Dr. Maaßen: „Chinesische Spionage hat sich in den vergangenen Jahren verschärft“

Deutschland wird massiv von Peking ausspioniert. Das zeigen die jüngsten Festnahmen mutmaßlicher chinesischer Spione. Im Interview mit Epoch Times verrät der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes Dr. Hans-Georg Maaßen brisante Details über das Vorgehen dieser Agenten und wie die deutschen Behörden damit umgehen.
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Dr. Hans-Georg Maaßen: Unter Merkel war Deutschland zu offen für China.Foto: Omar Havana/Getty Images, Bildkomposition: Epoch Times
Von 3. Mai 2024

Die Festnahme des chinesischstämmigen Referenten Jian G., einem Mitarbeiter des AfD-Politikers Maximilian Krah, rückte das Problem der chinesischen Spionage wieder ins Rampenlicht. Spionage durch andere Länder – speziell durch China – gilt als großes Problem für die Staatssicherheit Deutschlands.

Um Genaueres über diesen jüngsten Vorfall zu erfahren, sprach die Epoch Times mit Dr. Hans-Georg Maaßen. Als ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsschutzes hat er jahrelange Erfahrung auf der höchsten Ebene der deutschen Staatssicherheit gesammelt.

Herr Dr. Maaßen, welche Erfahrungen haben Sie mit Chinas Geheimdiensttätigkeiten in Deutschland gemacht, als Sie den Bundesverfassungsschutz leiteten?

China hat das in der Vergangenheit ziemlich rustikal angepackt. Manche Geheimdienste sind sehr vorsichtig und forschen zunächst, welche Zielpersonen wirklich Informationen haben. Einige andere gehen hingegen ganz offensiv vor. Denen macht es nichts aus, wenn sie beim Forschen, Werben und Ansprechen auffliegen. Und zu denen gehören die Chinesen. Die gehen mit einem hohen Materialansatz rein, auch wenn sie immer wieder dabei ertappt werden.

Dass sie auffallen, ist denen egal. Denn nach deren Kalkulation erlangen sie am Ende genügend Informationen. Ihre Agententätigkeit ist praktisch schon auf alle Bereiche ausgeweitet. Das betrifft auch die wirtschaftliche Spionage. Während meiner Amtszeit ist klar geworden: Je großzügiger Deutschland im Verkauf deutscher Unternehmen war, desto geringer war das Interesse an Spionage gegen deutsche Unternehmen.

Ebenso ist politische Spionage ein wichtiger Bereich. Allerdings wird der Begriff der Spionage aus meiner Sicht in der Öffentlichkeit zu eng verwendet. Es geht nicht nur um kopierte Reden von Abgeordneten oder irgendwelche EU-Dokumente, die sie dann heimlich nach Peking schicken. Im Normalfall geht es eher darum, dass diese Leute auf die Politik, auf das Abstimmungsverhalten und darauf, wie China wahrgenommen wird, Einfluss nehmen sollen – und wie chinesische Interessen vertreten werden.

Aufgrund der kommunistischen Erziehung und des kommunistischen Regimes haben viele ins Ausland entsandte Chinesen ein hohes Maß an Loyalität gegenüber dem Staat – vielleicht weniger gegenüber der Partei, aber gegenüber dem Staat. Sie sehen es als eine Art Schuld dafür, dass sie ins Ausland geschickt wurden, privilegiert wurden, dass es ihnen besser geht als vielen anderen in der Heimat. Diese Schuld wollen sie dadurch wiedergutmachen oder abarbeiten, indem sie dem chinesischen Staat bereitwillig Informationen zur Verfügung stellen.

Was sind die wichtigsten Informationen, die die Chinesen so haben wollen? Welche Methoden wenden diese Spione an?

Hier gibt es verschiedene Themenbereiche. Da wären zunächst die Wirtschafts- und Forschungsspionage. Man kann sagen, je mehr Deutschland an Hochleistungstechnik und Forschungsergebnissen hatte, desto interessanter ist das für China. Ich glaube, in den vergangenen Jahren hat das etwas abgenommen, weil Deutschland hier vielleicht nicht mehr führend ist. Das betrifft zum Beispiel die Satellitentechnik. Von der Spionage betroffen sind Spezialtechniken im Bereich des Maschinenbaus, der Anlagentechnik und der chemischen Industrie.

Von Bedeutung ist auch die Spionage gegen Dissidenten in Deutschland. China selbst spricht da von den fünf Giften. Das sind aus deren Sicht Dissidenten wie Falun Gong, die Uiguren und andere. Zu wissen, was sie in Deutschland tun, wie sie denken, wie sie sich aufstellen – gegen diese Menschen wird Spionage betrieben. [Anm. d. Red.: Mit den fünf Giften sind die Gruppen der Uiguren, Tibeter, Falun-Gong-Praktizierende, die Demokratiebewegung und Pro-Taiwan-Aktivisten gemeint].

Der dritte Bereich ist eben die Politik. Hierbei will China erfahren, wie Deutschland, Brüssel und die verbündeten europäischen Staaten gegenüber China denken, wie sie agieren, wie die nächsten Schritte aussehen – und wie unsere Taiwanpolitik ist.

Schließlich gibt es noch Einflussoperationen. Das betrifft andere Staaten, die in Deutschland vertreten sind und wo China Informationen über die Politik dieser Staaten bekommen will. Das sind Entitäten wie Taiwan oder andere Staaten, die jedenfalls im politischen Interessenfadenkreuz von Peking stehen.

Wie hätte der Verfassungsschutz unter ihrer Leitung bei so einem Spionagefall wie dem aktuellen gehandelt?

Wenn bekannt geworden wäre, dass ein Mitarbeiter eines Abgeordneten für einen ausländischen Dienst arbeitet, dann würde normalerweise der Dienstchef selbst, also der Präsident des Verfassungsschutzes oder sein Vertreter oder der Chef der Spionageabwehr, ein Sensibilisierungsgespräch mit dem Abgeordneten führen. Er würde den Abgeordneten darauf hinweisen, dass er mutmaßlich Opfer eines Spionageangriffs durch seinen Mitarbeiter ist.

Wenn der Eindruck besteht, dass der Abgeordnete nicht ansprechbar ist oder er selbst nachrichtendienstlich verstrickt ist, würde man das Gespräch dann mit der Parteiführung, dem Parteivorsitzenden oder dem Fraktionsvorsitzenden führen, um sie darauf hinzuweisen.

Die Spionageabwehr ist in erster Linie Gefahrenabwehr. Also abwehren, dass dieser Mann Einfluss auf die Politik nehmen kann und Zugang zu Informationen hat. Eine Festnahme würde man erst dann durchführen, wenn diese Anhaltspunkte sich so verfestigt haben, dass man tatkräftige Beweise hat, die jedenfalls für einen Strafrichter ausreichend sind, um einen Haftbefehl auszusprechen.

Sind chinesische Spione in Deutschland besonders aktiv oder betrifft das auch andere Länder gleichermaßen?

Je bedeutender das Land und die Wirtschaft für chinesische Interessen ist, desto mehr Potenzial stecken sie rein, desto mehr Kapazitäten wenden sie dafür auf. Und Deutschland ist der größte, wirtschaftlich und politisch größte Staat der EU. Da stecken sie viel rein. Hinzu kommt, dass in Deutschland viele Dissidenten aus China sind. Und das ist ebenfalls ein Grund, in Deutschland Spionage gegen diese Gruppen zu betreiben.

Aber auch in anderen Ländern ist das der Fall – Großbritannien, Frankreich, Italien; auch mit Blick auf die dortige Wirtschaft. Ein anderer großer Schwerpunkt sind die EU-Institutionen in Brüssel. In der Vergangenheit war das immer ein Sorgenkind, weil für die EU-Institution grundsätzlich die Brüsseler, das heißt die belgischen Dienste und die belgischen Sicherheitsbehörden zuständig sind. Und diese sind mit dem Schutz der europäischen Institutionen überlastet.

Die EU kann sich aus eigener Kraft nur bedingt selbst schützen. Über die Tische der Europäischen Kommission gehen sehr viele Informationen und dort werden viele Entscheidungen vorbereitet, die für China von Interesse sein können.

Wie hat sich die Spionage aus Peking in den vergangenen Jahren entwickelt?

Ich glaube, in den vergangenen Jahren haben sich diese kontinuierlich verschärft. Dies liegt zum einen an außenpolitischen Konflikten, wo China frühzeitig erfahren will, wie Deutschland und Brüssel sich zu Themen aufstellen. Die Regierungsspionage ist also sehr wichtig, vor allem mit Blick auf die Spannungen mit den USA und Taiwan.

Darüber hinaus hat sich der internationale Wirtschaftswettbewerb verschärft, auch wegen der US-Außenwirtschaftspolitik. Das dürfte dazu geführt haben, dass China hier verstärkt Informationen generieren will.

Wie könnte man denn diese KP-Spionage am effektivsten bekämpfen? Halten Sie diese bisherigen Anstrengungen von Deutschland gegen chinesische Spionage für ausreichend?

Deutschland hat sich schon sehr intensiv damit beschäftigt. Da darf man nicht nur an den Bundesverfassungsschutz denken, sondern auch die Landesämter, die in den jeweiligen Regionen die Verantwortung tragen. Wir haben während meiner Zeit ein umfangreiches Konzept zum Thema Wirtschaftsschutz und Verfassungsschutz ausgearbeitet. Dabei werden Unternehmen, Handelskammern und Verbände über unsere Erkenntnisse im Bereich der chinesischen Wirtschaftsspionage informiert.

Selbstverständlich kann und müsste man noch viel mehr machen. Denn gegnerische Spionagedienste sind aufgrund ihres Potenzials, ihrer Ressourcen, aber auch aufgrund ihrer Aggressivität in einer Weise präsent, dass man als Inlandsgeheimdienst wie das BfV schwer in der Lage ist, dem Herr zu werden.

Sehen Sie hier das Videointerview mit Dr. Hans-Georg Maaßen:

Was können Sie über die Ära Merkel sagen in Bezug auf die Sicherheitsarchitektur mit Blick auf China? Hat sich danach etwas verändert?

Nach meinem Eindruck hatte Deutschland während der Ära Merkel keinerlei Berührungsängste mit dem kommunistischen Regime in Peking. Man ist mit Peking menschenrechtlich und außenpolitisch auf Augenhöhe umgegangen und hat den Chinesen in hohem Maße Zugang zu Deutschland, zur deutschen Wirtschaft und deutschen Unternehmen gegeben.

Das mag an politischer Naivität gelegen haben, weil man nicht gesehen hatte, dass China ein kommunistischer, ein aggressiver und auch ein in Teilen nationalistischer Staat ist. Es mag auch sein, dass dies durchaus billigend in Kauf genommen wurde, weil man sich sagte: Dadurch kurbeln wir die Außenwirtschaft an. Während der Amtszeit Merkel waren die Exporte nach China so groß, dass sehr viele Arbeitsplätze davon abhingen.

Nicht zuletzt muss ich sagen: Manche Entscheidungen waren fatal gewesen. Wenn ich daran denke, dass entgegen den Ratschlägen von deutschen und europäischen Geheimdiensten die Bundesregierung unter Merkel sich nicht gescheut hatte, Huawei – und damit der chinesischen KP – Zugang zum 5G-Netz zu verschaffen. Das ist aus meiner Sicht eine törichte, eine sicherheitspolitisch nicht tragbare Entscheidung gewesen.

Weder der Bundesverfassungsschutz, der sächsische Verfassungsschutz noch der Bundesnachrichtendienst haben dem Büro des Abgeordneten Krah gemeldet, dass der jetzt festgenommene Jian G. mutmaßlich ein chinesischer Agent ist. Warum sind diese Informationen nicht weitergegeben worden?

Dieser mutmaßliche chinesische Spion war wohl schon um 2015 oder früher aufgefallen. Sein Fall ist vom Bundesnachrichtendienst und vom Landesamt in Sachsen bearbeitet worden. Meine alte Behörde war ebenfalls daran beteiligt. So hat sich das jedenfalls für mich aus der Medienberichterstattung ergeben.

Nur zu dem Zeitpunkt war Dr. Krah noch kein Abgeordneter, weder des Bundestages noch des EU-Parlamentes. Daher wurde zu dieser Zeit wohl auch keine Berechtigung gesehen, ihn zu informieren. Anders sieht es jedoch aus, wenn er Mandatsträger ist, weil es dann tatsächlich um Spionage oder Einflussnahme geht. Nach meiner Kenntnis wurde er das erst 2019. Es entzieht sich meiner Kenntnis, warum er damals nicht unterrichtet wurde.

Als Chef in einer führenden Position hätte ich ihn jedenfalls damals unterrichtet. Oder zumindest, wie ich vorhin erklärte, die Parteiführung dann jedenfalls, wenn ich den Eindruck gehabt hätte, ihn kann man jedenfalls mit unserer Sensibilisierung nicht erreichen, dann wäre ich jedenfalls an die Parteiführung herangegangen.

Wie ist das überhaupt möglich, dass Jian G. im Büro eines deutschen Abgeordneten eingestellt werden kann, obwohl der Geheimdienst davon wusste, dass dieser sich ab 2007 als Informant für die Gegenseite angedient hat?

Das entzieht sich auch meiner Kenntnis. Ich kann nur ganz allgemein sagen: Mitarbeiter von Abgeordneten werden keiner Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Es ist nicht so, dass der Abgeordnete beim Verfassungsschutz anfragt, ob Erkenntnisse über ihn vorliegen.

Wenn der Abgeordnete das machen würde und es auch für ihn das Recht gäbe, Informationen zu erhalten, dann würden diese Informationen auch fließen. Aber es gibt auch keinen Automatismus, Informationen zu jedem Mitarbeiter einzufordern.

Ist das eine gewisse Sicherheitslücke oder generell Usus?

Das ist generell Usus. Es gibt nun auch Parteien im Deutschen Bundestag, die Extremisten in ihren eigenen Reihen haben. Es gab mal einen Mitarbeiter, ich glaube der Partei Die Linke, der ein verurteilter RAF-Terrorist war. Der Verfassungsschutz hat nicht die Befugnis zu sagen, dass solche Leute nicht eingestellt werden dürfen.

Der Verfassungsschutz hielt sich in der Vergangenheit generell sehr zurück, jedenfalls was die Mitarbeiter von Abgeordneten angeht. Erst wenn bekannt würde, dass sie ausländische Agenten sind, einer Terrororganisation angehören oder Islamisten wären, dann ginge der Verfassungsschutz auf die Abgeordneten zu.

Der deutsche Geheimdienst hatte eine Zusammenarbeit mit Jian G. abgelehnt, weil dieser mutmaßlich bereits für die chinesische Seite arbeitet. Können Sie erklären, warum Jian G. nicht ermittelt oder ausgewiesen wurde, sondern eingebürgert wurde und bei Politikern arbeiten konnte?

Nein, das ist Medienlage und ich weiß nicht, inwieweit diese Aussagen belastbar sind. Jemand, der als Informant für einen ausländischen Dienst agiert, ist gewöhnlich keine bezahlte Quelle. Wir unterscheiden zwischen einer V-Person, einem verdeckten Mitarbeiter und einem Informanten.

Verdeckte Mitarbeiter sind die klassischen Agenten, die für einen Dienst arbeiten. V-Personen sind Menschen, die geführt werden, die aber nicht zum Dienst gehören, die angeworben werden, aber die auch Aufträge bekommen. Dazu gehört zum Beispiel die Informationsbeschaffung oder operative Maßnahmen, wie dafür zu sorgen, dass ein Politiker bei der Abstimmung im Parlament sich der Stimme enthält oder was auch immer.

Informanten sind Leute, die manchmal einfach abgeschöpft werden, ohne dass sie unbedingt wissen, wem sie die Informationen geben.

Entscheidend ist, dass Informanten keine Aufträge erhalten. Die Tatsache, dass jemand Informant für einen anderen Dienst war, ist deshalb nicht automatisch ein Grund, ihn als nachrichtendienstlichen Agenten einzustufen. Und so mag es jetzt auch in diesem Fall gewesen sein.

Allerdings kenne ich in diesem konkreten Fall die Aktenlage nicht. Aber wenn es so war, dann wird es auch dazu geführt haben, dass keine durchgreifenden Einwände gegen eine Einbürgerung vorlagen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Maurice Forgeng.



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