Wie mit „Extremisten“ kommunizieren? Zehn Thesen für den „Ernstfall“
Viele Teilnehmer aus Kommunikationsberufen organisieren sich in Interessengruppen. Das gilt gleichermaßen für Journalisten und ihre Verbände, wie für Pressesprecher, Leiter einer Unternehmenskommunikation oder Lobbyisten.
Eine alteingesessene Interessengruppe ist die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG). Sie hat für den 4. Dezember aus aktuellem Anlass zu einem Live-Panel in einem „Base Camp“ in Berlin aufgerufen. Besagter Anlass, so die DPRG, seien die vorgezogenen Bundestagswahlen. Und insbesondere, wie es in der Vorankündigung der Veranstaltung weiter heißt, dass Donald Trump „wie kein anderer den politischen Diskurs zerstört“ habe.
Mit Deutschland habe das insofern zu tun, als Trump einen sogenannten „Basic Talk“ in der Politik salonfähig gemacht habe. Eine Methode, die auch hierzulande Nachahmer finde. Dabei gehe es nicht um Argumente, sondern nur darum, wer den Dialog gewinne. Jedes Mittel zähle. Als prominente Teilnehmerin wird unter anderem die Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg vorgestellt. Sie ist Mitglied des FDP-Bundesvorstandes.
Die DPRG tritt hier als Experte auf. In einem hauseigenen „Expertenkreis Public Affairs“ (EPA), hatte sich der Verein bereits im September 2023 zusammengesetzt und seinen Mitgliedern „Zehn Thesen für die Kommunikation mit Radikalen und Extremisten“ als Handreichung aufgeschrieben. Die Idee dahinter, nach Selbstauskunft:
„PR- und Public Affairs-Verantwortliche aus Unternehmen, Verbänden, dem öffentlichen Sektor oder Agenturen stehen im Osten – aber nicht nur dort! – vor der Frage: Wie soll man in diesem neuen, polarisierten gesellschaftspolitischen Umfeld kommunizieren?“
Ohne Brandmauer ist die Deutungshoheit gefährdet
Zunächst stellt der Verein hier fest, dass die „Brandmauer-Strategie“ gescheitert sei. Jetzt werde es „im wahrsten Sinne des Wortes ruppig“, so der DPRG: „Nicht nur Kandidaten anderer Parteien werden angegriffen und beschimpft, auch Journalisten oder zivilgesellschaftlich Engagierte werden eingeschüchtert.“
Grundsätzlich geht der Verein in seinem einleitenden Text zu den Thesen davon aus, dass die von ihr als „Radikale und Extremisten“ identifizierten Parteien und Gruppen gar keine Kommunikation wünschen. Was zur Frage führt: wozu dann überhaupt so ein 10-Thesen-Papier? Das Handout soll bei der Entscheidungsfindung helfen, schreibt die DPRG:
„Wann lohnt sich ein Gespräch? Was erwartet mich? Wie bereite ich mich vor? Welche Sprache sprechen Radikale und Extremisten? Wie behalte ich im Gespräch die Deutungshoheit? Und: Wer hilft mir im Ernstfall?“
Übersetzt geht es demnach nicht um ergebnisoffene Gesprächsrunden in neu entstandenen Debattenräumen, sondern darum, mittlerweile unvermeidbare Begegnungen im Berufsalltag vor allem in Ostdeutschland, wo die AfD vielfach stärkste Kraft ist, zu meistern, ohne in öffentlichen und ggf. auch privaten Debatten und Diskussionen die „Deutungshoheit“ zu verlieren, die man mit großem Selbstverständnis im Vorwort zu den 10 Thesen für sich reklamiert.
Die DPRG definiert im Anhang zu seinen Thesen, was mit Radikalismus, was mit Extremismus und was mit Deutungshoheit gemeint ist. Hier nimmt man zum einen die Definition des Verfassungsschutzes zu Hilfe und was die „Deutungshoheit“ betrifft, erklärt der Verein, dass es um Diskursmacht gehe: „Mit der Erlangung von Deutungshoheit gelingt es, vorgegebene Meinungen einer Person oder Institution in ausgewählten Diskursräumen durchzusetzen.“ Das will man erreichen, dafür wurde die 10-Thesen-Handreichung geschrieben. Sie soll laut Verein als „Best-Practice-Beispiele“ dienen.
Falsche Narrative und Opferrollen – auf beiden Seiten?
In These 1 geht es bereits um diese Deutungshoheit. Deutlich wird kommuniziert, was es zu erreichen gilt. Ziel eines als zunehmend unvermeidbar beschriebenen Austausches mit Radikalen beziehungsweise Extremisten sei, „die Deutungshoheit über den gesamten Kommunikationsprozess zu erlangen und zu behalten.“ Dem gegenüber wirft man „falsche Narrative“ und Opferrollen vor. Zudem bevorzugten radikale Gruppierungen „asymmetrische Kommunikationsstrategien“, heißt es weiter.
These 2 liefert Basisunterricht in Gesprächsvorbereitung. Eine solche Vorbereitung sei unerlässlich, um nicht „überrumpelt“ zu werden. Im Idealfall soll man sich im Vorfeld eine Art Dossier anfertigen, die DPRG liefert dazu einen passenden Fragenkatalog frei Haus, wie etwa die Frage nach dem Umfeld des Gesprächspartners.
These 3 empfiehlt, schon im Vorfeld rote Linien zu setzen: „Bei welchen (provozierenden) Aussagen oder Handlungen der Gegenseite unterbrechen oder verlassen Sie zum Beispiel das Gespräch?“ Schriftlich soll vorab vereinbart werden, worüber man nicht sprechen wolle: „z. B. Baugenehmigung – aber nicht Migrationspolitik!“. Auch sollen Vieraugengespräche tunlichst vermieden werden.
Grundsätzlich wird von Konfrontationssituationen und einer Gegnerschaft ausgegangen. Der Verein warnt sogar: „Gesprächspartner radikaler oder extremistischer Gruppen verfügen über ein erhebliches Manipulationspotenzial.“
In These 4 soll einer schleichenden Fraternisierung mit dem Gegenüber entgegengetreten werden. Die Öffentlichkeit soll immer darüber informiert sein, wann es zu diesen Treffen kommt. Ein privater Austausch soll niemals stattfinden und besprochene Inhalte sollten im Anschluss immer öffentlich kommuniziert werden.
Im Ernstfall auch zu Antwort-Bots greifen
Unter dem Stichwort „Aligned Communication“ wird These 5 zum eigentlichen Kernstück einer Gegenwehr, wenn es darum geht, im Vorfeld mit Bündnispartnern eine „abgestimmte Kommunikation“ zu suchen. Besagte Partner sollen auch in den sozialen Netzwerken ein „zuvor abgestimmtes Statement“ posten und sich solidarisch zeigen. Im Ernstfall soll dabei auch auf „Social Media Antwort-Bots (Chat-Bots)“ zurückgegriffen werden, „die Ihr Statement/Ihre Fakten transportieren, falls es zu einem größeren Shit-Storm kommen sollte.“
In These 6 wird festgestellt, dass radikale und extremistische Gruppierungen „nicht ergebnisoffen, sondern mit einem gefestigten ideologischen Narrativ“ in Gespräche gingen. Eine Reflexion auf mögliche eigene Narrative wird ausgeklammert.
Mehrfach wird Götz Kubitschek zitiert. Eine Aussage von 2006 dient hier als Beleg, dass ein echter Diskurs gar nicht sinnvoll sei. Denn der Gründer eines neurechten Thinktanks in Schnellroda habe damals gesagt, Ziel sei es, den Diskurs zu beenden. Kubitschek begründet daher für die DPRG, warum eine ergebnisoffene Debatte von vornherein abzulehnen sei.
These 7 warnt davor, sich von einer in der Schule und im Studium gelernten „Gesprächsebene auf Augenhöhe“ verführen zu lassen. Man solle sich davor hüten, zu glauben, dass das bessere Argument gewinnen möge. Gespräche sollen stattdessen als strategisches Mittel eingesetzt werden, „um bestimmte Ziele zu erreichen“. Die Ansage ist unmissverständlich mit einem Ausrufezeichen markiert: „Nutzen Sie alle (!) kommunikativen Mittel wie Suggestion, Konfrontation, Zuspitzung etc.“
Mit allen Wassern gewaschen
In These 8 wird dafür der Grund gleich mitgeliefert; Extremisten wollten „nicht auf Augenhöhe“ kommunizieren, „Argumente werden instrumentalisiert“:
„Es ist ratsam, sich mit den gängigsten „Basic Talk“-Techniken wie „Slogan Hopping“, „Whataboutism“ oder „Quote Mining“ vertraut zu machen und sie gegebenenfalls selbst anzuwenden, um nicht in rhetorische Sackgassen zu geraten.“
In These 9 erinnert der Verein noch einmal daran, dass die Kommunikation in einem öffentlichen, gesellschaftspolitischen Raum eine andere sei als die gewohnte Unternehmenskommunikation. Man soll sich speziell in der Unternehmenskommunikation immer darüber bewusst sein, dass man als Unternehmen „Corporate Citizen“ sei, eine öffentliche Person.
Die zehn Thesen haben den Charakter einer Kampfschrift
Und zuletzt in These 10 geht es wieder zurück an den Ursprungsort, ins Unternehmen. Dort, so wird empfohlen, nutze man auch die internen Kanäle, um die Kollegen „abzuholen“. Idealerweise baue man „Feedback-Kanäle“ in die Kommunikation ein. Ziel ist es, in der Organisation ein „Wir-Gefühl“ zu schaffen.
Die zehn Thesen des DPRG-Vereins für Pressesprecher, Leiter der Unternehmenskommunikation und andere sind kein Gesprächsangebot an jene Gruppen, die man als politische Gegner, als Radikale und Extremisten markiert hat. Es geht dem DPRG explizit darum, unvermeidbare Begegnungen eben nicht versehentlich in einem ergebnisoffenen Meinungsaustausch münden zu lassen.
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