Der „Energiegipfel“ als Ausweg aus der Planwirtschaft?

Die Bundestagswahl ist vorbei. Koalitionäre verhandeln. Dabei treffen ihre gegensätzlichen Strategien für Klima- und Energiepolitik mit voller Wucht aufeinander. Wie könnte eine Einigung aussehen, die eine zuverlässige, preiswerte und umweltfreundliche Energieversorgung sichert? Im Zeitalter der großen Vergesslichkeit ist dazu ein Blick in die Wahlprogramme angebracht.
Einige Parteien – nennen wir sie zur Vermeidung der Begriffe „links“ und „rechts“ die ökologisch-sozialen (ÖS) – wollen laut ihren Wahlprogrammen den „Kurs beim erreichten Rekord-Ausbautempo“ erneuerbarer Energie halten, „eine Solarpflicht für Neubauten sowie für Bestandsbauten nach einer umfassenden Dachsanierung“ einführen und dafür sowohl den „Deutschlandfonds [nutzen,] als auch die Reform der Schuldenbremse“ vornehmen.
Die andere Fraktion – nennen wir sie die Freiheitlich-Konservativen (FK) – will hingegen einen Wiedereinstieg in die Kernenergie. Konkret setzt die Gruppe in ihren Wahlprogrammen „auf die Forschung zu Kernenergie der vierten und fünften Generation, Small Modular Reactors und Fusionskraftwerke“, sowie darauf, dass „Kernkraftwerke der neuen Generation, etwa Dual-Fluid-Reaktoren, Thorium-Flüssigsalzreaktoren oder Small Modular Reactors in Deutschland rechtssicher gebaut werden können.“
Zwei Irrwege
Beide Strategien werden von breiten Wählerkreisen unterstützt. Beide sind mit wohlklingenden Narrativen ausgeschmückt – von Sonne und Wind, die keine Rechnung schicken und vom preiswerten Atomstrom im Überfluss. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als stünden die Pläne im Gegensatz zueinander. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich hingegen bei beiden um Irrwege in die staatliche Planwirtschaft. Unterschiedlich nur in der Form, nicht in der Sache.
Beide Seiten bürden dem Steuerzahler nämlich Belastungen in Milliarden-, wenn nicht gar in Billionenhöhe auf. In einem Fall über die milliardenschweren EEG-Subventionen, die seit 2023 aus dem Staatshaushalt bezahlt werden. Im anderen Fall über die Entwicklungs- und Baukosten für neuartige Reaktoren, gegen die die Mehrkosten für den Berliner Flughafen und den Stuttgarter Hauptbahnhof Peanuts sein dürften.
Beide Spielarten staatlicher Planwirtschaft, ganz gleich ob solar oder nuklear, können Deutschland nicht nur in den finanziellen Ruin führen. Der ehemalige Hamburger Universitätspräsident Dieter Lenzen sagte im Jahr 2021 bei einer Podiumsdiskussion gar: „Die Energiewende hat das Potenzial zum Bürgerkrieg!“
Gibt es einen Ausweg aus der planwirtschaftlichen Sackgasse? Noch grundsätzlicher ist die Frage: Kann der Streit zwischen Klimaaktivisten und Klimakritikern befriedet werden? Es scheint schwierig, zwischen den unversöhnlichen Fraktionen Frieden zu schließen. Doch ist es wirklich unmöglich? Das soeben erschienene Buch „Der Energiegipfel“ hat sich dieser Frage angenommen.
Seine zentrale These lautet, dass der Schlüssel für die Befriedung des gesellschaftlichen Konflikts in einer Neubewertung der Rolle des Staates liegt.
Die Rolle des Staates
Der deutsche Staat hat sich während der 70 Jahre seit dem Atomeinstieg 1955 intensiv in der Energiepolitik engagiert. In den vergangenen 30 Jahren kam die Klimapolitik hinzu. Über Erfolg oder Misserfolg staatlicher Weichenstellungen zu Energie und Klima gehen die Einschätzungen zwischen ÖS- und FK-Anhängern weit auseinander. Es scheint aussichtslos, diesen Widerspruch zu befrieden, indem eine der beiden Seiten die andere von ihrem Standpunkt überzeugt – ebenso, wie es in den 500 Jahren seit der Reformation keine Einigung zwischen evangelischer und katholischer Kirche gegeben hat.
Eine Bekehrung der Klimakritiker-Fraktion zu ambitioniertem Klimaschutz halte ich für ebenso unwahrscheinlich wie die Einführung des Zölibats in der Evangelischen Kirche. Und vermutlich wird die katholische Kirche eher eine Päpstin wählen, als dass sich ein Klimakleber davon abbringen lässt, den Klimawandel für die größte Herausforderung der Menschheit zu halten.
Auch freie Wahlen – eigentlich der Königsweg zum Interessenausgleich in einem demokratischen Rechtsstaat – sind vermutlich für die dauerhafte Auflösung eines so tiefgreifenden und verhärteten Zerwürfnisses ungeeignet. Gewinnt eine Seite bei einer Wahl die Oberhand, wird sie als Erstes eifrig die aus ihrer Sicht falschen Klima- und Energiegesetze der Vorgängerregierung aufheben oder entschärfen, um nach vier Jahren in der nächsten Wahlperiode zuschauen zu dürfen, wie ihre politische Konkurrenz in einer Nachfolgeregierung alle Entscheidungen wieder zurückdreht. Dieses Hin-und-her bewirkt das genaue Gegenteil der Berechenbarkeit, die sich Bürger und Unternehmer eigentlich wünschen.
Nach meiner Überzeugung liegt der Schlüssel zur Lösung des gesellschaftlichen Konflikts darin, die Rolle des Staates bei Energie und Klima grundsätzlich zu überdenken. Um dem Staat eine angemessene Rolle zuzuweisen, schlage ich einen Energiegipfel ähnlich den Westfälischen Friedensverhandlungen vor. Der Energiegipfel sei ein mehrtägiges Treffen, bei dem sich Vertreter der unterschiedlichen politischen Strömungen zusammensetzen und über einen möglichen Weg in einen Energie- und Klimafrieden verhandeln.
Reflexion der bisherigen Energiepolitik
Die Verhandlungen könnten in vier Schritten erfolgen. In einem ersten Schritt bekommen die Gipfelteilnehmer die Aufgabe, die wichtigsten Fakten über acht staatliche Entscheidungen der vergangenen siebzig Jahre zusammenzutragen, die die Energie- und Klimapolitik Deutschlands geprägt haben. Hierzu gehören (1) der Atomeinstieg, (2) der Atomausstieg, (3) der Kohlepfennig, (4) der Kohleausstieg, (5) die Erdgasröhrengeschäfte zwischen der alten Bundesrepublik und der Sowjetunion, (6) die Einstellung der Erdgaslieferungen aus Russland seit 2022, (7) das Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG sowie (8) die De-facto-Verbote von Verbrennungsmotoren und Gasheizungen.
Als zweiten Schritt sollen die Gipfelteilnehmer die Frage beantworten, wie die Energieversorgung Deutschlands heute aussehen würde, wenn es in der Vergangenheit weder energie- noch klimapolitische Maßnahmen gegeben hätte – abgesehen von Antimonopol- und Emissionsschutzgesetzen. Diese beiden Instrumente werden selbst von Libertären akzeptiert, weil sie Eigentum und öffentliche Ordnung schützen. Schritt zwei dient dazu, einen Vergleichsmaßstab herzustellen. An diesem kann dann die tatsächliche Politik bewertet werden.
Aufwändigster Teil des Energiegipfels wäre der dritte Schritt. Hier erhalten die Teilnehmer die Aufgabe: „Bitte analysieren Sie für jede der acht Maßnahmen, wie sie sich auf Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Energieversorgung im Vergleich zu einem hypothetischen Minimalstaat Deutschland ohne Energie- und Klimapolitik ausgewirkt hat.“ Das ergibt 24 Fragen, deren Beantwortung intensive Diskussionen erfordern würde. Aus den Antworten ergibt sich eine Bilanz aus 70 Jahren deutscher Energie- und Klimapolitik.
Als vierter Schritt folgt abschließend der kreative Teil des Konvents mit der Aufgabe: „Leiten Sie aus dieser Bilanz einen Friedensplan ab, der für alle Gipfelteilnehmer annehmbar ist.“ Auf diese Frage wird im Buch „Der Energiegipfel“ eine Antwort formuliert – der Friedensplan für Energie und Klima, der für die hypothetischen Verhandlungspartner annehmbar sein könnte. Dieser Friedensplan ruht dabei auf zwei Säulen, einer Trennung von Klima und Staat sowie auf einer defensiven Energiepolitik. Ob ein solcher Frieden tatsächliches Verhandlungsergebnis wäre, gehört ins Reich der Spekulation.
Die gesellschaftliche Spaltung um Energie und Klima wird am Tag der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages vermutlich nicht beendet sein. Am Ende eines Energiegipfels könnte jedoch im Erfolgsfall ein Kompromiss stehen. Es wäre besser, den Konflikt jetzt zu befrieden, als jahrzehntelang miteinander zu kämpfen.
Über den Autor:
André Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Leiter eines Energieforschungsinstituts. Der vorliegende Beitrag enthält Auszüge aus seinem neuesten Buch „Der Energiegipfel – Ausweg aus dem Klimakampf“, welches am 17. Februar 2025 im Langen-Müller-Verlag erschienen ist.
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