Jede Stunde Bildschirmzeit bei Babys verzögert langfristig ihre Entwicklung
Bildschirmzeit bei Kleinkindern kann langfristig die Entwicklung ihrer Kommunikations- und Problemlösungsfähigkeiten verzögern. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der japanischen Tohoku University und der Hamamatsu University School of Medicine.
Kinder unter einem Jahr, die zwischen einer und vier Stunden vor dem Bildschirm verbringen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Entwicklungsverzögerung. Das umfasst unter anderem die Motorik, die sozialen Kompetenzen und die Interaktion mit ihrer Umgebung.
Die Studie erschien im August 2023 in der Fachzeitschrift „JAMA Pediatrics“. Im Rahmen der Untersuchung beobachteten die Forscher in den Jahren 2013 bis 2017 genau 7.097 Paare von Müttern und Kindern.
Jede Stunde Bildschirmzeit erhöht negative Auswirkungen
Um den Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und kindlicher Entwicklung zu untersuchen, befragten die Wissenschaftler zunächst die Mütter. Sie wollten wissen, wie viele Stunden Bildschirmzeit die Mütter ihrem weniger als ein Jahr altem Kind an einem typischen Tag erlauben würden. Dazu gehört Fernsehen, Spielen von Videospielen und die Nutzung von Mobiltelefonen, Tablets und anderen elektronischen Geräten.
Als die Kinder älter wurden (zwischen zwei und vier Jahren) sollten die Mütter die Entwicklung ihres Kindes in fünf Bereichen bewerten:
- Kommunikation: das Lallen, Sprechen und Verstehen von Geräuschen;
- Grobmotorik: die Bewegung von Armen und Beinen sowie des Körpers;
- Feinmotorik: differenziertere Hand- und Fingerbewegungen;
- Problemlösungsfähigkeiten: das Lernen und Spielen mit Spielzeug;
- Soziale Fähigkeiten: das Spielen mit anderen Kindern.
Dem Ergebnis zufolge steigt mit jeder Stunde, die ein Kind unter einem Jahr am Bildschirm verbringt, die Wahrscheinlichkeit einer Entwicklungsverzögerung im Alter von zwei und vier Jahren. Besonders gravierend ist das bei Kindern, die mehr als vier Stunden am Tag vor dem Bildschirm verbringen: Sie weisen im Alter von zwei Jahren am häufigsten Entwicklungsverzögerungen in allen fünf Kriterien auf. Zudem haben sie im Alter von vier Jahren mit größerer Wahrscheinlichkeit weitere Verzögerungen in den Bereichen Sprachentwicklung und Problemlösungsfähigkeiten.
Die Forscher beschrieben auch den Hintergrund von Müttern, die ihren Kindern eine längere Bildschirmzeit erlauben. „Die Mütter von Kindern mit hohem Bildschirmkonsum waren jünger, hatten keine anderen Kinder, verfügten über ein geringeres Haushaltseinkommen, der Bildungsstand ihrer Mütter war niedriger und sie litten unter postpartalen Depressionen“, heißt es in der Studie.
Pädagogischen Aspekte der elektronischen Medien nutzen
Laut den Wissenschaftlern sei es für die Eltern von heute schwierig, ganz auf die Bildschirmnutzung zu verzichten, was den Kontakt mit Bildschirmen für Kinder oft unvermeidlich macht. Deswegen empfehlen die Studienautoren den Eltern, gemeinsam mit ihren Kindern einige hochwertige Bildungsprogramme anzuschauen.
„Obwohl die Bildschirmzeit mit Entwicklungsverzögerungen in Verbindung gebracht wird, kann sie auch eine pädagogische Funktion haben. Das hängt von den Sendungen ab, die auf elektronischen Geräten angeschaut werden.“
Dafür verwiesen die Forscher auf eine Metaanalyse, die im Jahr 2020 in der gleichen Zeitschrift erschien. Ihr zufolge zeigten Kleinkinder, die vor allem mit ihren Eltern pädagogische Programme anschauten, eine verbesserte Sprachkompetenz. Die japanischen Wissenschaftler raten den Eltern deshalb, sich der schlechten Aspekte der Bildschirmzeit, die zu Entwicklungsverzögerungen führen, bewusst zu werden. Gleichzeitig sollte sie die pädagogische Funktion der elektronischen Geräte nutzen.
Im Rahmen der Studie sei es jedoch nicht möglich gewesen, die pädagogische Bildschirmzeit von anderen Arten der Bildschirmzeit zu trennen, so die Autoren. „Dies hätte uns vielleicht geholfen, den Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und kindlicher Entwicklung zu untersuchen und dabei sowohl positive als auch negative Aspekte der Bildschirmzeit zu berücksichtigen“, schrieben sie.
Warum keine elektronischen Medien bis drei?
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) brachte im Jahr 2022 die Broschüre „Medien und Digitales – Elterninfo“ heraus. In ihr empfiehlt sie, dass Kinder unter drei Jahren keine Minute am Tag vor einem Bildschirm verbringen sollten. Kinder bis fünf Jahre sollten höchstens 30 Minuten auf Bildschirme starren. Vom Schulstart bis zum etwa sechsten oder siebten Schuljahr (elf bis zwölf Jahre) rät die BZgA zu maximal einer Stunde und ab zwölf Jahren zu maximal zwei Stunden Bildschirmzeit.
In diesem Zusammenhang erklärt die Seite „Bildschirmfrei bis 3“ von der Universität Witten/Herdecke, warum Kinder unter drei Jahren nicht an Bildschirmen sitzen sollten. In den ersten drei Jahren entwickeln sich Kinder so stark wie nie wieder in ihrem Leben. Dafür würden sie eine „‚analoge‘ Spielzeit“ brauchen – elektronische Geräte stören dabei.
Die Bildschirmmediennutzung umfasst nicht nur die aktive Nutzung durch das Kind, sondern auch die passive Nutzung, wenn beispielsweise der Fernseher im Hintergrund läuft.
Ferner zählt dazu auch die Bildschirmzeit der Eltern, die in Anwesenheit ihres Kindes zum Beispiel ein Handy nutzen. Dadurch wenden sie ihre Aufmerksamkeit auf das Gerät und vom Kind weg. All das kann die Entwicklung von Kindern langfristig beeinträchtigen.
Eltern als Vorbilder
Die Eltern sollten elektronische Geräte außerdem nicht zur „Belohnung, Bestrafung oder Beruhigung“ einsetzen. Stattdessen sollten sie ihre Kinder immer bei der Mediennutzung begleiten.
Sie sollten beispielsweise die Lieblingssendungen ihrer Kinder mit anschauen beziehungsweise die Lieblingsspiele mitspielen. Dies gebe den Kindern die Möglichkeit, über das Gesehene zu sprechen und Fragen zu stellen.
Auch sollten Eltern sich ihrer Vorbildfunktion bewusst werden und ihren eigenen Medienkonsum kritisch hinterfragen. „Eltern sind mit ihrer Mediennutzung auch hier Vorbild für ihre Kinder. Sie sollten die gemeinsame Zeit als wertvoll und unwiederbringlich verstehen. Es ist wichtig, dass Familien die Freizeit möglichst gemeinsam aktiv gestalten und bewusst genießen“, zitierte das „Online-Familienhandbuch“ des Staatsinstituts für Frühpädagogik und Medienkompetenz Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA.
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