Autoindustrie in der Krise: Warum Deutschlands Vorzeigebranche ins Wanken gerät

Die deutsche Autoindustrie gerät zunehmend ins Straucheln: Branchenriesen wie VW, BMW und Mercedes kämpfen mit Umsatzrückgängen und gekappten Gewinnzielen. Die gesamte Branche steht unter Druck, da sinkende Nachfrage, ungelöste Probleme beim Umstieg auf Elektromobilität und die strenge Klimapolitik der EU die Wettbewerbsfähigkeit bedrohen.
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Beim Volkswagenkonzern könnte es nächstes Jahr erstmals seit 30 Jahren zu betriebsbedingten Kündigungen und Werkschließungen kommen. Symbolbild.Foto: jetcityimage/iStcok
Von 19. September 2024

Die Autobranche in Deutschland steckt in einer schweren Krise. Betroffen sind nicht nur Deutschlands Autohersteller, sondern auch die Autozulieferer. So meldete die „Südwestpresse“ in der letzten Woche, dass die Federnfabrik Erwin Lutz aus dem baden-württembergischen Eningen unter Achalm beim Amtsgericht Tübingen am 9. August Insolvenz angemeldet hat. Zum Insolvenzverwalter wurde laut Angaben der „Südwestpresse“ der Reutlinger Rechtsanwalt Jürgen Sulz bestellt. 

„Die Firma Federnfabrik Lutz hatte mit erheblichen Umsatzrückgängen zu kämpfen. Daher wurde bereits vor dem Insolvenzantrag ein Stilllegungsbeschluss gefasst und alle Mitarbeiter gekündigt“, sagte Sulz auf Anfrage der „Südwestpresse“. Der Betrieb werde im Rahmen des Insolvenzantragsverfahrens fortgeführt. „Die Mitarbeiter erhalten ihren Lohn über das Insolvenzgeld. Dieses wurde bereits für die Monate Juli und August 2024 vorfinanziert und an die Mitarbeiter ausbezahlt“, sagte Sulz weiter. Das Produktsortiment des Unternehmens umfasst Druckfedern, Zugfedern, Drehfedern, Drahtbiegeteile sowie spezielle Bauteile wie Blatt- und Magazinfedern.

Diese Produkte finden ihren Einsatz hauptsächlich in der Automobilindustrie und im Maschinenbau. Beide Branchen stehen derzeit unter Druck, was sich negativ auf die Auftragslage bei Zulieferbetrieben auswirkt. „Die Kunden aus der Automobil- und Maschinenbauindustrie riefen zuletzt nur wenige Bestellungen aus großen Rahmenverträgen ab“, erklärt Insolvenzverwalter Sulz. 

Mehrere Zulieferer mussten Insolvenz anmelden

Das Schicksal der Federnfabrik Lutz ist kein Einzelfall. Es hat in den vergangenen Wochen schon mehrere Zulieferfirmen der Autoindustrie getroffen. Anfang August meldete das Unternehmen Mürdter aus Mutlangen beim Amtsgericht Aalen Insolvenz an. Das Unternehmen hat sich laut Website auf Spritzguss-Teile spezialisiert. Laut „Merkur“ gilt die Mürdter-Gruppe als Marktführer in diesem Bereich. Unter anderem zählen Türgriffe, Rückenlehnen oder Abdeckungen für die Mittelkonsole für Autos zu den Produkten, die Mürdter herstellt. 

Kurz vor der Mürdter-Pleite hatte schon der Autositz-Hersteller Recaro Automotive GmbH aus Kirchheim unter Teck seine Zahlungsunfähigkeit erklärt und ein Insolvenzverfahren gegen sich eröffnet.

Mitte August meldete die AE Group mit Hauptzentrale in Gerstungen (Thüringen) nach Angaben der „Wirtschaftswoche“ Insolvenz in Eigenverwaltung an. Betroffen sind gut 1.200 Mitarbeiter an vier Standorten: Gerstungen, Nentershausen (Hessen), Lübeck und im polnischen Strzelce Krajenskie.

Die AE Group ist eine Aluminiumgießerei, die eine breite Palette von Druckgussteilen für die Automobilindustrie herstellt. Das Sortiment reicht von Getriebegehäusen über Motorkomponenten bis hin zu Gehäusen für Batterien in Elektrofahrzeugen. Das Unternehmen, das seit 1980 besteht, hatte für das Jahr 2024 einen Umsatz von 150 Millionen Euro angestrebt.

Autohersteller mächtig ins Schlingern geraten

Die Autoindustrie ist ein guter Seismograf dafür, dass die Wirtschaft in Deutschland mächtig ins Schlingern geraten ist. Die deutschen Autobauer sind aber nicht irgendeine Branche im Land. Über viele Jahre dominierten Autos aus Deutschland den internationalen Markt. Ob VW, Mercedes-Benz oder BMWPremiummodelle „Made in Germany“ gelten noch heute weltweit als Statussymbol.

Gemessen am Umsatz ist die Autoindustrie noch heute die größte Branche des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland und mit Abstand der bedeutendste Industriezweig. Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erwirtschaftete die Branche im letzten Jahr einen Umsatz von gut 564 Milliarden Euro und beschäftigte direkt knapp 780.000 Menschen.  

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden fielen bei den deutschen Exporten allein 17 Prozent auf Autos und Teile. Doch die Autoindustrie ist ins Straucheln geraten.

 

Gerade erst hat Volkswagen die seit 1994 bestehende Beschäftigungssicherung aufgekündigt. Laut „Tagesschau“ sei das entsprechende Kündigungsschreiben inzwischen den Gewerkschaften zugegangen. Der Vertrag laufe damit Ende des Jahres aus. Ab Juli 2025 wären nun, sechs Monate nach Vertragsende, betriebsbedingte Kündigungen im Konzern möglich. Auch Werksschließungen können nach Auslaufen des Vertrags nicht mehr ausgeschlossen werden. 

Wie die „Tagesschau“ weiter berichtet, habe VW-Personalvorstand Gunnar Kilian angekündigt, mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften bis Mitte 2025 eine Anschlussregelung zu vereinbaren. Kilian betonte, es brauche gemeinsame Lösungen, um Volkswagen „nachhaltig wettbewerbs- und zukunftsfähig“ aufzustellen.

Nervosität ist groß

Im ersten Halbjahr dieses Jahres machte VW im Vergleich zum Vorjahr 14 Prozent weniger Überschuss. Bei den anderen deutschen Autoriesen sieht es nicht besser aus: BMW machte im gleichen Zeitraum fast 15 Prozent weniger Überschuss und bei Mercedes-Benz waren es minus 16 Prozent. Hoffnung, dass es im laufenden Halbjahr besser laufen kann, machen sich alle drei Autobauer offenbar nicht: Alle drei Konzerne kappten bereits ihre Gewinnziele für das Gesamtjahr. 

Die wirtschaftlich schwere Lage der Autoindustrie beunruhigt inzwischen auch die Europäische Kommission in Brüssel. Die Lage der Branche sei „nicht rosig“, es bringe nichts, sie zu „beschönigen“, sagte der scheidende Industriekommissar Thierry Breton dem „Handelsblatt“ (hinter einer Bezahlschranke).

Die Nervosität sei groß, was sich an den „aktuellen Entwicklungen in der deutschen Automobilindustrie oder sogar hier in Brüssel mit Audi“ zeige. Der französische Kommissar bezieht sich auf massive Sparpläne, die der Volkswagen Konzern verkündet hat. „Die Ankündigungen von Werksschließungen besorgen mich sehr“, so Breton. Es müsse darum gehen, „unser Know-how, unsere Innovationskraft und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren und zu erhalten“.

Breton führt die Krise darauf zurück, dass es den europäischen Herstellern nicht gelingt, ihre Kunden von der Elektromobilität zu überzeugen. „Der Markt für Elektroautos stagniert“, warnte er. Ob der Umstieg auf die Elektromobilität in Europa gelingt, hängt entscheidend vom Ausbau der Ladeinfrastruktur ab. Hier sieht Breton noch erhebliche Defizite. „Öffentliche Ladestationen sind nach wie vor stark auf Deutschland, Frankreich und die Niederlande konzentriert, auf die fast zwei Drittel der in der EU installierten öffentlichen Ladestationen entfallen“, sagte er.

Forderung aus Ampelkoalition nach Hilfe von EU

Die Ampelkoalition in Deutschland erwartet angesichts der Krise der Autoindustrie mehr Hilfe aus Brüssel. Vor allem die Entwicklungen bei VW scheinen der Politik Sorgen zu bereiten. „Ursula von der Leyen muss schnell eine ambitionierte Industriestrategie vorlegen, die die europäische Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich stärkt. Europa muss mithalten können bei den internationalen Entwicklungen und dafür muss Frau von der Leyen jetzt vorangehen“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil der „Süddeutschen Zeitung“ (Bezahlschranke).

Auch die FDP sieht die Kommission in der Pflicht, wenn auch mit anderer Stoßrichtung als die SPD. „Der Grund für diese Krise ist die absurde europäische Politik, die den Automobilherstellern unzählige Steine in den Weg legt“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr der SZ. „Der Staat hilft VW am besten, indem er dafür sorgt, dass die Flottenregulierung abgeschafft wird. Denn sie führt zu irrsinniger Bürokratie, aber spart nicht ein Gramm CO₂ ein. Dafür werden wir uns auf europäischer Ebene einsetzen. Nur mit Technologieoffenheit können wir Unternehmen wie VW helfen.“

Deutsches Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr

Für den amerikanischen Ökonomen Robin Brooks ist die Krise von VW und den anderen Autoherstellern ein grundsätzliches Problem der deutschen Wirtschaft. „Das deutsche Geschäftsmodell, auf den globalen Export zu setzen und immer höhere Leistungsbilanzüberschüsse anzuhäufen, funktioniert nicht mehr“, sagte Brooks dem „Spiegel“ (Bezahlschranke). Mangelnde Profitabilität sei längst nicht nur ein Problem der Autobranche, sondern mache viele Unternehmen in Deutschland zu schaffen.

Auslöser der Probleme sei nicht nur der Einbruch der globalen Nachfrage nach Produkten aus Deutschland, sondern auch ein Versagen der Politik. „Ob es um die E-Mobilität, die Einwanderungspolitik oder die hohe Staatsverschuldung in der Eurozone geht: Überall hat die Politik wichtige Entscheidungen auf die lange Bank geschoben“, sagt der Ökonom, der an der Washingtoner Denkfabrik Brookings forscht. „Das rächt sich jetzt.“

Wettbewerbsfähigkeit durch EU-Politik gefährdet

Derweil drängt die europäische Autoindustrie laut einem Bericht von „Bloomberg“ (Bezahlschranke), die Europäische Union im Hintergrund dazu, ihre Klimaziele für die Branche zu lockern und eine Notfallverordnung zu erlassen. Der Branchenverband ACEA fordert, die ab 2025 geltenden CO₂-Vorgaben um zwei Jahre zu verschieben, um Produktionsstopps und hohe Strafzahlungen zu vermeiden.

Die strengeren EU-Klimavorgaben, die sogenannten Flottengrenzwerte, legen fest, wie viel CO₂ ein Auto ausstoßen darf. Dieses EU-weit geltende Gesetz ist seit 2019 in Kraft und dient dazu, die Automobilhersteller auf die erste große Verschärfung im Jahr 2025 vorzubereiten. Der Grenzwert basiert auf dem Durchschnitt der CO₂-Emissionen aller in der EU innerhalb eines Jahres zugelassenen Fahrzeuge. Für 2024 beträgt dieser Grenzwert derzeit 115,1 Gramm CO₂ pro Kilometer für jedes neu zugelassene Auto.

Dieser Wert soll als strenger gesetzlicher Begleitschutz für das EU-weite Verbot von Neuzulassungen von Verbrennerfahrzeugen bis 2035 dienen und sich 2025 auf 93,6 Gramm sowie 2030 auf 49,5 Gramm reduzieren. Im Jahr 2035 soll er schließlich bei Null liegen.

VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch kritisierte gegenüber „Bloomberg“ die EU-Klimapolitik als unrealistisch, da notwendige Infrastruktur und Kundenakzeptanz fehlen. Ein Vorschlagsentwurf des Branchenverbandes „European Automobile Manufacturers’ Association“ (ACEA) betont, dass die Branche in einer Krise steckt, verursacht durch geringe Nachfrage nach E-Fahrzeugen und unlauteren Wettbewerb aus dem Ausland. Die Autohersteller sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit bedroht, was zu Produktionskürzungen und gefährdeten Arbeitsplätzen führen könnte.



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