Internationaler Druck steigt: Vom „großen Gegenangriff“ erwartet der Westen den Durchbruch

Nachdem der Westen Dutzende Milliarden Euro in die Ukraine investiert hat, wartet er nun auf das Ergebnis. Der Druck wird immer größer – Fachleute rufen zur Geduld auf.
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Die ukrainische Armee bereitet eine große Gegenoffensive vor. Die westlichen Geldgeber sind besorgt.Foto: iStock
Von 14. Mai 2023

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Die Ukraine steht unter großem Druck, im Frühjahr noch eine Gegenoffensive zu starten. In erster Linie kommt der Druck von den USA. Außenminister Antony Blinken betonte am Dienstag, dass die USA und die Verbündeten die entsprechenden Waffen geliefert hätten. „Alles ist bereit, damit die ukrainische Gegenoffensive beginnen kann“, sagte er laut CNN.

Die USA haben am Dienstag außerdem ein Militärhilfepaket in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar für die Ukraine angekündigt. Damit erhöht sich die gesamte Hilfe für die Ukraine auf 36,9 Milliarden US-Dollar.

Doch die ukrainische Führung scheint zu zögern, sie fühlt sich noch nicht bereit. Die finanzielle Unterstützung aus dem Westen ist jedoch so massiv, dass das Land Nachteile zu befürchten hat, wenn es nun nicht bald zum Gegenschlag ansetzt. Ansonsten könnte eine Kürzung der westlichen Mittel die Folge sein.

Dass der russische Geheimdienst in dieser Situation ebenfalls aktiv ist, sei klar, sagen Analysten. Sie werden wohl alle möglichen Wege nutzen, um Pläne für einen Gegenangriff ausfindig zu machen. Wie groß der Durchbruch sein könnte und was wir zu erwarten haben, weiß keiner so genau. Alle warten.

Selenskyj: „Wir brauchen mehr Zeit“

Angesichts des internationalen Drucks fühlte sich der ukrainische Präsident am 11. Mai genötigt, mehrere Antworten zu geben, warum das Land mehr Zeit für den erwarteten Gegenangriff benötigt, berichtet der „Guardian“.

Demnach würde ein Angriff zum jetzigen Zeitpunkt den Verlust von zu vielen Menschenleben zur Folge haben. Man sei noch nicht ausreichend vorbereitet, was vor allem daran liege, dass viele der versprochenen gepanzerten Fahrzeuge noch fehlen. Diese Fahrzeuge seien nur langsam eingetroffen, sagte er in einem Interview mit der BBC.

Zugleich betonte Selenskyj auch, dass die Ukraine nicht zu Kompromissen bereit sei. Genau das sei einer der Gründe, warum man sich sehr gut vorbereiten müsse. Kein einziges Territorium werde für den Frieden aufgegeben, erklärte er:

Warum sollte irgendein Land der Welt Territorium an Putin abgeben?“

Das Durchsickern von Pentagon-Dokumenten ist auch ein passendes Argument, um sich mehr Zeit für die Vorbereitungen zu nehmen. Kritiker verweisen jedoch darauf, dass diese keine wirklichen Details über die konkreten, alltäglichen russisch-ukrainischen Konfrontationen enthielten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war beim EU-Gipfel per Video zugeschaltet.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Foto: Ukrainian Presidential Office/Planet Pix via ZUMA Press Wire/dpa

Ministerpräsident: „Wir wissen, dass wir Erfolge zeigen müssen“

Während die US-Führung schon in diesem Moment eine große Gegenoffensive starten würde, spricht die ukrainische Führung also von „wenn die Zeit gekommen ist“. Auch Denys Schmyhal, der ukrainische Ministerpräsident, hat sich in den letzten Tagen zurückhaltend über eine größere Gegenoffensive geäußert. Der Ministerpräsident war anlässlich der Krönung von König Charles III. in London, wo er gegenüber „Sky News“ erklärte, dass sich die Ukraine mit großer Sorgfalt auf den Gegenangriff vorbereite, und von ernsthaften Vorbereitungen sprach.

Auf die Frage, warum der Start der ukrainischen Gegenoffensive so lange dauert, sagte Schmyhal, dass die Ukraine sich sehr sorgfältig vorbereitet, weil es sich um eine sehr wichtige Operation handelt, „und wir wissen, dass wir unserer Gesellschaft, unseren Partnern, der ganzen Welt und unseren Feinden den Erfolg dieser Operation zeigen müssen“.

In diesem Zusammenhang bekräftigte der ukrainische Ministerpräsident auch die offizielle Position Kiews, dass die Ukraine nichts mit dem versuchten Drohnenangriff auf den Kreml in der vergangenen Woche zu tun hat. Dies hat also nichts mit einem möglichen Gegenangriffsbeginn zu tun. Der Vorfall wurde in Moskau als ein Versuch bezeichnet, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu ermorden, fügte Schmyhal hinzu.

Außenminister: „Es wird vielleicht nicht der endgültige Anschlag sein“

Während die internationale Erwartung hoch ist und viele schon fast mit einem ukrainischen Triumph rechnen, meldete sich auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zu Wort. In einem Interview mit der „Bild“ am 10. Mai rief er dazu auf, den bevorstehenden ukrainischen Gegenangriff nicht als letzte Konfrontation mit der russischen Armee zu betrachten.

Der Außenminister wertete die Ereignisse vom 10. Mai allerdings als ein ermutigendes Zeichen. Andrij Bilezkyj, der Kommandeur der 3. ukrainischen Angriffsbrigade, teilte mit, dass sein Team die 72. russische mechanisierte Schützenbrigade bei Bachmut in der Provinz Donezk besiegt habe. Dabei wurden zwei russische Kompanien vernichtet und ein Teil des Gebietes befreit.

Wie der Minister erklärte, gibt es zwar weitere große Vorbereitungen und auch Erwartungen, aber sie „können nicht einschätzen, welche Folgen die Gegenoffensive haben wird“.

Ehemaliger Top-Militärberater der NATO: „Das Tempo nicht überziehen“

Kampfspezialisten mit professionellem Fachwissen sehen die Situation durchaus etwas anders. So auch der neue Premierminister von Tschechien. Der Soldat und ehemalige NATO-Generalberater Petr Pavel forderte die Ukrainer auf, Vorsicht zu üben. Der pensionierte General warnte die ukrainische Führung privat, wie der „Guardian“ berichtet:

Kiew hat nicht mehr das Gefühl der Überraschung, das zu seinen militärischen Erfolgen im letzten Jahr geführt hat.“

Pavel erklärte außerdem, dass keine Eile geboten sei, da die Ukraine noch nicht in der Lage wäre, eine erfolgreiche Offensive gegen die russischen Streitkräfte zu starten. Allerdings sicherte er der ukrainischen Führung auch seine Hilfe zu. Er sagte, Selenskyj habe ihn und seinen slowakischen Amtskollegen gebeten, vor der Gegenoffensive noch jeweils eine ukrainische mechanisierte Brigade zu bewaffnen.

In seiner Botschaft machte er auch deutlich, dass es kaum Möglichkeiten für einen weiteren Gegenangriff geben würde. Zumindest, was die westliche Unterstützung angeht.

Dies sei die einzige Aktion, die der Westen in diesem Umfang finanzieren kann. „Es wird für die Ukraine extrem schädlich sein, wenn diese Gegenoffensive scheitert, denn sie wird keine weitere Chance bekommen, zumindest nicht in diesem Jahr“, sagte er.

Petr Pavel hat die Stichwahl ums Präsidentenamt in Tschechien gewonnen.

Petr Pavel warnt vor einer viel zu schnellen Gegenoffensive. Foto: Jaroslav Novák/TASR/dpa

Übertriebene Visionen

Wie schnell die Gegenoffensive auch gestartet wird – viele Analysten glauben, dass es unrealistisch wäre, einen Sieg über praktisch das gesamte besetzte Gebiet zu erwarten.

Es sei möglich, dass die Gebiete, die im letzten Jahr besetzt wurden, zurückerobert werden können. Dazu gehören der östliche Teil des Bezirks Cherson, der südliche Teil von Saporischschja und der nördliche Teil von Luhansk. Aber die Gebiete, die seit 2014 umkämpft sind, wie die Krim und der Donbas? Eine schnelle Rückeroberung dieser Gebiete scheint selbst nach Ansicht von Fachleuten nicht realistisch, betont András Rácz, führender Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Einige sind der Meinung, dass es so etwas wie eine „große Gegenoffensive“ sogar gar nicht geben werde, da diese ja bereits im Gange sei. So denkt Militärexperte Marcus Keupp von der ETH Zürich im „Deutschlandfunk“.

Ihm zufolge finde die Gegenoffensive schon längst statt: „Viele haben die Bilder des Zweiten Weltkriegs im Kopf, also dass die Offensive beginnt, wenn die Panzer vorstoßen. Das ist Unsinn, weil das der Abschluss der Offensive ist, nicht ihr Beginn.“



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