Fast 3 Euro pro kWh: Technik-Panne erhöhte Strompreis – Hunderte Millionen Euro Schaden

Ende Juni hat eine IT-Panne die Börsenstrompreise durch die Decke schießen lassen. Jetzt ist bekannt geworden, wie hoch der Schaden tatsächlich ist. Laut Experten zeigt der Vorfall vor allem eine mögliche Schwachstelle des deutschen Stromnetzes.
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Die Strompreise schwanken regelmäßig.Foto: songqiuju/iStock
Von 22. Juli 2024

Einen Schockmoment gab es für Stromkunden mit einem dynamischen Tarif am 26. Juni 2024. Für einen kurzen Zeitraum war der Strompreis plötzlich rund 15-mal so hoch wie normalerweise.

Wo die Großhandelspreise sonst in der Regel bei unter 100 Euro pro Megawattstunde (MWh) liegen, stiegen sie am Morgen des besagten Tages auf rund 2.325 Euro pro MWh. Umgerechnet auf die gängigere Kilowattstunde (kWh) kostete diese 2,32 Euro. Zu dieser Tageszeit liegt der Preis für eine kWh sonst bei rund 15 Cent.

Mit den üblichen Gebühren schaffte es der Strompreis am 26. Juni letztlich auf nahezu drei Euro pro kWh, die den Endverbrauchern berechnet wurden.

Verlauf der deutschen Börsenstrompreise in KW 26. Foto: Bildschirmfoto/energy-charts.info/Fraunhofer ISE

„Decoupling“ erhöhte die Preise

Der Auslöser dieses enormen Anstiegs war ein technisches Problem an der europäischen Strombörse European Power Exchange (EPEX SPOT SE). Diese Panne führte zum sogenannten „Decoupling“, also einer Entkopplung der Märkte.

Eine genauere Erklärung dazu schilderte der Energiemarktexperte Tobias Federico vom Beratungsunternehmen Montel – Energy Brainpool im Gespräch mit ntv. „EPEX SPOT hat die Preise für Lieferungen am kommenden Tag so berechnet, als ob kein Im- und Export zwischen den Ländern stattfinden würde“, sagte er. Diese Entkopplung habe dann zu „extrem unterschiedlichen Preisen in Europa“ geführt. Besonders in Deutschland seien daraufhin die Preise kurzzeitig sehr hoch gewesen.

Deutschland ist im europäischen Verbundnetz integriert – und damit am europäischen Strommarkt. Praktisch zu jeder Zeit finden in diesem Verbundnetz zwischen den Ländern Im- und Exporte mit schwankenden Strommengen statt. Federico erklärte, dass auf den „digitalen Handelsplätzen Algorithmen Angebot und Nachfrage matchen und anschließend Preise dazu veröffentlichen“. Die Algorithmen berechneten die Im- und Exportmengen zwischen den Ländern.

„Das heißt, aus Ländern, wo wir einen sehr niedrigen Strompreis haben, wird Strom in Länder geliefert, wo der Preis hoch ist“, so der Energieexperte. So soll letztlich ein „harmonischer europäischer Strompreis“ entstehen.

Würden jedoch Engpässe bei den grenzüberschreitenden Transportkapazitäten auftreten, blieben die Strompreise in den jeweiligen Ländern unterschiedlich hoch. „Dieses Prozedere läuft täglich ab, immer einen Tag vor der Lieferung des Stroms“, schilderte Federico. In der Woche des Preissprungs „wurde der zweite Teil, die Im- und Exportmengen, nicht mitberechnet“. Das sei das „Decoupling“ gewesen.

Wie hoch ist der entstandene Schaden?

Inzwischen konnte durch vorläufige Untersuchungen herausgefunden werden, wie hoch der Gesamtschaden ist. Dieser kurzzeitige Preissprung kostete die privaten, aber auch gewerblichen Verbraucher rund 350 Millionen Euro. Einige betroffene Unternehmen wollen in Kürze gegen den dadurch entstandenen Verlust klagen.

Betroffen sind all jene, die wie bereits erwähnt einen dynamischen Stromtarif haben und in jenem Zeitraum der Preisexplosion Strom verbraucht haben.

Schaden nahmen auch produzierende Betriebe, die rechtzeitig vom Preissprung erfuhren und ihre Maschinen abschalteten, wie das Elektrostahlwerk Feralpi nahe Dresden. „Das dauerte mehrere Stunden und verursachte Fixkosten im sechsstelligen Bereich“, wie Werksdirektor Uwe Reinecke dem „Handelsblatt“ mitteilte. „Hätten wir weiterproduziert, wären die Schäden jedoch deutlich höher gewesen und hätten den siebenstelligen Bereich erreicht“, erklärte Reinecke.

Federico: Fehler wurde nicht rechtzeitig behoben

Die Ursache war also eine fehlerhafte Berechnung der Algorithmen – ein Datenproblem. Unterschiede zwischen Stromerzeugung und -verbrauch konnten damit nicht mehr über die Grenzkuppelstellen ausgeglichen werden. Ohne diese Fehlberechnung hätte es diesen massiven Preisausschlag nicht gegeben.

Federico erklärte dazu: „Es gibt immer wieder Probleme mit solchen Algorithmen. Normalerweise wird die Berechnung einfach wiederholt. Das Besondere ist in diesem Fall, dass der Fehler nicht rechtzeitig behoben werden konnte.“

Der Experte schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass sich solch ein Vorfall wiederholt, als äußerst gering ein, schloss es aber nicht komplett aus. „Die EPEX SPOT und ihre Vorgängergesellschaften mit dem gleichen Handelsalgorithmus gibt es seit mittlerweile 24 Jahren. Ich kann mich an drei Ereignisse erinnern, wo es wirklich zu Problemen kam.“ Angesichts dieser geringen Ausfallquote sieht er eine entsprechend kleine Wiederholungsgefahr.

Fachleute gehen davon aus, dass ein Hackerangriff hinter der Fehlberechnung steckt. Eine weitere mögliche Ursache könnte ein fehlerhaftes Datenpaket eines Marktteilnehmers sein. Das habe womöglich den Hauptrechner sowie den Back-up-Server beeinträchtigt.

Momentan versuchen die verantwortlichen Marktteilnehmer noch, die genauen Hintergründe zu ermitteln. Die europäische Strombörse teilte bereits mit, dass sich der kurzzeitig hohe Preis infolge von tatsächlicher Nachfrage und Angebot gebildet hatte.

Ist deutscher Strom eigentlich weitaus teuer?

Das wirft wiederum die Frage auf, ob der Strom in Deutschlands Stromnetz, wenn es isoliert vom europäischen Verbundnetz wäre, deutlich teurer als im Normalfall wäre. Federico schloss daraus:

Es hat uns vor Augen geführt, wie wir vom Im- und Export her von den Nachbarländern abhängig sind.“

Auch Andy Sommer vom Schweizer Energieversorger Axpo sieht in dem kurzzeitigen Vorfall einen klaren Hinweis. Hier zeige sich die „hohe Abhängigkeit Deutschlands von Importen und wie abrupt die Preise auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren können, die die Importkapazität des Landes verringern.“



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