Ist ein Social-Media-Verbot für Jugendliche in Deutschland umsetzbar?

Die Forderung einer Einschränkung des Zugangs zu den sozialen Medien ist Gegenstand vieler kritischer Debatten. Aber gilt das auch für den Jugendschutz? Einschränken als Hilfe zur Selbsthilfe – oder doch ein trojanisches Pferd?
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Ein häufiges Phänomen unter Jugendlichen: Cybermobbing.Foto: SeventyFour/iStock
Von 4. Dezember 2024

An einer Stelle in den Sozialen Medien hatte Sahra Wagenknecht gefordert: „Schluss mit der Übergriffigkeit des Staates“. Parallel dazu fordert die BSW-Parteichefin jetzt eine staatliche Beschränkung des Zugangs zu den sozialen Medien für Jugendliche. Wie passt das zusammen und wie kommt die linke Politikerin überhaupt auf diese Idee?

Sahra Wagenknecht hat einen Teil ihrer Popularität häufigen Auftritten in öffentlich-rechtlichen Talkshow zu verdanken. Die Tagesschau schrieb dazu einmal: „Oft in Talkshows, selten im Parlament.“

Diese Auftritte sind allerdings nur ein Standbein der langjährigen Abgeordneten der Partei Die Linke. Wagenknechts Popularität gründet auch auf ihrer Präsenz in den Sozialen Medien. Sie ist sowohl in Facebook wie auf X aktiv und erreicht mit ihren Kurzkommentaren dort regelmäßig überdurchschnittlich hohe Aufmerksamkeit.

Hinzu kommt mit „Wagenknechts Wochenschau“ eine regelmäßige Politiksendung auf YouTube mit über 650.000 Abonnenten und Abrufzahlen zwischen 1,5 und 2 Millionen Aufrufen – je nach Vermarktungsstrategie kann das sogar ein lukratives Geschäftsmodell sein.

Auf Social Media möchte Sahra Wagenknecht Jugendlichen unter 16 Jahren jetzt den Zugang erschweren oder ganz verbieten. Die Politikerin hat sich für strengere Regulierungen der Nutzung sozialer Medien durch Jugendliche ausgesprochen. Ihre Bedenken richten sich insbesondere auf die potenziell negativen psychischen und sozialen Auswirkungen, wie Cybermobbing, Suchtverhalten und die Verbreitung von Desinformation.

Gegenüber dem „Tagesspiegel“ erklärte Wagenknecht, die Politik habe gegenüber den Jüngsten eine Schutzverantwortung, „dazu gehört die körperliche und psychische Gesundheit“. Sie möchte Jugendlichen nicht das Smartphone wegnehmen, meint aber: „Immer mehr Kinder und Jugendliche leben in einem virtuellen Paralleluniversum. Sie entwickeln Abhängigkeiten, die Algorithmen der Konzerne treiben sie in Depressionen.“

Wagenknecht: Vorbild Australien

Die Frage nach der genauen Altersgrenze und einer zulässigen Stundenzahl will die BSW-Chefin aber Fachleuten überlassen. Auf jeden Fall sollen die Digitalkonzerne daran mitwirken, „technische Lösungen zu präsentieren, die die Nutzung durch Kinder und Jugendliche wirksam erschweren“.

Was Wagenknecht Jugendlichen verbieten möchte, kritisiert sie allerdings an anderer Stelle. So heißt es im Programm zur Europawahl unter anderem, das BSW fordere, den Digital Services Act zurückzunehmen, weil hier die Einschränkung der Meinungsfreiheit befürchtet werde.

Auch der EU-Abgeordnete Dr. Friedrich Pürner (BSW) positioniert sich dazu auf Nachfrage gegenüber Epoch Times: „Eine Verbotskultur lehne ich grundsätzlich ab. Ich sehe die Dinge lieber immer differenzierter, Vor- und Nachteile müssen in ihrer Verhältnismäßigkeit sorgfältig abgewogen werden. Relevant bleibt die Freiheit des Einzelnen.“

Sahra Wagenknecht fordert von einer kommenden Regierung: „Die nächste Bundesregierung muss ein Social-Media-Gesetz vorlegen, das in eine ähnliche Richtung wie Australien geht!“

Warum Australien? Dort wird aktuell eine Altersgrenze von 16 Jahren für soziale Medien diskutiert. Dies solle Jugendlichen ermöglichen, verantwortungsvoller mit digitalen Medien umzugehen, ohne sie komplett auszuschließen.

Bewegung und frische Luft

Der Bayerische Rundfunk (BR) hat zusammengefasst, was Australien im kommenden Jahr umsetzen will. So begründe der australische Premierminister Anthony Albanese das Vorhaben damit, „Kinder und Jugendliche von den Handys wegzubringen“ und sie stattdessen wieder häufiger auf Bolzplätze, in Schwimmbäder und Tennisplätze bringen zu wollen.

„Ich habe mit Tausenden Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln gesprochen. Und sie sind wie ich zutiefst besorgt um die Online-Sicherheit unserer Kinder“, sagte Premier Anthony Albanese.

Im Fokus des australischen Vorhabens stehen laut BR vor allem gesundheitliche Aspekte wie die Zunahme von Depressionen und Schlafstörungen durch exzessive Social-Media-Nutzung:

„Die Betreiber von Plattformen wie Facebook oder TikTok müssen nun innerhalb eines Jahres wirksame Altersprüfungen einführen. Bei Verstößen drohen hohe Geldstrafen.“

Auch in Frankreich gibt es mittlerweile Bestrebungen, Social Media für Jugendliche zu reglementieren.

Aber inwieweit besteht hier die Gefahr einer grundsätzlichen Reglementierung der sozialen Medien durch die Hintertür? Die vorgeschlagenen Regulierungen stoßen auch auf Kritik: Fachleute wie Jutta Croll von der Stiftung Digitale Chancen sehen starre Altersgrenzen skeptisch, da sie schwer durchzusetzen seien. Und sie erinnert daran, dass viele Plattformen bereits ein Mindestalter von 13 Jahren voraussetzen, welches allerdings oft umgangen werde.

Eine neue Internethygiene

Croll argumentiert, dass Begleitung und Bildung von Eltern und Pädagogen effektiver seien, um Jugendlichen einen gesunden Umgang mit sozialen Medien beizubringen. Sie warnt auch davor, dass ein plötzlicher Zugang mit 16 Jahren die Jugendlichen überfordern könnte.

Und noch etwas steht dem Vorhaben im Wege: Ein solches Verbot könnte gegen das Recht auf Zugang zu Informationen gemäß der UN-Kinderrechtskonvention verstoßen. Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention stellt nämlich klar, dass die Vertragsstaaten Kindern den Zugang zu Medien ermöglichen müssen. Kinderrechte müssen entsprechend auch im digitalen Raum zu ihrer vollen Entfaltung kommen.

Zu bedenken gilt auch: Eine Umsetzung in Deutschland wäre nur im Rahmen der EU möglich, da EU-Gesetze wie der Digital Services Act (DSA) bereits die Verantwortung der Plattformen und der Eltern regeln.

Während Wagenknechts Vorschlag auf echte Probleme abzielt, wie die psychische Gesundheit von Jugendlichen, bleiben Vorschläge zur praktischen Umsetzung verschwommen. Statt eines pauschalen Verbots favorisieren viele Experten eine bessere mediale Bildung und stärkere Begleitung durch Erwachsene. Die Debatte wird hier zum Balanceakt zwischen Schutzmaßnahmen und der Wahrung von Freiheitsrechten.

Unbestritten prägt die Nutzung sozialer Medien das Leben von Jugendlichen und verändert die Gesellschaft nachhaltig. Was sind die Chancen, was die Risiken? Soziale Medien eröffnen neue Möglichkeiten der Vernetzung und des Austauschs. Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube werden immer populärer und bieten ein individuelles Informationspaket. Jugendliche interagieren hier und lernen Gleichgesinnte über räumliche Grenzen hinweg kennen.

Eine moderne politische Partizipation junger Menschen

Die JIM-Studie belegt, dass 95 Prozent der 12- bis 19-Jährigen täglich das Internet nutzen. Die beliebtesten Plattformen sind Instagram, TikTok und YouTube. Diese, so die Bundeszentrale für politische Bildung – durchaus positiv in ihrer Bewertung – bieten Orientierung und soziale Unterstützung, besonders in herausfordernden Entwicklungsphasen wie der Pubertät.

Darüber hinaus fördern soziale Medien die politische Partizipation junger Menschen. Kampagnen zu sozialen und ökologischen Themen erreichen durch virale Inhalte Millionen, wodurch Jugendliche gesellschaftliche Debatten aktiv mitgestalten können.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich demgegenüber explizit mit den negativen Folgen der Online-Gewohnheiten von Jugendlichen auseinandergesetzt. So könne eine problematische Nutzung süchtiges Verhalten, Schlafmangel und psychische Probleme wie Angstzustände oder Depressionen auslösen. So sollen Jugendliche, die besonders intensiv soziale Medien nutzen, häufiger über Cybermobbing und andere Formen von Online-Belästigungen berichten.

In der Cyberlife-Studie 2022 gab ein relevanter Teil der Befragten an, Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht zu haben, was ihr Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtige.

Zudem verstärken soziale Medien Filterblasen und die Verbreitung von Desinformation, meint die „Pasch-Initiative“ unter dem Dach des Auswärtigen Amtes und des Goethe-Instituts.

Die intensive Nutzung sozialer Medien polarisiert. Gleichzeitig werden traditionelle Kommunikationsformen durch schnelllebige, visuell orientierte Online-Inhalte ersetzt. Hier entsteht etwas Neues. Gleichzeitig sehen Kritiker die Vielfalt und Tiefe gesellschaftlicher Diskussionen beeinträchtigt.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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