Afghanistan und die internationale Gemeinschaft: Sollte das Land geteilt werden?
Ein Sieg für die Taliban sei ein Sieg für China, Russland und den Iran, die den Abzug der US-Truppen und den darauf folgenden Zusammenbruch der pro-amerikanischen afghanischen Regierung begrüßen werden, konstatiert Dr. Anders Corr, Herausgeber des „Journal of Political Risk“ und weltweit anerkannter Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt internationaler Sicherheit.
Dr. Corr führt Analysen zu Risiken der internationalen Politik in Asien und Europa durch. Seine Auftraggeber sind unter anderem das US-Verteidigungsministerium, die Nato oder private Auftraggeber. Er beschäftigt sich mit Großmacht- und Militärstrategien, autoritärem Einfluss und Hierarchien. Dabei entwickelt er nicht nur Modelle von Terroranschlägen auf sensible Einrichtungen, sondern auch zur Frühwarnung vor Pandemien und biologischen Massenvernichtungswaffen. Corr leitete unter anderem die sozialwissenschaftliche Forschungs- und Analysegruppe der US-Armee in Afghanistan, die 600 afghanische Vertragsmitarbeiter bei 44 Erhebungsprojekten beaufsichtigte und quantitative Vorhersageanalysen über Angriffe von Aufständischen durchführte.
Der Experte schlägt vor, das Land nicht gänzlich den gewalttätigen Taliban und dem vermutlich pro-chinesischen Schicksal zu überlassen, sondern es in einen Persisch sprechenden Norden und den von den Taliban besetzten Süden aufzuteilen. Die Persisch sprechende Bevölkerung im Norden unterstütze Demokratie und Freiheit in größerem Maße und sollte gefördert werden. Die Taliban könnten hingegen ihre „Schlafmohn-Hochburgen“ und paschtunischen Gebiete wie Kandahar behalten.
Eine Teilung Afghanistans wäre nicht risikolos, so Anders Corr. Die pakistanische und die chinesische Regierung würden den Schritt ablehnen. Pakistan, weil es versucht, ganz Afghanistan über seine Stellvertreter (die Taliban) zu kontrollieren, und China, weil es durch seine Stellvertreter Pakistan und Iran versuche, die Region zu kontrollieren. Im Nordwesten habe der Iran Einfluss unter den Persisch sprechenden Menschen. Doch China beeinflusse den Iran durch den Kauf von iranischem Öl und mit anderen Handelsgeschäften.
„Es ist noch nicht zu spät für eine Kurskorrektur der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan. Die Biden-Administration sollte eine Teilung des Landes ernsthaft in Erwägung ziehen“, bilanziert der Analytiker. Manchmal würden gute Zäune gute Nachbarn machen.
Welche Rolle spielt Peking?
China profitierte bisher von den amerikanischen Truppen in Afghanistan – weil die Truppen für Stabilität sorgten. Offiziell kritisierten die KP-Funktionäre jedoch die Präsenz der USA. Nervös wurden die Außenpolitiker, als der Truppenabzug angekündigt wurde. Schlagartig forderte die chinesische Botschaft in Kabul alle in Afghanistan lebenden Chinesen auf, das Land zu verlassen. Anfang Juli flog Peking zudem 210 Chinesen aus.
Parallel drängt der chinesische Außenminister Wang Yi die acht Außenminister der Shanghai Cooperation Organisation (bei der Afghanistan Beobachterstatus hat), künftig in Afghanistan eine zentrale Rolle zu spielen.
Eine Destabilisierung des Landes ist nicht im Sinne Pekings – diese bringt Pläne zur Neuen Seidenstraße in Gefahr. Wang Yi stimmte seine Außenminister-Kollegen auf drei Ziele ein: einen Bürgerkrieg zu vermeiden, die politischen Gespräche zwischen Regierung und Taliban voranzutreiben und die Verhinderung des Festsetzens der Taliban im Land.
Afghanistan spielt bei der Neuen Seidenstraße für Peking eine Schlüsselrolle. Kommt es zu einer Einigung mit den Taliban, dann „könnte Afghanistan die zentralasiatischen Staaten verbinden. Unter chinesischer Schirmherrschaft“, wie die „Tagesschau“ schreibt.
Kupfer, Öl und ein Wirtschaftskorridor
Neben Infrastrukturprojekten ist Peking besonders an den Bodenschätzen des Landes interessiert. China sicherte sich bereits Investitionen in der Kupfermine Mes Aynak im Osten Afghanistans und in den Ölfeldern im Norden des Landes am Amu Darya. Verhandelt wurde laut „The Daily Beast“ auch über eine Straße zwischen Kabul und Peschawar (in Pakistan, nordwestlich von Islamabad). 62 Milliarden US-Dollar sollen für diesen chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor ausgegeben werden.
Peking erklärt seine Bemühungen in Afghanistan damit, dass die Taliban in die angrenzende chinesische Region Xinjiang vordringen könnten. Die riesigen Internierungslager, in denen hauptsächlich Uiguren gefangen gehalten werden, werden pauschal mit einem islamistischen Terrorismusverdacht gerechtfertigt.
Ein Blick in die Geschichte zeigt noch weitere Beziehungen: Im Jahr 1980 schickte die KP Chinas nicht nur rund 300 Militärberater zu den Mudschaheddin nach Afghanistan, sondern richtete auch militärische Trainingslager in Kaschgar und Hotan in Xinjiang ein, um diese in Fertigkeiten wie dem Gebrauch von Waffen, Militärstrategie, Propaganda und Spionage zu unterweisen. Xinjiang wurde zur Ausbildungsbasis.
KP China pflegte enge Verbindungen zu Al-Kaida
Bis zum Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan 1989 bildete das chinesische Militär bereits mehrere Tausend Dschihadisten aus. Diese erhielten Maschinengewehre, Raketenwerfer und Boden-Luft-Raketen im Wert von zwei bis vier Milliarden US-Dollar, zählt S. Frederick Starr in „Xinjiang: Chinas’s Muslim Borderland“ 2004 auf. Das chinesische Regime stellte zudem der Al-Kaida zehn Millionen US-Dollar zur Verfügung, um nicht explodierte US-Raketen (Marschflugkörper) kaufen zu können und so ihre eigene Technologie zu verbessern.
Gleichzeitig stellte die KP Chinas sensible Militärtechnologie zur Verfügung und Huawei Technologies sollte den Taliban helfen, ein umfassendes militärisches Kommunikationssystem in ganz Afghanistan aufzubauen.
Am Tag der Anschläge vom 11. September 2001 unterzeichneten chinesische und Taliban-Vertreter einen Vertrag zur Ausweitung der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit, wie S. Frederick Starr belegt. Als anschließend US-Sanktionen gegen das Taliban-Regime verhängt wurden, enthielt sich China nicht nur der Stimme, sondern schickte auch Militärpersonal zur Unterstützung der Taliban in das Land.
Amerikanische Geheimdienste erfuhren nach dem Anschlag 2001, dass sowohl der chinesische Kommunikationskonzern ZTE als auch Huawei den Taliban halfen, in Kabul ein Telefonnetz aufzubauen. Chinesische Gemeindienste unterstützten mithilfe von Briefkastenfirmen Bin Laden bei der Beschaffung finanzieller Mittel, unter anderem mit Geldwäsche an den Finanzmärkten der Welt.
Ein aktuelles Problem: Die Luftwaffe wird mehr oder weniger stillgelegt
Die Luftwaffe ist derzeit noch der wichtigste militärische Vorteil der afghanischen Regierungstruppen gegenüber den Taliban.
Allerdings haben sich die Regierungstruppen bei der Reparatur und -wartung der Ausrüstung ihrer Luftwaffe bislang stark auf die von den USA finanzierten Auftragnehmern verlassen. Mit dem Abzug der internationalen Truppen haben die rund 18.000 Mann umfassenden Auftragnehmer, die die militärische Technik versorgten, ebenfalls zurückgezogen.
Militärexperten schätzen, dass daher Kampfflugzeuge, Frachtflugzeuge, Hubschrauber und Drohnen nicht länger als ein paar Monate in der Luft gehalten werden können. Afghanische Beamte sagten hingegen, dass sie in der Lage seien, die Taliban ohne US-Unterstützung am Boden zu bekämpfen, schreibt Dan De Luce bei „NBC News“.
Bradley Bowman, ein ehemaliger Armeeoffizier und Black-Hawk-Hubschrauberpilot, der in Afghanistan diente, erklärt: „Wir reden hier über die mehr oder weniger vollständige Stilllegung der afghanischen Luftwaffe.“
3,3 Millionen US-Dollar
Am 23. Juli teilte US-Präsident Joe Biden dem afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani mit, dass er 3,3 Milliarden US-Dollar für die afghanischen Sicherheitskräfte in den Haushaltsantrag 2022 aufgenommen habe. Die Militärhilfe umfasst eine Milliarde Dollar zur Unterstützung der afghanischen Luftwaffe und einer Spezialeinheit, eine Milliarde Dollar für Treibstoff, Munition und Ersatzteile sowie 700 Millionen Dollar für die Gehälter der afghanischen Soldaten.
Einen Monat zuvor, am 25. Juni 2021, trafen sich beide Präsidenten in Washington. Biden kündigte an, dass die US-Luftwaffe nach dem 31. August die afghanischen Regierungstruppen nicht mehr vor den Taliban schützen werde.
Anfang Juli räumten die USA ihren größten Stützpunkt in Bagram, auf dem zeitweise bis 30.000 Soldaten stationiert werden. In den USA treffe der Truppenabzug vor allem auf Gleichgültigkeit, kommentiert Christian Zaschke in der „Süddeutschen Zeitung“. Eine politische Debatte finde nicht statt.
Als Erfolg könne gelten, dass die beiden wichtigsten Ziele erreicht seien: Osama bin Laden zu töten und die Einfluss von Al-Kaida zu minimieren. Doch dafür hätte es keinen 20 Jahre dauernden Großeinsatz und rund zwei Billionen US-Dollar gebraucht. Zaschke sieht den Einsatz „auf der ganzen Linie gescheitert“.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe KW29
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