
Studie: Antidepressiva beschleunigen geistigen Verfall bei Demenzpatienten
Die Einnahme von Antidepressiva steht laut einer neuen schwedischen Studie bei Patienten mit Demenz mit einem schnelleren kognitiven Verfall in Verbindung. Der Zusammenhang zwischen Demenz und Depression ist jedoch komplex.

Viele Menschen mit Demenz leiden auch an verschiedenen Formen von Depressionen.
Foto: istock
Depressionen sind bei Menschen mit Demenz sehr häufig. Da die beiden Erkrankungen eng miteinander verbunden sind, können Depressionen das Risiko einer Demenz erhöhen und umgekehrt.
„Depressive Symptome können sowohl den kognitiven Verfall verschlimmern als auch die Lebensqualität beeinträchtigen, daher ist es wichtig, sie zu behandeln“, sagte Mitautorin Sara Garcia-Ptacek, Forscherin am Institut für Neurobiologie, Pflegewissenschaften und Gesellschaft am schwedischen Karolinska-Institut, in einer Presseerklärung.
Die Studie zeigte, dass nicht nur verschiedene Dosen, sondern auch verschiedene Arten von Antidepressiva unterschiedlich starke Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit der Demenzpatienten hatten.
„Unsere Ergebnisse können Ärzten und anderen medizinischen Fachkräften dabei helfen, Antidepressiva auszuwählen, die besser für Demenzpatienten geeignet sind“, fügte sie hinzu.
Verschiedene Antidepressiva, unterschiedlich starke Auswirkungen
Die im Februar in der Fachzeitschrift „BMC Medicine“ veröffentlichte Studie untersuchte über einen Zeitraum von insgesamt elf Jahren fast 19.000 Demenzpatienten und kam zu dem Ergebnis, dass vor allem höhere Dosen von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), einer Art Antidepressiva, mit einer schnelleren kognitiven Verschlechterung verbunden waren. Dies war insbesondere bei Patienten mit schwerer Demenz oder vaskulärer Demenz, einer Art von Demenz, die durch eine verminderte Durchblutung des Gehirns verursacht wird, der Fall.
Dasselbe Muster zeigte sich jedoch etwas schwächer ausgeprägt bei allen untersuchten Patientengruppen. Dies beinhaltet Patienten mit Alzheimer-Krankheit, gemischter Demenz und Patienten ohne Depressionen in der Vorgeschichte, was darauf hindeutet, dass der Zusammenhang nicht auf bestimmte Patientenprofile beschränkt war.
Die Abnahme der kognitiven Funktion wurde mithilfe des Mini-Mental-Status-Tests (MMST) bewertet, eines Standardinstruments zur Beurteilung der geistigen Leistungsfähigkeit. Der MMST dient zur Demenzerkennung und zur Beobachtung kognitiver Veränderungen im Laufe der Zeit. Dabei werden für die Bewertung unterschiedliche Aspekte wie Orientierung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache und visuell-räumliche Fähigkeiten überprüft.
Während der Studie reichten die Teilnehmer fast 12.000 Rezepte für Antidepressiva ein. Am häufigsten wurden Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verschrieben, die den Spiegel des „Glückshormons“ Serotonin erhöhen und fast 65 Prozent aller Verschreibungen ausmachten.
Einige Antidepressiva hatten einen stärkeren Einfluss auf den kognitiven Abbau. Escitalopram (Lexapro) verursachte laut den Studiendaten den schnellsten Abbau, gefolgt von Sertralin (Zoloft) und Citalopram (Celexa).
Mirtazapin (Remeron) führte ebenfalls zu einem kognitiven Abbau, allerdings in einem langsameren Tempo. Dieses Antidepressivum gehört nicht zur Kategorie der SSRI und hat einen anderen Wirkmechanismus.
Während SSRIs den Serotoninspiegel im Gehirn erhöhen wirkt Mirtazapin auf zwei Signalstoffe gleichzeitig: Es steigert sowohl Serotonin als auch Noradrenalin – einen Stoff, der unter anderem Aufmerksamkeit und Antrieb beeinflusst.
„Unsere Studie kann nicht unterscheiden, ob diese Ergebnisse auf die Antidepressiva selbst oder auf die zugrunde liegende psychiatrische Indikation zurückzuführen sind“, schreiben die Autoren.
Obwohl Demenzpatienten, die Antidepressiva einnahmen, eine deutlich messbare schnellere Verschlechterung der geistigen Fähigkeiten aufzeigten als Patienten mit Demenz, die keine Antidepressiva einnahmen, waren die Veränderungen der Studie zufolge jedoch „klinisch nicht signifikant“. Patienten, die SSRIs einnahmen, verloren zwischen 0,25 und 0,76 Punkte pro Jahr mehr bei der Untersuchung ihres psychischen Zustands beim durchgeführten Mini-Mental-Status-Test als Patienten, die keine Antidepressiva einnahmen. Laut den Kriterien des Testes, bei dem man ein Maximum von 30 Punkten erreichen kann, gelten aber erst Verschlechterungen um 1 bis 3 Punkte pro Jahr als so gravierend, dass sie sich direkt auf die Aktivitäten des täglichen Lebens oder die Selbstständigkeit auswirken.
Zusammenhänge zwischen Demenz und Depression
Die Forscher planen in zukünftigen Studien zu untersuchen, ob bestimmte Patientengruppen wie Menschen mit bestimmten Demenzformen oder bestimmten Biomarkern besser oder schlechter auf verschiedene Antidepressiva ansprechen. Ziel sei es, diese Untergruppen zu identifizieren, um eine individuell passende Versorgung zu ermöglichen, so Garcia-Ptacek.
Der Zusammenhang zwischen Demenz und Depression ist laut dem aktuellen Stand der Forschung komplex. „Antidepressiva werden bei Demenzpatienten häufig eingesetzt, um neuropsychiatrische Symptome wie Angst, Depression, Aggression und Schlafstörungen zu lindern“, schreiben die Autoren der Studie. Die Forschung zum therapeutischen Nutzen von Antidepressiva bei Demenzpatienten ist jedoch noch sehr begrenzt.
Antidepressiva könnten bei Demenzpatienten weniger wirksam sein, „möglicherweise weil eine Depression bei Demenz eine andere Krankheit ist als eine Depression bei Menschen mit intakter Kognition“, so die Autoren der Studie.
Bei manchen Menschen können die Herausforderungen, die ein Leben mit Demenz mit sich bringt, wie zum Beispiel der Verlust der Unabhängigkeit, Gefühle der Traurigkeit oder Verzweiflung auslösen. Bei anderen können sich die durch die Krankheit verursachten Hirnschäden direkt auf Bereiche auswirken, die an der Stimmungsregulierung beteiligt sind und zu depressiven Symptomen beitragen. Depressionen können sich früh im Verlauf einer Demenzerkrankung entwickeln oder erst später auftreten und sowohl ein Symptom als auch ein potenzieller Risikofaktor für die Erkrankung sein.
Dies verkompliziert die Zusammenhänge, da sich viele Symptome der Demenz – wie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme – mit denen der Depression überschneiden, was die Diagnose erschwert.
Ebenso können die Symptome einer Depression – wie Schlafstörungen oder Unruhe – auch einer geistigen Verschlechterung ähneln, wie sie bei Demenz auftritt. In einer 2019 durchgeführten Untersuchung wurde festgestellt, dass insbesondere ältere Erwachsene mit Alzheimer-Krankheit nicht immer die klassischen diagnostischen Kriterien für eine schwere Depression erfüllen, sodass die Grenzen zwischen den beiden Erkrankungen weiter verschwimmen.
Darüber hinaus geht eine Depression oft mit Angstzuständen einher, und bei Demenzpatienten werden dieselben Medikamente zur Behandlung von Angstzuständen eingesetzt. Eine im März durchgeführte Analyse an Patienten mit Demenz ergab allerdings keine Verbesserung der Angstzustände nach einer Behandlung mit Antidepressiva im Vergleich zu einem Placebo.
Angesichts der Komplexität dieser Beziehung ist es von entscheidender Bedeutung, die Symptome sowohl von Depressionen als auch von Demenz sorgfältig zu untersuchen. Die Behandlung von Depressionen bei Demenz kann die Lebensqualität verbessern, erfordert jedoch eine sorgfältige Überwachung, um einen weiteren kognitiven Verfall zu verhindern. Dies gilt insbesondere für Patienten mit einem höheren Risiko für Stürze oder andere gesundheitliche Probleme, so die schwedischen Forscher.
Zusätzliche Unterstützung bei Demenz und Depression
Die Alzheimer’s Society empfiehlt folgende nicht medikamentöse Strategien zur Linderung depressiver Symptome bei Menschen mit Demenz:
- Reden und Zuhören: Pflegen Sie offene Gespräche und bieten Sie ein offenes Ohr an, anstatt ungefragt Ratschläge zu geben. Ziehen Sie bei Bedarf ein Coaching oder eine Therapie in Betracht.
- Soziale Interaktion: Verringern Sie die Isolation durch persönliche Zuwendung – beispielsweise durch gemeinsame Spiele oder einfach durch Händchenhalten.
- Aktiv bleiben: Regelmäßige körperliche Aktivitäten wie Spaziergänge oder Tai-Chi können die Stimmung und die Schlafqualität verbessern. Nehmen Sie sich bewusst Zeit, um draußen in der Natur zu sein.
- Freude an Aktivitäten: Der Besuch spiritueller Veranstaltungen, kreative Aktivitäten oder gemeinsames Singen können erfüllend und sinnstiftend sein.
- Achten Sie auf Ihre Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung unterstützt die psychische Gesundheit. Vermeiden Sie übermäßigen Alkohol- oder Koffeinkonsum und essen Sie nach Möglichkeit gemeinsam mit Familie oder Freunden.
- Etablieren Sie positive Routinen: Ein strukturierter Tagesablauf mit angenehmen Aktivitäten hebt die Stimmung. Binden Sie die Betroffenen in alltägliche Aufgaben ein, um das Gefühl von Verbundenheit zu stärken.
- Stress reduzieren: Es lohnt sich, die Wohnumgebung ruhiger zu gestalten – weniger Unordnung und eine bessere Beleuchtung können eine beruhigende Atmosphäre schaffen.
Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Antidepressant Use Linked to Faster Cognitive Decline in Dementia Patients, Study Finds“. (redaktionelle Bearbeitung ee)
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