Geheimnisvolle Linie durch Europa: Das Schwert des Erzengels



Sieben bedeutende Heiligtümer reihen sich wie Perlen auf eine unsichtbare, gerade Schnur. Sie erstreckt sich von Nordwest nach Südost quer über ganz Europa hinweg. Um die mehrere tausend Kilometer lange Linie ranken sich geheimnisvolle Überlieferungen.

Titelbild
Menschen auf dem Damm zum St. Michaels Mount im britischen Cornwall. Bei Ebbe kann die Insel von der Stadt Marazion aus über einen künstlichen Damm zu Fuß erreicht werden.Foto: PaolaV1/iStock
Von 10. Oktober 2024

Sie wird „das Schwert des Erzengels“ und „Heilige Linie“ genannt. Nach alter Überlieferung zeichnet sie den Stoß der himmlischen Waffe nach, die den abtrünnig gewordenen Engel Luzifer in kosmisch gigantischem Kampf vor aller Zeit aus dem Himmel herab in die Tiefe schleuderte. Ein Geschehen, von dem auch die berühmte Offenbarung des Johannes im Neuen Testament berichtet.

Hochmut kommt vor dem Fall

Aus Hochmut, Eitelkeit und übersteigertem Stolz hatte sich Luzifer, einstmals „Lichtträger“ und prachtvolles Lichtwesen, gegen den Erschaffer aller Dinge und Geschöpfe und somit auch gegen den eigenen Schöpfer gewandt. Mit dem verhängnisvollen „Non serviam“ (Ich diene nicht) war er – sich selbstherrlich erhöhend – dem Willen Gottes voll eitler Anmaßung entgegengetreten.

Die Antwort auf diesen Größenwahn ruft ihm der Engel nach, der ihn siegreich in den Abgrund stößt. „Wer ist wie Gott?“, sollen nach alttestamentarischer Überlieferung die letzten Worte gewesen sein, die Luzifer hört, während er zusammen mit seiner sich zu Dämonen wandelnden Gefolgschaft in völlige Gottferne und Finsternis stürzt.

Das Schild des Erzengels Michael mit der Inschrift „Quis ut Deus“ (Wer ist wie Gott?). Detail einer Statue von Wilhelm Rottermondt (1701–1755). Foto: Ioanuuna, CC BY-SA 3.0

Treuer Gesandter Gottes

Auf Hebräisch „Mi Kamocha Elohim“, wird der triumphierende Ausruf auch zum Namen des rufenden, unerschütterlich treuen Lichtwesens, das dem göttlichen Willen dient: zu „Mi-Ka-El“. Von nun an erscheint der Erzengel Michael, das mächtige Werkzeug seines Schöpfers, immer wieder als treuer, kraftvoller und streitbarer Gesandter seines Herrn in der Heilsgeschichte.

In ihr entfaltet sich die Beziehung des Schöpfers zu den Menschen, die aus unendlicher Liebe mit Willensfreiheit beschenkt sind. Als Diener Gottes respektiert Michael die gottgegebene Freiheit der Menschen. Auf Geheiß Gottes greift er aber auch immer wieder ein, nachdem Menschen ihre Entscheidungen getroffen haben.

Der Erzengel Michael in einer barocken Darstellung mit Flammenschwert und Seelenwaage. Der besiegte gefallene Engel, nun zu Satan geworden, liegt unter seinen Füßen. Pfarrkirche in München-Perlach. Foto: Rufus46, CC BY-SA 3.0

Sein loderndes Flammenschwert ist es, das Adam und Eva, die sich gegen Gott und für die Einflüsterungen Luzifers entschieden haben, den Weg hinaus aus dem Paradies weist. Er ist sehr wahrscheinlich auch der Engel, der den gerechten, aber scheinbar wehrlosen Daniel vor den Löwen beschützt, die ihn in der Löwengrube auf Befehl eines alttestamentarischen Königs zerfleischen sollen.

Michael beschirmt alle, die auf Gott bauen und vertrauen. Nach biblischer Überlieferung wird er es auch sein, der am jüngsten Tag gute und schlechte Taten treu und gewissenhaft mit der Seelenwaage gegeneinander aufwiegen wird, bevor das gerechte Urteil über jeden Einzelnen fällt.

Frühe Verehrung

Schon die frühen Christen verehren diese unbeirrbare Verlässlichkeit und Treue des lichtreichen Gotteskriegers und Seelenhelfers. Bereits wenige Jahrhunderte nach Christi Geburt entstehen deshalb erste Heiligtümer, die Michael geweiht werden.

So lässt Kaiser Konstantin im Jahr 314 nach Christus in Konstantinopel dem Erzengel eine Basilika erbauen. Vierzehn weitere Michaelsheiligtümer werden in der Stadt am Bosporus über die Jahre und Jahrhunderte folgen.

Bereits im Jahr 493 legt Papst Gelasius I. das Fest des Erzengels und seiner himmlischen Heerscharen, das auch heute noch gefeiert wird, auf den 29. September, den Weihetag der ersten Michaelskirche Roms aus dem späten 4. Jahrhundert.

Sie und andere frühchristliche Heiligtümer des Erzengels gingen in kriegerischen Wirren unter. Viele weitere entstanden jedoch nach ihrem Vorbild – über ganz Europa hinweg.

Sieben Heilige Orte

So mag es zuerst als purer Zufall erscheinen, dass sich sieben der bedeutendsten unter ihnen auf einer unsichtbaren Geraden zwischen Irland und Israel aufreihen.

Die sieben Heiligtümer auf der „Heiligen Linie“. Grafik: Sabine Weigert

Dass diese knapp 5.000 Kilometer lange Linie jedoch exakt auf den Sonnenuntergang zur Sommersonnenwende der nördlichen Erdhalbkugel ausgerichtet ist, macht stutzig. Die drei größten Heiligtümer Mitteleuropas befinden sich wiederum im genau gleichen Abstand zueinander.

Auf der Klosterinsel Skellig Michael liegt der nordwestlichste Punkt der geheimnisvollen „Heiligen Linie“. Die schroffen, kargen Felsen des kleinen, vom Atlantik umtosten Eilands sind 12 Kilometer von der irischen Halbinsel Iveragh entfernt.

Skellig Michael. Steile, steinerne Treppenpfade der Mönche sind links zu erkennen. Foto: Jerzy Strzelecki, CC BY-SA 3.0

Skellig Michael

Für 600 Jahre, vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, lebten hier christliche Mönche in größter Abgeschiedenheit, Armut und Askese. Ihr Kloster stellten sie unter den Schutz des Erzengels Michael. Wie er wollten sie nichts anderes, als ihrem Schöpfer bedingungslos dienen.

Ein stehender Stein mit einem eingemeißelten Kreuz am Eingang zum Kloster auf der Insel Skellig Michael. Foto: cilliankelly/iStock

Auch nachdem sie im 13. Jahrhundert aufgrund des immer widriger werdenden Klimas die Insel verlassen und sich auf dem Festland angesiedelt hatten, blieb die Skellig Michael mit ihren archaisch steinernen Klosterbauten ein bedeutender spiritueller Ort – bis heute.

St. Michael’s Mount

In 500 Kilometern Luftlinie entfernt erhebt sich der St. Michael’s Mount wenige hundert Meter vor der Küste Cornwalls. Nur bei Ebbe ist er zu Fuß über einen schmalen steinernen Damm zu erreichen, der bei jeder Flut im Meer versinkt.

Der Mount-Saint-Michael vor der Küste Englands. Foto: Giuseppe Milo, CC BY 3.0

An diesem abgelegenen, einsamen Ort soll der Erzengel Michael um das Jahr 500 Fischern erschienen sein. Ein frühmittelalterliches Kloster zu Ehren des himmlischen Helfers und Streiters folgte, das durch die Jahrhunderte zum Ziel vieler Pilger wurde.

Mont-Saint-Michel

Knapp 400 Kilometer weiter, jenseits des Ärmelkanals, zieht eine erstaunlich ähnliche Felseninsel Jahr für Jahr hunderttausende Pilger und Reisende an: der weltberühmte Mont-Saint-Michel im Wattenmeer der Normandie.

Der Mont-Saint-Michel ist eines der bekanntesten Wahrzeichen Frankreichs und steht auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. Foto: Xantana/iStock

Im Jahr 708 soll Michael hier Bischof Aubert von Avranches erscheinen sein und ihn aufgefordert haben, ein Sanktuarium zu errichten. Ab dem 8. Jahrhundert entstand so die einzigartige, vom Meer umspülte Benediktinerabtei. Ihre Bauwerke prägen auch heute Bild und geistliche Ausstrahlung des Mont Saint Michel, obwohl das Kloster die Wirren der Französischen Revolution nicht überdauerte.

Sacra di San Michele

1.000 Kilometer südöstlich des nordfranzösischen Michaelbergs leben und beten auch heute noch Mönche – im Sacra di San Michele.

Am Eingang des Susatals erheben sich seine mächtigen steinernen Bauwerke auf dem Gipfel des Bergs Pirchiriano vor der Kulisse der Piemonteser Alpen.

Nahaufnahme der Sacra di San Michele, Turin, Piemont, Italien. Die an einem strategischen Punkt an der Mündung des Susatals gelegene Abtei gilt als Symbol des Piemont. Foto: StefyMorelli/iStock

Aus der Einsiedelei eines Erzbischofs, der sich im 10. Jahrhundert hierher in die Einsamkeit zurückzog, entwickelte sich durch die Stiftung eines Grafen ein bedeutendes Kloster. Unter dem Schutz und Patronat des Erzengels strahlt das Heiligtum auch heute die tiefe Kraft christlicher Mystik aus.

Santuario San Michele Arcangelo

Das wohl wichtigste Heiligtum des Piemont und das nicht minder eindrucksvolle Santuario San Michele Arcangelo im süditalienischen Puglia trennen weitere 1.000 Kilometer. Und doch sind auch sie durch den Erzengel und die geheimnisvolle Linie seines Schwertstreichs miteinander verbunden.

Hier auf dem Monte Sant’Angelo im Garganogebirge ist es eine Höhle, in der Pilger Gott und seinen treuen und streitbaren Diener verehren.

Um das Jahr 490 nach Christus soll der Erzengel hier gleich mehrere Male erschienen sein. Dabei äußerte er den Wunsch, die Berggrotte möge zur heiligen Stätte werden. Mit der Höhlenkirche und der darüberliegenden Basilika entstand so das erste Michaelheiligtum Westeuropas.

Statue von Erzengel Michael im Schrein des Heiligtums von San Michele Arcangelo. Monte Sant’Angelo, Apulien, Italien. Foto: font83/iStock

Bis heute hat es seine Anziehung nicht verloren. Seit Jahrhunderten kommen Christen hierher, um in der Michaelsgrotte zu beten. Unter ihnen auch der Heilige Franziskus im Jahr 1216.

Aus Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Ortes bleibt er jedoch betend am Eingang zur Höhle stehen. Um seine tiefe Verehrung zu zeigen, küsst er ehrfürchtig einen Stein und bezeichnet ihn mit einem kleinen, bescheidenen Kreuz.

Kloster von Panormitis

Vom Monte Sant‘Angelo weist eine gerade Luftlinie über 1.200 Kilometer weit bis zum Kloster von Panormitis auf der griechischen Insel Symi. Seine Geschichte reicht bis ins 6. Jahrhundert zurück. Sie nimmt der Legende nach ihren Anfang mit einer Ikone des Erzengels, die eine Inselbewohnerin nahe der Küste in einem Mastixstrauch findet und in ihr Haus bringt.

Das Erzengel-Michael-Kloster an der Strandpromenade des Dorfes Panormitis in Griechenland. Foto: Kati Lenart/iStock

Die Ikone will hier jedoch nicht bleiben. Auf wundersame Weise kehrt sie – ein ums andere Mal – zum Ort ihrer Entdeckung zurück. Schließlich erscheint Michael der ratlosen Frau im Traum und erklärt ihr, dass gerade der Fundort zur dauerhaften Heimat des Andachtsbildes werden solle.

Für die Ikone wird nun eine Kapelle errichtet. Sie wird die Urzelle des großen Klosters, das auch heute noch ein wichtiger griechisch-orthodoxer Wallfahrtsort ist. Immer noch beherbergt die Klosterkirche die hochverehrte und wundertätige Ikone Michaels.

Kloster am Berg Carmel

Den südöstlichsten Punkt der Heiligen Linie bildet schließlich das Kloster vom Berg Carmel in Israel. Hier soll der alttestamentarische Prophet Elia durch sein unerschütterliches Vertrauen auf Gott die Verehrung heidnischer Götzen beendet haben.

Ein mächtiger Feuerstrahl vom Himmel zeigt die Annahme von Elias gottesfürchtigen Opfergaben und beweist so den wankelmütigen Israeliten die Existenz Gottes.

„Gott ist mein Herr“, die Bedeutung des Namens Elia, sein Mut und sein Gottvertrauen sind wie die freudvolle Antwort auf den Erzengelruf „Wer ist wie Gott?“.

So sehr all diese Bezüge den menschlichen Geist inspirieren – letztlich werden sie für ihn unergründlich bleiben – ebenso wie das geheimnisvolle Schwert Michaels und seine Heiligtümer.



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