Machtwechsel in der Ukraine? Mögliche Nachfolger für Selenskyj

Seit dem vergangenen Jahr hat Wladimir Putin mehrfach betont, dass ein umfassendes Friedensabkommen nur mit einer ukrainischen Führung möglich sei, die ohne Zweifel als legitim anerkannt wird.
Wie kommt es, dass der russische Präsident Zweifel an der Legitimität Wolodymyr Selenskyjs sät?
Das Problem ist auf den Krieg zurückzuführen. Das Mandat von Selenskyj für eine fünfjährige Amtszeit war im Mai 2024 ausgelaufen, aber in der Ukraine ist es laut Verfassung unter Kriegsrecht nicht gestattet, Wahlen abzuhalten. Allerdings sind die konkreten Bestimmungen der ukrainischen Verfassung nicht unumstritten.
Während das Thema vor dem Amtsantritt Donald Trumps besonders von der russischen Führung betont wurde, hat sich die Situation seitdem geändert. Der US-Präsident selbst, aber auch sein Berater Elon Musk und andere Mitglieder der Regierung haben wiederholt betont, dass in der Ukraine Wahlen nötig sind. Trump ging sogar so weit, Selenskyj einen „Diktator ohne Wahlen“ zu nennen.
Angesichts der aktuellen Kriegssituation halten sowohl Regierungs- als auch Oppositionskreise in der Ukraine die Bedingungen für Wahlen für nicht gegeben.
Am 25. Februar hat das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, mit 286 zu 450 Stimmen eine Resolution verabschiedet, die bestätigt, dass keine nationalen Wahlen abgehalten werden können, solange das Land unter Kriegsrecht steht. In der Entscheidung wird auch das Mandat von Selenskyj nun offiziell bis zur Aufhebung des Kriegsrechts verlängert.
Selenskyj hat kürzlich erklärt, dass er bereit wäre, im Gegenzug für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zurückzutreten.
Was genau würde in der Ukraine passieren, wenn dies geschähe? Welche Folgen hätte die Abhaltung von Wahlen in dem Land und wer sind die möglichen Nachfolger von Selenskyj?
Was könnte nach Selenskyjs Rücktritt im Land passieren?
Nach der ukrainischen Verfassung würde bei einem Rücktritt von Selenskyj automatisch der derzeitige Parlamentspräsident das Amt des Präsidenten übernehmen. Ruslan Stefantschuk hat danach die Aufgabe, schnellstmöglich Neuwahlen auszurufen. Wegen des geltenden Kriegsrechts könnte er das jedoch gerade nicht tun.
Erst nachdem der Kriegszustand aufgehoben wird, wären Wahlen möglich.
Die Ukraine steht seit 24. Februar 2022 unter Kriegsrecht. Dies hat der Regierung Notstandsbefugnisse gewährt und mehrere Bürgerrechte eingeschränkt, wie das Recht auf Freizügigkeit, das Recht auf freie Berufswahl. Auch dürfen ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren mit einigen Ausnahmen das Land nicht mehr verlassen, da sie zum Militärdienst einberufen werden könnten.
Nach Ansicht der ukrainischen Führung ließe sich ein solcher Rechtszustand nicht ohne Weiteres aufheben, sondern brauche robuste Garantien.
Fedir Venislavsky, Mitglied des parlamentarischen Verteidigungsausschusses und Abgeordneter der Regierungspartei, sagte am 17. Februar, er glaube nicht, dass der Kriegszustand allein auf der Grundlage eines Waffenstillstands aufgehoben werden könne. Ein Waffenstillstand „bedeutet nicht, dass Russland seine Truppen aus den besetzten Gebieten oder die Gerätschaften, mit denen es die Ukraine angreifen kann, abgezogen hat“, sagte Venislavsky laut „Kyiv Independent“.
„Ohne Garantien, dass dies zu einem dauerhaften Frieden führt, glaube ich daher nicht, dass der Kriegszustand aufgehoben werden kann“, fügte er hinzu. Die Übergangszeit bis zu Neuwahlen könnte daher nach derzeitigem Stand eine unbestimmte Zeit dauern.
Folgen der Aufhebung des Kriegsrechts
Falls das Kriegsrecht in der Ukraine entweder auf Druck der USA, aus eigenen Motiven oder als Folge eines Waffenstillstands aufgehoben wird, könnten wieder Wahlen abgehalten werden, aber es würde auch eine Reihe anderer Probleme im Land aufwerfen.
Es würde wieder den freien Grenzübertritt für Männer gestatten. Angesichts der unsicheren politischen Lage könnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich eine große Zahl von Männern und anderen Personen auf der Suche nach einem besseren Leben das Land verlässt.
Außerdem würden damit auch sämtliche Beschränkungen aufgehoben, die derzeit dafür sorgen, dass große Geldsummen das Land nicht verlassen können.
Die Wahlen würden zudem auch durch die Tatsache erschwert, dass über Millionen Wahlberechtigte das Land in den letzten drei Jahren verlassen haben.
Zweite Amtszeit für Selenskyj?
Sollte es doch zu den Wahlen kommen, stellt sich die Frage: Wer wären wahrscheinliche Präsidentschaftskandidaten? Und auch, ob Selenskyj noch mal kandidieren würde?
Während seines vergangenen Wahlkampfes sagte Selenskyj, dass er nur für eine Amtszeit kandidieren würde. Aber als er in jüngsten Interviews gefragt wurde, ob er eine weitere Amtsperiode anstrebe, schloss er diese Möglichkeit nicht mehr aus.
Die Meinungen über seine Chancen auf eine Wiederwahl sind sehr geteilt. Mehrere ukrainische Umfragen sehen ihn als den Favoriten.
Laut Trump liegt Selenskiys öffentliche Unterstützung bei 4 Prozent, wobei er keine Quelle angegeben hat. Im Gegensatz dazu gibt Selenskyj selbst 57 Prozent an und beruft sich dabei auf die lokalen Umfragen.
Saluschnyj: Der größte Herausforderer
Der ehemalige Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj könnte der größte Herausforderer für Selenskyj werden. Anfang Februar letzten Jahres lag sein Vertrauensindex in einer ukrainischen Umfrage bei 94 Prozent und damit höher als der von Selenskyj (66 Prozent).
„Saluschnyj habe die Jungs nicht sterben lassen, lautet die Formel, die die Ukrainer verwenden, wenn sie über ihn sprechen“, sagte Oleksii Antypovych, ukrainischer Soziologe und Leiter der Rating Group, dem „Kyiv Independent“ über ihn. „Das schafft sicherlich das Bild eines warmherzigen, gütigen Verteidigers, eines Vaters. […] und die Menschen wären bereit, für ihn zu stimmen“, fügte Antypovych hinzu.

Walerij Saluschnyj, ukrainischer Botschafter im Vereinigten Königreich. Foto: Oli Scarf/AFP via Getty Images
Saluschnyj war bis Februar 2024 Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte. Seitdem hat er das Amt des Botschafters von Kiew in London inne, nachdem er von Selenskyj abgesetzt wurde.
Saluschnyj hat nach dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2024 Aussagen getätigt, die von Selenskyj zurückgewiesen wurden. Im November 2024 sprach der Oberbefehlshaber in einem Interview davon, dass es an der Front eine „Pattsituation“ gebe.
Der General betonte zudem, er habe Wladimir Putins Bereitschaft, seine eigenen Soldaten zu opfern, unterschätzt. Die anhaltenden Kämpfe hätten der Ukraine einen Nachteil verschafft, räumte er ein.
Selenskyj bestritt jedoch diese Aussagen und betonte, dass mehr Zusammenarbeit mit den Verbündeten erforderlich sei, um die Luftabwehr zu stärken. Nach monatelangen Spannungen feuerte Selenskyj den General dann im Februar 2024.
Der derzeitige Botschafter hat trotz seiner Beliebtheit unter der Bevölkerung jedoch bislang weder bestätigt noch dementiert, dass er für das Präsidentenamt kandidieren würde. Die Frage stelle sich seiner Aussage nach erst, wenn die Sicherheit des ukrainischen Staates nicht mehr gefährdet sei.
Ex-Präsident Poroschenko
Neben Selenskyj und Saluschnyj ist einer der reichsten Männer der Ukraine ein weiterer potenzieller Kandidat. Petro Poroschenko war ukrainischer Präsident von 2014 bis 2019. Sein Vermögen hat er vor allem durch den Aufbau eines Süßwarenimperiums gemacht.
Während seiner Amtszeit hat Poroschenko wiederholt mit Russland verhandelt. Er sprach mit Putin auch schon damals über einen Waffenstillstand und Friedensabkommen und verhandelte über Geschäftsbeziehungen zu Moskau. Dies ist auch einer der Gründe, warum die Regierung von Selenskyj vor Kurzem Sanktionen gegen ihn verhängte, weil er angeblich mit Moskau konspiriert haben soll.
Poroschenko nannte das Vorgehen „verfassungswidrig“ und „politisch motiviert“. „Die Sanktionen, die gegen mich als Oppositionsführer und fünften Präsidenten verhängt wurden, sind absolut illegal“, sagte er am 13. Februar.

Der ehemalige Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, spricht am 28. Januar 2022 vor dem Berufungsgericht Kiew zu Anhängern und Medienvertretern. Poroschenko wurde wegen Hochverrats und Unterstützung des Terrorismus in den Jahren 2014–2015 angeklagt. Foto: Chris McGrath/Getty Images
Der Politiker wurde kürzlich zudem beschuldigt, mit der Regierung Trump zusammenzuarbeiten, um Selenskyj aus dem Amt zu entfernen. Der Oppositionsführer hat diese Anschuldigungen bestritten, während er bestätigt hat, dass er Gespräche mit Mitgliedern der Regierung Trump geführt hat.
Poroschenko bot im Februar auch öffentlich an, bei der Suche nach einer gemeinsamen Basis mit Trump zu helfen. Er kritisierte Selenskyj für seinen Verhandlungsstil, den er als kontraproduktiv bezeichnet hat.
„Ich bin bereit, nach Brüssel oder sogar Washington zu gehen, um die Angelegenheit zu lösen“, sagte. Er erklärte später, dass die ukrainischen Behörden versucht haben, die Pläne von Oppositionsabgeordneten zu blockieren, ins Ausland zu reisen, um die ukrainische Diplomatie zu stärken.
Obwohl der ehemalige Präsident Anfang März betonte, dass er in der derzeitigen instabilen Kriegssituation keine Wahlen für angebracht hält, wies er schon im Februar auch darauf hin, dass nach seinen Informanten am 26. Oktober Wahlen im Land stattfinden werden. Poroschenko ist auch ein entschiedener Befürworter der Bildung einer Koalitionsregierung der nationalen Einheit.
Weitere Kandidaten
Nach Angaben von ukrainischen Medienberichten gibt es mehrere weitere potenzielle Kandidaten. Eine von ihnen ist die Parlamentsabgeordnete Julija Tymoschenko. Die politische Oppositionskandidatin war zweimal Premierministerin der Ukraine.
Sie wurde 2011 wegen eines vermeintlich für die Ukraine ungünstigen Deals mit Russland für sieben Jahre verurteilt. Sie wurde drei Jahre später jedoch frühzeitig freigelassen, nachdem der damalige Präsident, Viktor Janukowytsch, gestürzt wurde. Tymoschenko gilt in der Ukraine als populistische Politikerin, wie „Kyiv Independent“ berichtete.
Zu den weiteren Kandidaten gehört Jurij Bojko, der seit 2007 dem Parlament angehört. Er war auch schon einmal stellvertretender Ministerpräsident des Landes, wird aber für seine prorussische Politik kritisiert.
Ein weiterer Kandidat könnte Vitali Klitschko sein, der ehemalige Boxweltmeister und heutiger Bürgermeister von Kiew. Klitschko war eine Schlüsselfigur der Euromaidan-Proteste von 2014. Diese wurden durch die Entscheidung der Regierung Janukowytsch ausgelöst, ein Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Klitschko bildete anschließend ein politisches Projekt zusammen mit Poroschenko. Mit Selenskyj hat er allerdings Konflikte. Er behauptet, er stehe unter ständigem Druck der Regierungsbehörden.
Kyrylo Budanow gilt auch als möglicher Kandidat. Er wurde im August 2020 zum Leiter des militärischen Geheimdienstes ernannt und ist damit der jüngste Spionagechef in der Geschichte der Ukraine.
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