsten Vitalstoffe in einer Kapsel anbieten. Diese finden Sie unter dem Begriff „Blutzuckerregulat“.
3. Emotionalen Hunger erkennen
Fragen Sie sich beim nächsten Anflug von Heißhunger: Habe ich wirklich Hunger? Oder brauche ich etwas anderes – Ruhe, Trost, Ablenkung? Oft hilft es, sich für ein paar Minuten hinzusetzen, tief durchzuatmen und in sich hineinzuhorchen.
4. Schlaf und Stressmanagement
Chronischer Schlafmangel ist ein Turbo für Heißhunger. Wer müde ist, produziert mehr Ghrelin – das Hormon, das den Appetit ankurbelt. Achten Sie auf mindestens sieben Stunden Schlaf pro Nacht. Ebenso wichtig ist der Stressabbau: Meditation, Spaziergänge in der Natur oder einfach nur ein gutes Buch können Wunder wirken.
5. Kein Zucker vor dem Schlafengehen
Er lässt nicht nur den Blutzucker steigen und wieder abstürzen, sondern hemmt auch die Ausschüttung von Wachstumshormonen (HGH), die während der Nacht für Regeneration und Zellreparatur sorgen. Der Schlaf wird unruhiger, die Erholung geringer – ein Teufelskreis, der den nächsten Tag mit erneutem Verlangen beginnen lässt. Zucker ist dabei übrigens ebenso bedenklich wie Alkohol. Mein Rat: Zwei Stunden vor dem Schlafen nichts mehr essen.

Auch Alkohol kann zu Heißhungerattacken führen. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
6. Bewusste Alternativen finden
Wenn das Verlangen nach etwas Süßem übermächtig wird, greifen Sie zu natürlichen Alternativen: Ein paar Datteln mit Nüssen, dunkle Schokolade (ab 85 % Kakao) oder ein warmes Glas Hafermilch mit Zimt können das Verlangen stillen, ohne die Blutzuckerachterbahn zu füttern.
Zimt ist dabei nicht nur ein aromatischer Genuss, sondern auch ein bewährter Regulator des Blutzuckerspiegels, der das Verlangen nach Süßigkeiten sanft dämpfen kann. Achten Sie dabei auf hochwertigen Ceylon-Zimt, der im Gegensatz zum häufiger verbreiteten Cassia-Zimt weniger Cumarin enthält und somit gesünder ist.

Zartbitterschokolade, Nüsse und Zimt sind süße Helfer gegen Heißhunger. Foto: Farion_O/iStock
Mit Freundlichkeit statt Strenge gegen Heißhunger
Der vielleicht wichtigste Rat ist jedoch: Seien Sie nachsichtig mit sich selbst. Heißhunger ist keine Schwäche, sondern ein Signal. Er zeigt, dass irgendwo ein Ungleichgewicht besteht – körperlich oder seelisch.
Am Ende ist es wie so oft in der Naturheilkunde: Nicht das Unterdrücken der Symptome, sondern das Verständnis der Ursache bringt die wahre Heilung. Heißhunger ist eine Einladung, genauer hinzuschauen – und sich selbst das zu geben, was wirklich nährt.
Über den Autor

René Gräber. Foto: privat
René Gräber studierte Pädagogik und Sportwissenschaften. Aufgewachsen in einer Ärztefamilie, kam er früh mit der Medizin in Kontakt – vor, unter und hinter dem Arzttisch. Bereits in seinen Zwanzigern war seine Krankenakte „so dick wie die mancher 70-Jährigen“.
Sein eigenes Leid führte ihn jenseits der klassischen Medizin schließlich zur Naturheilkunde. Die erfolgreiche Selbstbehandlung legte den Grundstein für seine seit 1998 bestehende Praxis mit den Schwerpunkten Naturheilkunde und Alternativmedizin.
Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker. Für Informationen zu Dosierung, Anwendung und unerwünschten Effekten von Heilpflanzen wird eine Beratung in der Apotheke empfohlen.
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion