Staatsrechtler Vosgerau: „Die Einwanderung wird in Deutschland über ein subjektives Recht auf Asyl organisiert“
Staatsrechtler und Christdemokrat Dr. Ulrich Vosgerau hofft beim albanischen Modell auf eine abschreckende Wirkung, wenn sich bei jenen, die mit dem Boot ankommen, herumspricht, dass Zuwanderer erst einmal ein paar Jahre in Albanien verbringen werden.
Im weiteren Gespräch mit Epoch Times erörtert Ulrich Vosgerau auch die demografische Problematik als deutschen Sonderweg, die Familienpolitik der letzten Jahrzehnte und was das mit dem Rentensystem zu tun hat.
Italiens will zwei Flüchtlingslager auf albanischem Boden betreiben. Ziel sei es, die Migration über das Mittelmeer nach Italien und damit in die EU einzudämmen. Aber wie will man verhindern, dass solche Lager erst recht zum Anlaufpunkt und zum legalen Tor nach Europa und in die deutschen Sozialsysteme werden?
Man kann es nur so verhindern, indem man die Überfahrt aus diesen Lagern letztlich unmöglich macht. Das ist die Ruanda-Option, die es in Großbritannien gibt. Dort will man durchsetzen, auch wenn das rechtlich noch umstritten ist, dass eben die Asylbewerber, die in Großbritannien ankommen, nicht nur zunächst nach Ruanda geschafft werden, sondern auch im Falle eines erfolgreichen Asylverfahrens, was ja nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit hat, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen in Ruanda bleiben und dort in Sicherheit sein sollen.
Und wirklich durchgreifend wäre es natürlich nur, wenn in der Tat auch Italien jetzt völkerrechtliche Abkommen mit Albanien schließen würde. Dahingehend, dass eben auch die positiv beschiedenen Asylbewerber dann eben in Albanien sozusagen ihr Asyl finden.
Auch wenn man das konsequent durchsetzt, schätze ich, dass jeder, der mit dem Boot ankommt, weiß, er wird sich nicht in Italien ansiedeln und von dort die nächste Gelegenheit wahrnehmen können, um nach Deutschland weiterzufahren. Sondern, dass er auf jeden Fall erst mal ein paar Jahre in Albanien sein wird, was natürlich auch eine gewisse abschreckende Wirkung entfalten kann, wenn es sich herumspricht.
Kurz vorgestellt: Sie wären Syrer und Sie hätten sich bis nach Albanien in solch ein Lager vorgetastet. Und Sie werden dort abgelehnt. Dann fahren Sie eben allein von Albanien nach Deutschland. Oder sollen sie dann nach Syrien zurückgeflogen werden?
Selbstverständlich könnte auch das passieren, das weiß man nicht. Man muss sehen, die Italiener verfolgen italienische Interessen. Die wissen natürlich, dass letztlich die Asylbewerber nicht bei ihnen bleiben wollen, sondern durchweg weiterreisen wollen nach Deutschland, auch teilweise in die Niederlande, teilweise, aber nicht mehr so oft, nach Dänemark. Die Italiener wollen sich wahrscheinlich davon entlasten, dass so viele mit Booten als Erstantragsteller bei ihnen ankommen. Und deswegen wahrscheinlich der Plan mit Albanien, auch wenn mir hier nähere Einzelheiten nicht bekannt sind.
Wo ist der Unterschied zwischen dem Ruanda- und dem Albanienmodell?
Ruanda befindet sich überhaupt nicht auf dem europäischen Kontinent und nicht in der Nähe von Großbritannien. Nach dem Ruanda-Modell sollen die Asylbewerber, die nach Großbritannien vordringen, dann künftig dorthin geschafft werden. Und dabei soll dann zugleich feststehen, dass selbst das eine Prozent, oder wie viele das sein mögen, die am Ende mit ihrem Antrag Erfolg haben, weil sie tatsächlich persönlich politisch verfolgt sind, dann auch in Ruanda verbleiben und in Sicherheit vor Verfolgung sein sollen.
Im Grundgesetz ist seit 1993 der Grundgedanke festgeschrieben – der aber aus verschiedenen Gründen nicht umgesetzt wird – dass jemand, der über ein sicheres Drittland einreist, in Deutschland nicht asylberechtigt ist, weil er ja bereits in Sicherheit war und weil objektiv keine Notwendigkeit dafür besteht, zur Umsetzung des Asylanspruchs ausgerechnet nach Deutschland einzureisen.
Und das Ruanda-Modell wäre sozusagen die „große Lösung“, genau wie das auch Australien macht, wo Asylbewerber gar nicht auf den australischen Subkontinent vordringen können, gar nicht eingelassen werden, sondern stattdessen in Auffanglagern in Südostasien untergebracht werden, wiederum aufgrund völkerrechtlicher Verträge. Das wäre sozusagen das weitergehende Modell gegenüber der italienischen „Albanien-Variante“. Also erstens weit weg, möglichst auf einem anderen Erdteil, und zweitens, auch die positiv beschiedenen Asylbewerber würden dort bleiben und nicht nach Europa einreisen.
Aber passt das zur Idee, dass die Migranten das deutsche Demografieproblem lösen sollen? Und inwieweit ist eine Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten überhaupt mit dem europäischen oder deutschen Asylgesetz vereinbar, wie hängt das zusammen?
Erstens, die Bekämpfung der demografischen Problematik auf dem Wege des Asylrechts ist kein allgemeiner Rechtsgrundsatz und auch kein allgemeiner europäischer Grundsatz, sondern ein absoluter deutscher Sonderweg, der sich als völlige Sackgasse erwiesen hat.
Dass wir also die Arbeitskräfte-Zuwanderung sozusagen über das Asylrecht regeln wollen, hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren mehrere Millionen vor allem junger Männer eingelassen worden sind, was aber überhaupt nicht zu einer Minderung des Arbeitskräftemangels geführt hat. Und das deutsche Asylrecht gebietet auch nicht, dass jeder Asylant ausgerechnet in Deutschland Asyl finden muss.
Ursprünglich war das deutsche Asylrecht bis zum Asylkompromiss 1993 so geregelt, dass es prinzipiell einen Anspruch auf Aufnahme ins Asylverfahren und auf Prüfung des Asylanspruches für jeden Menschen auf der Welt gab, sofern er es denn schaffte, nach Deutschland vorzudringen. Das wurde 1993 geändert.
Damals hat man gesagt, jeder, der auf dem Landweg nach Deutschland einreist, denknotwendigerweise mehrere sichere Drittstaaten, also EU-Staaten oder sonstige Schenken-Staaten, durchquert hat und da bereits in Sicherheit war, war auch gar kein Flüchtling mehr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und hätte da bereits Asyl beantragen und finden können. Er reist nur weiter, weil in Deutschland eben die soziale Absicherung sehr viel besser ist als anderswo, und genau darauf gibt es keinen Anspruch.
Der Asylkompromiss spielt heute gar keine Rolle mehr, weil das Asylrecht heute als europarechtlich überlagert gilt. Was dann unter anderem auch zur Staatspraxis in Deutschland führt, dass man jeden, der an der Grenze das Wort Asyl ausspricht, erstmal einreisen lässt, obwohl nach dem Grundgesetz eigentlich feststeht, dass er kein Asyl in Deutschland finden kann. Man lässt ihn einreisen, angeblich um festzustellen, welches europäische Land denn im Sinne des Prinzips des Ersteinreisestaats, das sich aus der Dublin-III-Verordnung ergibt, zuständig ist. Das klappt aber nie, so wie es geplant ist, weil bereits nach einem halben Jahr des Aufenthalts in Deutschland die Asylzuständigkeit dann ohnehin bei Deutschland liegt.
Bei den Albanien- und Ruandamodellen fällt einem der Türkei-Deal ein, wo es darum ging, dass die Türkei aufgegriffene Illegale zurücknehmen muss, aber dafür zugesichert bekam, dass sie 1:1 einen Migranten auf dem legalen Weg schicken kann. Aber was soll dabei gewonnen werden?
Die Begründung war, die Leute sollen von einer illegalen Einreise absehen, weil ihnen dann eine legale Einreise offensteht. Sie müssen sich nur bei Erdogan anmelden. Dann werden sie früher oder später in ein Flugzeug gesetzt. Sie sollen sich nur nicht in Schlauchboote setzen und illegal kommen.
Aber das hat nicht geklappt, denn Erdogan hat die Leute gar nicht zurückgenommen. Man hat dann ausgerechnet, wie viele faktische Rücknahmen tatsächlich erfolgt sind und wie viel dann eine gekostet hat vor dem Hintergrund mehrerer Milliarden Euro, die gezahlt worden sind. Dabei kamen abenteuerliche Summen heraus.
Warum wurde das deutsche demografische Problem nicht durch massive Familienförderung selbst gelöst?
Das ist das nächste Problem. Und da überlagert sich manches. Es ist zu sehen, dass in Deutschland und überhaupt in westlichen Staaten auf die demografischen Probleme nicht mit einer wirklichen Natalitätspolitik reagiert wird. In der DDR gab es seinerzeit eine ansatzweise Natalitätspolitik. Da konnte man irgendwie Immobilien günstiger bekommen beziehungsweise musste man ab dem dritten Kind bestimmte Kredite nicht mehr zurückzahlen, das hieß „einen Kredit ‚abkindern‘“. Gut, bei uns gabs und gibt es Kindergeld beziehungsweise Steuerfreibeträge, je nach Einkommen.
Aber das Problem ist sicherlich vielschichtig. Wir sehen heute, das ist auch wieder ein Konsens, dass die wichtigste Sorge der Politik in diesem Bereich seit langem zu sein scheint, dass jede halbwegs erwachsene Frau, egal was sie sonst gelernt hat und was sie für Voraussetzungen haben mag, auf jeden Fall erst mal Vollzeit arbeitet.
Das ist natürlich eine Politik, die der Natalität und der Steigerung der Natalität nicht besonders zugetan ist. Und wenn man dann fragt, warum machen die das, dann fällt auf, dass das wahrscheinlich nicht nur ideologische Gründe hat. Der Satz „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ stimmt ja doch sehr häufig, also zuerst sind die äußeren Tatsachen und wirtschaftlichen Sachzwänge dar, und dann wird eine Ideologie dazu gemacht. In der DDR hat man gesagt, bei uns arbeiten die Frauen, weil der Sozialismus die Frau befreit hat, aber in Wahrheit lag es an der schlechten Produktivität, dass jede Arbeitskraft gebraucht wurde.
Bei uns war die Produktivität herkömmlich immer sehr gut (auch wenn sie noch besser hätte sein können, wenn wir seit den 1960er-Jahren wie die Japaner auf Automatisierung statt auf Gastarbeiter gesetzt hätten), aber unser Problem ist die Rentenversicherung. Die Rentenversicherung ist in Deutschland längst zu einem Schneeballsystem geworden, bei dem man immer neue Einzahler braucht, die auf der einen Seite eintreten, damit an die vielen Rentner, die an der anderen Seite stehen, eine scheinbare Dividende ausgezahlt werden kann.
Und ich glaube, die Politiker sind ganz wesentlich damit beschäftigt, in der jetzigen Zeit das Schneeballsystem Rentenversicherung irgendwie über die Runden und ins nächste oder übernächste Jahr zu retten. Und deswegen wollen sie eben unbedingt, dass möglichst viele Frauen möglichst Vollzeit arbeiten und auch einzahlen. So wie es immer weitere Pläne gibt, die Beamten irgendwann da zu integrieren. Was allerdings wenig Sinn hat, weil die auch etwas rauskriegen müssten. Das ist eine ganz kurzsichtige Politik. Die wird eben gemacht, um ein System, das längst pleite ist, von Jahr zu Jahr irgendwie am Leben zu erhalten. Diese Politik, die kurzfristig Probleme lösen soll, führt langfristig zu einer Verschlimmerung der dahinterstehenden Probleme, eben der mangelnden Natalität.
Kann es überhaupt noch eine Schubumkehr geben, oder ist ein Point of no Return längst erreicht?
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, das müssen wir sehen. Wenn ich mal meinen Menschenverstand bemühe, dann muss ich sagen, dass ich zu Optimismus wenig Anlass sehe. Und ich kann nochmals verweisen auf Sarrazin, der sein „Deutschland schafft sich ab“ aus dem Jahre 2010 dann im Jahre 2021 beim Verlag Langen Müller neu herausgebracht hat, mit einem fast 70 Seiten langen neuen Vorwort, wo er darüber nachdenkt, was denn aus seinen Prognosen geworden ist. Er hat damals mehrere Prognosen erstellt. Und die hatte er immer in dreifacher Version erstellt: eine optimistische, eine pessimistische und eine mittlere. Und 2021 sagt er dazu, seine pessimistischen Prognosen seien von der Wirklichkeit längst überboten worden, schon deshalb, weil er die große Grenzöffnung von 2015/16, die ja bisher eigentlich nicht beendet wurde, natürlich nicht so voraussehen konnte. Deswegen besteht wahrscheinlich bei halbwegs objektiver Herangehensweise für Optimismus wenig Grund.
Danke für das Gespräch!
Das Interview führt Alexander Wallasch.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion