J. R. R. Tolkiens „Briefe vom Weihnachtsmann“
Als ganz kleines Mädchen saß ich in der Weihnachtszeit mit Vorliebe unter dem Tannenbaum. Mein Vater hatte ihn vor unserem Panoramafenster aufgestellt und während ich nach oben blickte, stieg mir der Duft der Zweige geradezu zu Kopf.
Ich sah verzerrte Bilder meiner selbst in der Galaxie der Glaskugeln, die an den Zweigen hingen. So erheiterten mich die Kugeln immer wieder und hatten zugleich etwas Magisches. Diese kindlichen Betrachtungen der Baumkugeln waren oft der Auftakt für die fröhliche Stimmung dieser Jahreszeit – Momente wehmütiger Erinnerungen an längst vergangene Weihnachtstage.
Heute, bei so viel Kommerz und übertriebenem Marketing, das schon vor Monaten begonnen hat, kann es schwerfallen, weihnachtliche Vorfreude aufkommen zu lassen, wenn der 24. Dezember näher rückt.
Aber ich bin auf diese entzückende Sammlung von Texten und Zeichnungen aus der Feder von J. R. R. Tolkien gestoßen, die den Leser in relativ kurzer Zeit – da es schnell gelesen ist – in eine andere Zeit und Ära versetzt, in eine Zeit, in der vieles vielleicht einfacher war und mehr gewertschätzt wurde.
Ein kleines Kunstwerk
Für alle, die sich nach weihnachtlicher Nostalgie sehnen, und für Fans von J. R. R. Tolkien sowieso ist dieser prächtig illustrierte Band ein Muss. Der im heutigen Südafrika geborene britische Schriftsteller ist vor allem für „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ bekannt. Doch sein schöpferisches Können reicht über Mittelerde hinaus und so schrieb er mehr als zwei Jahrzehnte lang – von 1920 bis 1943 – jeden Dezember Briefe an seine Kinder.
Mit einfallsreicher Schriftgestaltung, wunderbaren Zeichnungen und originellen Geschichten vom Nordpol machte er seinen ältesten Sohn John zum ersten Mal mit einem fürsorglichen und humorvollen Weihnachtsmann bekannt. Zu diesem Zeitpunkt war sein Sohn drei Jahre alt. Im Laufe der Jahre gesellten sich die Geschwister Michael, Christopher und Priscilla hinzu.
Jedes Jahr im Dezember kam also ein Brief an, oft in einem Umschlag, der an eine Schneelandschaft erinnerte, und mit einer Briefmarke direkt vom Polarkreis. Inhalt des Briefes waren die Gedanken des Weihnachtsmanns, der sich wie jedes Jahr auf seine nächtliche Schlittenfahrt durch viele Länder mit unzähligen Kindern auf seiner Liste vorbereitet.
Tolkiens Schrift erinnert dabei an eine kalligrafische Arbeit mit phantasievoll verzierten Buchstaben. Das Schriftbild insgesamt jedoch ergibt einen recht eigenwilligen Eindruck. Die Vertikalen und Horizontalen schlängeln sich dahin, als habe der Schreiber gezittert, vielleicht weil er schon so müde oder es so kalt oder der Weihnachtsmann schon so alt ist?
Meist begleiten die Texte ebenso aufwendige Illustrationen, die im Duktus von kleinen Radierungen gehalten sind.
Der Weihnachtsmann und seine Helfer
Über die Zeit kamen immer mehr Figuren rund um den Weihnachtsmann hinzu. Zu diesen farbenfrohen und oft schelmischen Charakteren gehören der Eisbär aus dem Norden, seine Neffen Paksu und Valkotukka, Kobolde, rote Gnome, Schneemänner, Höhlenbären und ein Elf namens Ilbereth, um nur einige zu nennen.
Die jährlichen Briefe wurden immer komplexer und enthalten meisterhafte Erzählungen über Koboldangriffe und die Suche nach dem verschwundenen Eisbären aus dem Norden, der schließlich in einem Höhlenlabyrinth gefunden wird.
Tolkien gestaltete diese Briefe als liebenswerte Botschaft an seine Kinder, die auch auf subtile Weise lehrreich ist. Wenn zum Beispiel der Eisbär in den Höhlen verloren geht, gibt das dem Weihnachtsmann die Gelegenheit, seinen Kindern die reiche Geschichte und Symbolik der Höhlenmalerei zu vermitteln. Dies tut er in Wort und Bild.
Und diese Zeichnungen Tolkiens sind wunderbar. Sie sind aufwendig und phantasievoll – wie seine kreative Schrift – und laden den Leser dazu ein, sie im Detail zu erkunden. So kann man sich mit dem Weihnachtsmann freuen, wenn er eine neue grüne Hose anzieht, oder mit dem Eisbären aus dem Norden mitfühlen, wenn er stürzt, da ein eisiger Sturm durch die Werkstatt fegt.
Ein Mehrwert für Kinder
Gleichzeitig ist die Handlung in den Geschichten nicht von der realen Welt losgelöst. So gibt es Jahre, in denen der Weihnachtsmann den Kindern sagt, dass ihre Geschenke vielleicht nicht so reichlich ausfallen, weil es auf der ganzen Welt so viele Bedürftige gibt, die nicht nur Bücher und Spielzeug, sondern auch Lebensmittel und Kleidung brauchen. Und dann ist da noch der Zweite Weltkrieg, der viele Länder schwer getroffen hat. Auch der Weihnachtsmann ist gegen diese weltweiten Ereignisse nicht immun.
Er hat immer ein Auge auf die intellektuellen und emotionalen Entwicklungsstufen der Kinder von Jahr zu Jahr. John interessiert sich vielleicht nicht mehr so sehr für die Briefe, weil er älter geworden ist. Priscilla ist vielleicht in dem Alter, in dem sie ohne die Hilfe ihrer Brüder selbst lesen kann, und Christopher überwindet gerade eine Krankheit.
Die Briefe offenbaren einen kreativen und sehr fürsorglichen Vater, der ein weltweit geliebter Autor werden sollte.
Ebenso bemerkenswert ist eine Erwähnung des Weihnachtsmanns in einem Brief von 1937. Darin schreibt er, dass er überlege, den Kindern Hobbits zu schicken. Tolkiens Kinderfantasie „Der Hobbit oder Hin und zurück“ erschien schließlich 1937 unter großem Beifall der Kritiker. Heute gilt er als Klassiker der Literatur und ist mit über 100 Millionen verkauften Exemplaren eines der meistverkauften Bücher.
Geschichten für Groß und Klein
Tolkien starb 1973, doch unvergessen bleiben seine Werke. Dafür sorgte auch sein Sohn Christopher Tolkien (1924–2020), der der literarische Verwalter des Nachlasses war. Er trug viel dazu bei, das Erbe seines Vaters lebendig zu halten, indem er viele seiner Werke posthum herausgab.
So erschien erst im Jahr 2020 eine Neuauflage und Jubiläumsausgabe von „Briefe vom Weihnachtsmann“. Sie erschien 100 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Briefe im Jahr 1920. Das Buch enthält Kopien seiner Originalbriefe mit ihrer markanten Handschrift, leicht lesbare Übersetzungen sowie alle liebenswerten Zeichnungen Tolkiens und vieles mehr. Mit dieser Sammlung von Briefen eines berühmten Vaters an seine Kinder können sich große und kleine Leser zur Weihnachtszeit verzaubern lassen.
J. R. R. Tolkiens „Briefe vom Weihnachtsmann“
Baillie Tolkien (Hrsg.)
Briefe vom Weihnachtsmann
Luxusausgabe im Schuber
Format 23,8 x 15,5 x 3,5 cm
208 Seiten
Hardcover
€ 35,– [D]
ISBN 978-3-608-98385-2
Klett-Cotta Verlag
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „‘Letters From Father Christmas’ by J.R.R. Tolkien“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
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