Orbán bestrebt, „wertvolle deutsche Fabriken zu retten“

Deutsche Autohersteller profitieren in Ungarn von staatlichen Förderungen. Seit Viktor Orbán 2010 an die Macht kam, wurden die Vergünstigungen kontinuierlich ausgebaut. In der aktuellen deutschen Autokrise scheint es, dass die großen deutschen Unternehmen in Ungarn eine Zufluchtsstätte gefunden haben.
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Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt Viktor Orbán am 13. November 2023 im Kanzleramt in Berlin.Foto: Michele Tantussi/Getty Images
Von 11. Dezember 2024

Werksschließungen, Lohnkürzungen und betriebsbedingte Kündigungen. Diese Maßnahmen stehen bei Volkswagen auf dem Programm des Vorstandes – und nicht nur für die Werke in Deutschland. Der weltweit größte Automobilkonzern hat mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen. Aber auch bei BMW und Mercedes-Benz kriselt es.

Es scheint so, als ob in Ungarn die Lage für die deutsche Autoindustrie anders aussieht.

Ungarns Ministerpräsident sprach am Freitag in einem Interview im ungarischen öffentlichen Radiosender „Kossuth“ unter anderem über die Lage der deutschen Autofabriken im Land. „Deutsche Autofabriken werden in Ungarn nicht geschlossen, sondern ausgebaut“, sagte Orbán in der Sendung.

So baut BMW mitten in der Krise im ungarischen Debrezin für 2 Milliarden Euro eine neue Fabrik für Elektro-SUV.

Das Ziel der ungarischen Führung ist, deutsche Investitionen so weit wie möglich anzuziehen. Deutsche Unternehmen sind weiterhin die größten Investoren in Ungarn. Nach Angaben des ungarischen Außenministers aus dem Jahr 2023 beschäftigen rund 6.000 deutsche Unternehmen 300.000 Menschen in dem mitteleuropäischen Land.

Orbán: Diese wertvollen Fabriken retten

Die deutsche Automobilindustrie leidet unter einer Absatzkrise. Gefüllte Umschlagplätze, auf denen Hunderte Neuwagen bereits seit Wochen oder Monaten darauf warten, in den Verkauf zu gelangen, sind keine Seltenheit. Besonders häufig finden sich dort E-Autos.

Orbán sagte, er habe vergangene Woche Gespräche mit „einigen wichtigen Akteuren“ der deutschen Wirtschaft geführt. Sie stünden vor enormen Schwierigkeiten. Er sagte, es sei das letzte Mal in den frühen 2000er-Jahren gewesen, dass Fabriken in großem Stil in Deutschland schließen mussten.

Die ungarische Regierung müsse alles tun, um die deutschen Fabriken in Ungarn zu erhalten, sagte Orbán. Andernfalls würden „ganze Regionen [Ungarns] in eine Situation der Hoffnungslosigkeit versinken“.

Diese seien äußerst „wertvolle Fabriken“, und Ungarn habe jedes Interesse daran, sie zu „retten“. Wenn die Regierung also direkt in den Prozess involviert sei, könne man verhindern, dass die deutschen Probleme auf Ungarn übergreifen, so der Ministerpräsident. Mit anderen Worten: „Wir müssen ein wettbewerbsfähiges Umfeld schaffen“, damit die Fabriken mit Sitz in Ungarn nicht schließen müssen.

Die ungarische Regierung habe mit diesen Unternehmen Vereinbarungen unterzeichnet, die sie ermutigen, ihre Fabriken trotz der Probleme in Deutschland in Ungarn zu erhalten. „Das ungarische Wirtschaftsumfeld ist für sie günstiger und sie können ihre Arbeitsplätze hier besser erhalten“, so Orbán.

In Ungarn bieten die deutschen Autohersteller ihren Beschäftigten zudem nicht nur Arbeitsplätze an. Sowohl Mercedes als auch BMW betreiben Schulen, und um die Fabriken herum haben sich Gemeinden entwickelt.

Der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche (r.), der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (M.) und der Leiter des örtlichen Werks, Frank Klein, eröffnen am 29. März 2012 das neu fertiggestellte Werk der deutschen Mercedes-Benz Group in Kecskemet. Foto: Attila Kisbenedek/AFP via Getty Images

Politik der wirtschaftlichen Neutralität

Wie er sich ein günstiges Umfeld für deutsche Unternehmer in Ungarn vorstellt, hat Orbán auch mitgeteilt. Der Ansatz liege auf einer Politik der „wirtschaftlichen Neutralität“. Das bedeutet, dass die ungarische Regierung auch gute Beziehungen zu chinesischen und US-amerikanischen Investoren pflegen wolle. Mit anderen Worten: Ungarn setze nicht nur auf Europa, sondern suche stattdessen „das richtige Gleichgewicht“, erklärte Orbán.

Deutsche Autofabriken und chinesische Batteriefabriken werden in Ungarn im Rahmen der Strategie der wirtschaftlichen Neutralität Seite an Seite gebaut. Das ist die Realität, auch wenn es einigen Leuten nicht gefällt, sagte Außenminister Péter Szijjártó im November in Brüssel.

Im vergangenen Jahr bezeichnete der Minister Ungarn als „Treffpunkt zwischen Ost und West“. Dies ermöglicht deutschen Investoren, diese Komponenten in ihre Premium-E-Autos einzubauen, und zwar „praktisch Tür an Tür“, „ohne dafür den Straßenverkehr zu nutzen“.

In der Tat scheint es einzigartig in Europa zu sein, wie stark das Land chinesische Batteriefabriken anzieht. So plant der chinesische Konzern CATL ein Werk in der Nähe der Großstadt Szeged. Mit einer jährlichen Produktionskapazität für rund 1 Million E-Autos wäre es laut „Zeit“ die größte ausländische Investition in der Geschichte des Landes. Drei Fabriken für Batterien und über 30 Zulieferer operieren bereits in Ungarn.

Die ungarische Regierung „diskriminiere“ nicht zwischen den investierenden Ländern, so Szijjártó. Die einzige Regel sei, ob der Handelspartner bereit ist, die lokalen Regeln zu respektieren. Der Markt sei auch offen für Investoren aus dem Osten, die in anderen Ländern aus verschiedenen Gründen nicht willkommen seien. Diese Leichtigkeit des Handels könne auch für westliche Unternehmen sehr attraktiv sein.

Anwohner und Vertreter der Oppositionsparteien stehen jedoch der Ansiedlung von großen Batteriewerken nicht unbedingt immer positiv gegenüber. Sie befürchten, dass Verstöße gegen Umweltvorschriften nicht ausreichend überprüft würden und die wasserintensive Produktion eine Gefahr für die Wasserressourcen darstellen könne. Kritisiert wird auch, dass sich das Land durch seine Wirtschaftspolitik zu sehr von ausländischen multinationalen Konzernen abhängig mache und am Ende nicht Ungarn, sondern die Konzerne profitieren würden.

Hilfen für deutsche Unternehmen in Ungarn

Die erste Autofabrik, die mit staatlicher Hilfe gebaut wurde, wurde von Mercedes in Kecskemét errichtet. Die Zusammenarbeit wurde noch von der sozialistischen Vorgängerregierung initiiert. Doch nach dem Wahlsieg von Viktor Orbán im Jahr 2010 wurde die Förderung weiterentwickelt.

Das oppositionsnahe Nachrichtenportal „Telex“ hat kürzlich einen ausführlichen Bericht über die Subventionen veröffentlicht, die deutsche Autohersteller im Land erhalten. Demzufolge sind sogenannte strategische Abkommen zu einem Lieblingsinstrument der Regierung Orbán für die Wirtschaftsförderung geworden.

Seit dem Jahr 2012 habe die ungarische Regierung 96 solcher Abkommen mit verschiedenen großen multinationalen Unternehmen abgeschlossen, darunter auch mehrere mit deutschen Firmen wie Mercedes und Audi, aber auch Bosch und Thyssenkrupp.

Nur wenige dieser Vereinbarungen, die meist durch einzelne Regierungsbeschlüsse gewährt werden, seien öffentlich. Eine Untersuchung von der Antikorruptionsorganisation Transparency International Ungarn im Jahr 2020 habe jedoch gezeigt, dass diese Unternehmen seit dem Jahr 2010, seitdem Orbán ununterbrochen an der Macht ist, bedeutend mehr Steuervergünstigungen erhalten haben als zuvor. Und deutsche Autofirmen würden in Ungarn mehr Steuerbegünstigungen als in Deutschland erhalten.

Zwischen 2010 und 2019 verteilte die Regierung durch einzelne Regierungsbeschlüsse rund 1,1 Milliarden Euro an Subventionen an verschiedene Großunternehmen. 36 Prozent davon gingen an deutsche Autohersteller.

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Laut „Telex“ hätten die deutschen Unternehmen diese Unterstützungen erhalten, ohne dass dies durch zusätzliche Arbeitskräfte oder die Wertschöpfung ihrer Produktion gerechtfertigt gewesen sei. „Bei dem Aktionsprogramm ging es also eher darum, Geld an deutsche multinationale Unternehmen zu verteilen, als darum, ungarische Arbeitsplätze zu schützen.“

Das Portal zitiert die in Ungarn geschätzte investigative Website „Direkt36“: „Es gibt sehr enge Verbindungen zwischen der ungarischen Regierung und wichtigen Akteuren der deutschen Automobilindustrie. Das geht so weit, dass die Chefs bestimmter Unternehmen Viktor Orbán und [Außenminister] Péter Szijjártó direkt anrufen können, wenn sie irgendwelche Anliegen an die ungarische Regierung haben“, heißt es.

Laut einem Informanten, der mit „Direkt36“ sprach, empfiehlt das Außenministerium in der Regel regierungsnahe Firmen als Subunternehmer, wie die ungarischen Baufirmen, die die Fabriken errichten, wenn ein ausländisches Unternehmen in Ungarn investieren will. Dies könnte auch erklären, warum die ungarische Regierung am Erhalt der deutschen Unternehmen interessiert ist.



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