Jugendschutz neu gedacht: Von der Kontrolle des Browserverlaufs bis zum Internetführerschein
Sahra Wagenknecht forderte jüngst dazu auf, Jugendlichen den Zugang zu den sozialen Medien einzuschränken. Damit traf sie bei vielen Menschen auf offene Ohren, erntete aber auch Kritik.
Unberührt von der laufenden Debatte bleibt die Frage, welche Regelungen überhaupt sinnvoll und welche auch praktikabel sind. Gibt es den ultimativen Elternratgeber „Soziale Medien“ mit Tricks und Tipps im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die von morgens bis abends im Internet unterwegs sind?
Teilt man die Überzeugung der BSW-Chefin Sahra Wagenknecht, dass der Social-Media-Konsum von Jugendlichen eingeschränkt werden muss, dann kann die daraus erwachsene Aufgabe schnell zum zentralen Thema der Erziehung werden.
Vielschichtiger in der Aufgabenstellung wird es dort, wo Eltern selbst einen Großteil ihrer Freizeit in den sozialen Medien verbringen. „Deutschlandradio Kultur“ erinnerte Anfang vergangenen Jahres daran, dass Eltern heutzutage überwiegend selbst Kinder des Internets sind: „Die Digital Natives werden erwachsen – und mit ihnen auch die Internet- und Computerspielsüchtigen.“
Kloster Dießen, eine Spezialklinik unter anderem für Internet- oder Computerspielsucht, beschreibt mit einfachen Worten, was den Internetsüchtigen gleich welches Alters heute fehlt: „Licht und Luft, andere Lebewesen, der eigene Körper.“ Nicht wenige Familien kennen das mittlerweile gut: Selbst in den eigenen vier Wänden wird durch verschlossene Türen via WhatsApp miteinander kommuniziert.
Nonverbale Kommunikation als Familientherapie
Die Online-Präsenz einer Familienberatung beispielsweise legt ein besonderes Augenmerk auf die Familienkommunikation. Hier gehe es nicht nur darum, vom geschriebenen ins miteinander gesprochene Wort zu wechseln, sondern darüber hinausgehend um nonverbale Kommunikation, „um den Austausch von Blicken, Lächeln und Berührungen“.
Diese kleinen Gesten könnten dazu beitragen, heißt es weiter, bei der privaten Beratungsinstitution, „eine positive Atmosphäre zu schaffen und das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.“ Ebenso könne eine liebevolle Umarmung oder ein tröstender Händedruck in schwierigen Zeiten viel mehr Trost spenden als Worte allein.
Die Empfehlungen der Fachleute deuten an, dass diese expliziten Probleme der Jugendlichen weit in die Familie hineinreichen. Das gilt sowohl für die allgemeinen Herausforderungen der Pubertät als auch für eine ausgeprägte Internetabhängigkeit, die von den Jugendlichen selbst nicht mehr als positives Moment der Freizeitgestaltung wahrgenommen wird.
Grundsätzlich gilt – da sind sich die Fachleute einig: Social Media hat sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Der Schlüssel zu einem gesunden Umgang liegt darin, Regeln und Grenzen zu setzen, die das Wohl des Kindes fördern, gleichzeitig aber auch Raum für Selbstständigkeit und eine verantwortungsbewusste Nutzung bieten.
Leichter gesagt als getan, wenn Social Media längst fester Bestandteil des Lebens vieler Kinder und Jugendlicher geworden ist. Plattformen wie Instagram, TikTok, YouTube und Snapchat bieten eine Vielzahl von Inhalten, die sowohl informativ als auch unterhaltsam sind.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat eigens ein „Infoportal für Mediennutzung und Medienkompetenz“ entwickelt, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Betroffenen dabei zu unterstützen, Online-Zeit zu reduzieren: „Weniger Zeit an Handy, Laptop & Co – Was kannst du selbst tun?“
Strickt limitierte Internetzeit
Das Portal baut auf die Kraft der Selbsterkenntnis und wendet sich mit „7 Tipps für weniger Medienkonsum“ an die Betroffenen selbst. Die Empfehlungen reichen von der strikten Einhaltung einer limitierten Internetzeit, dem löschen zeitfressender Spiele und Apps, Räumen ohne digitale Endgeräte, durchgeplanten analogen Tagesabläufen, Gesprächen mit Fachleuten bis hin zum Stecken kleinerer Ziele, die besser seien, als das eine unerreichbare.
Die Initiative der Bundeszentrale will den betroffenen Jugendlichen Mut machen: „Gewohnheiten ändern sich nicht von heute auf morgen. Wichtig ist nur, dass du anfängst und nicht aufgibst.“
Die Jugend-Digitalstudie 2024 der Postbank hat sich angeschaut, wie häufig Jugendliche ins Internet gehen. Danach wird am häufigsten das Smartphone für das Surfen genutzt. Mit durchschnittlich 38,7 Stunden pro Woche rangiert das Handy nach den aktuellen Daten an erster Stelle. Aber diese Nutzung sei eine Teilmenge der Internetzeit insgesamt, teilt die Studie mit:
„Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren verbringen wieder mehr Zeit im Internet. 71,5 Stunden sind sie derzeit durchschnittlich pro Woche online – das sind 1,6 Stunden mehr als im Vorjahr. Die Internetnutzung stieg damit erstmals seit dem Corona-Jahr 2020 wieder an.“
Was können weitere sinnvolle Regelungen für Kinder und Jugendliche sein, die dabei helfen, Internetzeit zu reduzieren? Einschlägigen Ratgebern gemein ist die Grundidee, klare und konsistente Regeln für den Umgang mit Social Media aufzustellen. Diese Regeln allerdings sollten „mitwachsen“ und sich altersgerecht an die Bedürfnisse des Kindes anpassen. Wichtig scheint hier ein früher Beginn im Sinne eines Trainings hin zur Selbstdisziplinierung.
Die Medienanstalt Rheinland-Pfalz hat sich via „Klicksafe“-Projekt Gedanken über eine freie Bildschirmzeit für Kinder im Alter von 12 bis 16 Jahren gemacht. Empfohlen werden maximal ein bis zwei Stunden am Tag freie Bildschirmzeit bis spätestens 21 Uhr.
Selbstreflexion als Weg aus der digitalen Abhängigkeit
Eltern sollen zudem regelmäßig prüfen, „ob neben der Mediennutzung noch ausreichend Zeit für Schule, Ausbildung und Hobbys bleibt.“ So banal es klingt, so herausfordernd kann es für die Eltern in der Umsetzung sein: „Jugendliche sollten vermehrt dazu ermutigt werden, den eigenen Medienkonsum zu reflektieren.“
Klicksafe empfiehlt Eltern zudem, sich nicht davor zu scheuen, Kindern bestimmte Webseiten zu untersagen. Die Begründung der Medienexperten: „In der Regel verstehen die Kinder Ihre Besorgnis – auch wenn sie dies nicht sofort zugeben können – und lernen so, Gefahren besser einzuschätzen.“
Unabhängig von den unterschiedlichen Interessen von Eltern und Kindern wird zudem empfohlen, den Anschluss zu den Interessen des Kindes nicht zu verlieren und sich immer wieder Zeit zu nehmen, gemeinsam mit dem Kind die Internetwelt zu erkunden, um so die Interessen des Kindes näher kennenzulernen.
Eine umstrittene Frage beantwortet Klicksafe übrigens eindeutig: Es sei für Eltern legitim, sich den Browserverlauf ihres Kindes anzuschauen. Dazu gehört dann ebenfalls ein Verbot des Löschens des Verlaufs.
Noch ein relevanter Satz der Experten der Medienanstalt Rheinland-Pfalz: „Kinder und Jugendliche wissen häufig besser als Erwachsene, was im Internet alles möglich ist. Aber: Sie kennen oft nicht die Gefahren oder Rechtsvorschriften!“
Entlang der entsprechenden Angebote im Netz gilt: Strategie vor Therapie. Wer das Kind frühzeitig in der Nutzung des Internets anleitet und es begleitet, der erspart den Heranwachsenden später eine zeitaufwendige Umprogrammierung von Angewohnheiten, welche Kinder und Jugendliche oft selbst als Belastung empfinden.
Sensibilisierungskampagne für die Gefahren im Internet
Neben der elterlichen Kontrolle spielt auch die Schule eine wichtige Rolle im Umgang mit Social Media. Lehrer können durch Aufklärung und Sensibilisierung für die Gefahren und Chancen von Social Media einen Beitrag leisten. Schulen könnten Medienkompetenz-Kurse anbieten, um Schüler in die Lage zu versetzen, Social Media verantwortungsbewusst zu nutzen. Eine Art Internetführerschein.
Wird so etwas in der Schule nicht angeboten, kann auch auf private Träger zurückgegriffen werden, die Kurse für Medienkompetenz anbieten und diese auch in die Schulen tragen, wenn etwa Elternvertreter entsprechend intervenieren. Und wo es bei den Kindern am Willen zur Teilnahme mangelt, hilft vielleicht eine Win-win-Situation: Der erfolgreich absolvierte Medienkompetenzkurs wird von den Eltern mit Zusagen über eine limitierte zusätzliche Internetzeit verbunden.
Solche Unterrichtungen sollten auch die Thematisierung von Datenschutz, Cybermobbing und Fake News umfassen. Gesellschaftliche Initiativen, die auf einen verantwortungsvolleren Umgang mit digitalen Medien hinwirken, sind ebenfalls von Bedeutung. Kampagnen zur Förderung der digitalen Gesundheit und zur Aufklärung über die negativen Auswirkungen von Social Media auf die psychische Gesundheit sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Solche Informationen sind für die ganze Familie von Bedeutung.
Die dem Bundesfamilienministerium unterstellte Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (bis 2021 „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“), sieht heute eine Kernaufgabe darin, Kinder und Jugendliche vor einem exzessiven Internet – und Social-Media-Konsum zu schützen und entsprechende präventive Angebote zu machen wie etwa dem „Gefährdungsatlas Digitales Aufwachsen“. Der besagte Atlas erhebt den Anspruch, einen aktuellen Überblick über die Mediennutzungsrealität von Kindern und Jugendlichen und mögliche Online-Gefährdungen zu gewährleisten.
Die Delegitimierung des Staates im Kinderzimmer
Familienministerin Lisa Paus schreibt im Grußwort zum über 250 Seiten starken Atlas, die Fragestellung laute heute, wie es uns gelingt, Schutz, Befähigung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen bei der Nutzung digitaler Medien zu gewährleisten.
Inhaltlich geht es hier auch darum, politisch extremistische Inhalte zu erkennen und von Kindern fernzuhalten. Der Atlas hat dafür den Begriff eines „niederschwelligen Extremismus“ verwendet, wo Extremismus noch nicht so ausgeprägt sei, dass er indiziert werden könne, wo es sich um „subtile“ extremistische Inhalte handle. Hier sei es wichtig, berichtet der Atlas, dass „diffuse systemkritische Positionen“ von Kindern nicht noch verstärkt werden.
Die Debatte um die Internetkultur von Kindern und Jugendlichen hat demnach auch eine politische Komponente. Die „bestehende Ordnung“, so heißt es weiter, dürfe nicht „diskursiv bis gewaltsam delegitimiert werden“. Die von Bund und Ländern 2021 neu geschaffene verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates hat damit auch den Weg in die Kinderzimmer gefunden.
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