Weltsozialismus oder Turbokapitalismus – was bringt die Zukunft?
Woody Allen hat 1973 die Zukunft ziemlich präzise vorhergesehen. In seiner Science-Fiction-Komödie „Der Schläfer“ spielt Allen den Jazzmusiker Miles Monroe, der zwei Jahrhunderte verschlafen hat. Er wacht in einer Tech-Dystopie auf. Die Computer sprechen, Sex hat man nur noch mithilfe von Apparaturen, eine Päpstin hat gerade Zwillinge bekommen und ein diktatorischer Führer lenkt die Staatsgeschicke.
Die Parodie gehört offenbar zu den Lieblingsfilmen von Carlos A. Gebauer. Zum Ende des Kongresses „Wahrhaftigkeit und Unabhängigkeit – Orientierung in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche“ gibt Gebauer dem Publikum diese Schau-Empfehlung mit auf den Weg.
Für den Medizinrecht-Fachanwalt und Publizisten ist Corona ein Symptom, dem tiefer liegende Probleme der Gesellschaft zugrunde liegen. Mit der Würde des Menschen im Gesundheitssystem hat sich Gebauer schon deutlich vor Corona befasst. Seit einiger Zeit organisiert er in der Schweiz Kongresse, die sich mit dem grundlegenden Wandel befassen, den unsere Gesellschaften durchlaufen.
Wahrhaftigkeit und Unabhängigkeit in chaotischen Zeiten
Anfang September trafen sich im pittoresken Luzern am Vierwaldstättersee circa 60 Teilnehmer, um gemeinsam zu ergründen, wie Wahrhaftigkeit und Unabhängigkeit in chaotischen Zeiten eine Richtschnur des eigenen Handelns sein können.
Einige Menschen kamen mit ganz konkreten persönlichen Geschichten. So zum Beispiel eine Studentin, die eine Abschlussarbeit bei einem Professor aus der „Covid-19 Task Force” des Bundes schreiben muss. Das Dilemma: Wenn sie die Arbeit aus innerer Überzeugung anfertigt, fällt sie durch und verbaut sich ihren beruflichen Werdegang. Wenn sie im Sinne des Corona-Narrativs schreibt, besteht sie, handelt aber gegen ihr Gewissen.
Zahlreiche Kongressbesucher sind von der Schilderung berührt und teilten eigene Erfahrungen und Sichtweisen. Ein Unternehmer aus München argumentiert, es sei notwendig, für die eigene Überzeugung einzustehen, auch wenn man dadurch negative Konsequenzen zu spüren bekommt.
Im Kreuzfeuer wegen eigener Meinung
Für einen Mitwirkenden aus der Schweiz ist das nicht so klar. Er hat im Gemeinderat mehrmals seine Meinung diplomatisch kundgetan und befand sich jedes Mal danach in einem heftigen Kreuzfeuer. Seitdem hält er sich mit der eigenen Überzeugung in der Öffentlichkeit eher zurück und fühlt sich damit ganz wohl.
Eine dritte Person rät dazu, strategisch in Form einer Guerillataktik vorzugehen. Es ginge ja darum, die Schlacht und nicht jeden Kampf zu gewinnen. So könne die Studentin jetzt ihren Weg ins System nehmen, um dann mehr Handlungsspielräume zu haben.
Ulrike Guérot: „Parler Vrai“ – wahres Sprechen
Die eingeladene Politologin Ulrike Guérot vertieft das Dilemma in ihrem Vortrag mit dem Titel „Parler Vrai“. Sie erklärt, im Französischen gebe es das Konzept des „wahren Sprechens“, und zitiert die Definition aus dem Larousse-Wörterbuch:
‚Wahres Sprechen‘ ist ein Ausdruck, der den Wunsch beschreibt, sich aufrichtig und präzise auszudrücken. Das bedeutet, die richtigen Worte zu wählen, um eine Situation zu beschreiben oder ein Gefühl auszudrücken, ohne zu versuchen, die Wahrheit zu verbergen.
Diese Haltung beruht auf intellektueller Ehrlichkeit und Respekt vor anderen, indem man zu seiner Meinung steht und gleichzeitig offen für den Dialog ist. Das wahre Sprechen fördert somit das Vertrauen und das gegenseitige Verständnis zwischen den Gesprächspartnern.
Kurz gesagt: Wahres Sprechen bedeutet, in der Kommunikation Authentizität und Klarheit zu bevorzugen und Annäherungen und falschen Schein abzulehnen.“
Guérot argumentiert, dass dies an deutschen Hochschulen kaum mehr anzutreffen ist. Mittlerweile habe weitestgehend eine Legitimationswissenschaft Erkenntnisgewinne aus Falsifikation, Widerspruch und Widerlegung abgelöst. Eine Offenheit für Dialog erkennt die Professorin für Europapolitik kaum mehr und macht deutlich, dass ihr Fall kein Einzelfall ist.
Im Februar hatte die Uni Bonn Guérot wegen angeblicher Verstöße gegen wissenschaftliche Standards gekündigt. Konkret wird der Politologin vorgeworfen, in drei Büchern vorsätzlich plagiiert zu haben. Guérot hat gegen die Kündigung geklagt. Sie geht davon aus, dass ihre „umstrittenen Positionen zu Brexit, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg“ der wahre Grund waren. Der Prozess in erster Instanz ist für Ende Oktober vorgesehen.
Michael Esfeld: Gesellschaft in kognitiver Dissonanz
Dr. Michael Esfeld, Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne und Mitglied der Leopoldina, argumentiert, dass sich ein Großteil der Gesellschaft mittlerweile in einer kognitiven Dissonanz befindet. So würden auch viele Widersprüche erst mal nicht wahrgenommen. Der technologisch-wirtschaftliche Fortschritt habe weltweit zu einem Anstieg von Lebensqualität und Lebenszeit geführt. Doch aus diesem Erfolg ist eine Hybris entstanden. Die soziale Ingenieurskunst plane eine Zukunft mit gentechnisch optimierter Bevölkerung – für Esfeld eine wahnwitzige Idee mit zerstörerischen Folgen.
Vor 100 Jahren war die Eugenik, also die Selektion von Menschen mit vermeintlich „höherwertigen” Genen, wissenschaftlicher Konsens, erklärt der Professor. Auch damals habe eine Ideologie die Wissenschaft instrumentalisiert. Ähnliches erlebten wir heute mit gekappter Forschung, politischen Zwangsmaßnahmen, dem Verletzen von Grundrechten und der Erosion des Rechtsstaats.
Ein globaler Leviathan
Für Esfeld gibt es keinen guten Staat. Das Dilemma habe schon Thomas Hobbes in seinem Klassiker der politischen Philosophie, „Leviathan“, beschrieben.
In Hobbes Werk ist der Leviathan ein Meeresungeheuer, dessen Gewalt und Stärke symbolisch für den Staat steht. Das berühmte Titelblatt der Erstausgabe zeigt eine übermächtige Figur, die sich aus den Individuen seiner Untertanen zusammensetzt. In Hobbes‘ Sichtweise benötigen die Menschen einen uneingeschränkten Herrscher, da sie ohne eine solche Autorität im Naturzustand egoistisch handeln und ihre eigenen Interessen rücksichtslos verfolgen würden. Hobbes Naturzustand bedeutet Krieg – jeder gegen jeden.
Um Frieden und Sicherheit zu erreichen, schlägt Hobbes vor, einen souveränen, allmächtigen Staat zu schaffen. Dieser verfügt über eine uneingeschränkte Macht, selbst wenn dies bedeutet, dass die individuellen Freiheiten stark eingeschränkt werden. Das Ergebnis ist laut Hobbes immer noch besser als der Naturzustand.
In Anlehnung an die Erfahrungen der letzten drei Jahre stellt Esfeld die Frage, wer denn Menschen schützen könne, wenn der Staat selbst Gewalt gegen seine Bürger anwenden sollte.
Ulrike Guérot spricht diesen Aspekt ebenfalls an mit einem Verweis auf die Arbeit von Ninon Grangé. In ihrem Buch „Oublier la Guerre Civile?” (übersetzt „Den Bürgerkrieg vergessen?”) von 2015 beschreibt die französische Professorin für Philosophie die „Stasis“. Es handelt sich dabei um den griechischen Terminus für gesellschaftliche Stockung, der oft auch – leicht unscharf, laut Guérot – mit Bürgerkrieg übersetzt wird.
Gesellschaftliche Stockung
Laut Grangé tritt die Situation einer gesellschaftlichen Stockung oft dann ein, wenn ein technologischer Fortschritt die Menschen überrollt, mit dem die Gesellschaft in Gänze nicht fertig wird oder der von einem Teil der Gesellschaft abgelehnt wird. Grangé erklärt ihre These mit Beispielen des antiken Griechenlands bis zum Untergang des Römischen Reiches. Ulrike Guérot verankert den Standpunkt im Hier und Jetzt und bemüht dafür das Bild von geronnener Milch in einem Kaffee:
Problematisch an der Stasis ist, dass die beiden Gruppen, die sich nicht mehr vermengen, also die gestockten Milchpartikel und der Kaffee, buchstäblich nicht mehr den gleichen Raum, das gleiche Recht teilen. In der Stasis hat die eine Gruppe das Recht und damit Recht, sie kann das Recht munter beugen, während diejenigen, die am ‚Parler Vrai‘ festhalten, der Rechtsbeugung bezichtigt werden. Die erste Gruppe hat auch die Polizei, um das Recht, das zu ihrem Recht wird, aber nicht mehr das Recht aller ist, notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Der Übergang von der Stasis zum Bürgerkrieg ist dann, wenn aus Polizeigewalt Miliz wird.“
Staatskapitalismus statt Marktwirtschaft
Auch bei der Beschreibung des derzeitigen Wirtschaftssystems liegen der libertäre Esfeld und die vor Corona links verortete Ulrike Guérot nicht weit auseinander. Sie benennen es nur unterschiedlich.
Am Beispiel des Haftungsausschlusses, den Pfizer und andere Impfstoffproduzenten erwirkt haben, macht Esfeld deutlich, dass unser Wirtschaftssystem nicht mehr Marktwirtschaft, sondern Staatskapitalismus genannt werden sollte. Dabei verschmelzen Politik und Kapital in einer Weise, die gegen freie Entscheidungen der Menschen gerichtet ist. Der Gewinn wird monopolisiert, die Risiken werden auf die Gemeinschaft verteilt.
Ulrike Guérot zeigt eine für sie weitverbreitete Fehlinterpretation auf, die Klaus Schwab und dem WEF zugeschrieben wird: Oft werde argumentiert, Schwab führe mit seinem „Great Reset“ einen Weltsozialismus ein.
„You will own nothing and I will own everything“
Doch Schwabs Werbeslogan „You will own nothing. And you will be happy“ (Du wirst nichts besitzen. Und Du wirst glücklich sein) hat für Guérots Verständnis einen stillen, unausgesprochenen Zusatz. Eigentlich müsste es heißen: „You will own nothing and I will own everything“ (Du wirst nichts besitzen und ich werde alles besitzen). Das sei nicht Sozialismus, sondern Kapitalismus in Reinkultur.
Der Podiumsgast Benjamin Mudlack, Familienunternehmer und Vorsitzender der „Atlas Initiative“, macht deutlich, dass man nicht von Kapitalismus sprechen kann, wenn eine Zentralplanstelle die Zinspolitik bestimmt. In seinem Buch „Geldzeitenwende“ führt er aus, dass die Zentralisierung des Kredits in staatlicher Hand eine wesentliche Forderung von Karl Marx gewesen ist.
BlackRock, Vanguard und Co.: Bedrohung für freien Wettbewerb
Ein Kongressteilnehmer ergänzt, dass es mit Finanzkonzernen wie BlackRock und Vanguard so einflussreiche Akteure gebe, die eine Bedrohung für den freien Wettbewerb und die Stabilität der Finanzmärkte seien.
Die beiden Vermögensverwalter halten Unternehmensbeteiligungen an fast allen großen Firmen der Welt. Alleine BlackRock ist bei 18.000 Unternehmen mit dabei. In Deutschland bilden BlackRock, Vanguard und Co. die führende Aktionärsgruppe bei fast allen 40 Dax-Konzernen. Dabei stehen sie nicht etwa in Konkurrenz. BlackRock ist der größte Aktionär bei Vanguard und Vanguard ist der größte Aktionär bei Blackrock. Diese Unternehmen werden offiziell als „Schattenbanken“ bezeichnet, die Bankenregulierungsgesetze gelten für sie aber nicht. Sie beraten Notenbanken sowie Finanzministerien und haben direkten Zugang zu den Staatschefs der Welt.
Für Carlos Gebauer ist dies ein Argument, dass ein minimal-regulatorischer Staat durchaus seine Berechtigung hat. Michael Esfeld meint, man könne diese Notwendigkeit auch einfach „Rechtsordnung” nennen. Und Ulrike Guérot entgegnet, es gehe gar nicht um „Staat vs. Markt”, sondern um die Frage klein oder groß. Kleine Einheiten würden besser funktionieren als große.
Zeitenwende 15. August 1971: Beginn des Fiat-Geldsystems
Über die Begrifflichkeiten und die Aufgaben des Staates diskutieren die Podiumsgäste rege. Doch niemand widerspricht Benjamin Mudlack, der zeigt, welche Probleme das zentralistische Fiat-Geldsystem mit sich bringt: eine ständig wachsende Verschuldung des Staates, eine massive Ungleichheit der Einkommen und Vermögen sowie einen erodierenden Bankensektor.
Der 15. August 1971 hat die Zeitenwende für unser jetziges System eingeleitet. An diesem Tag beendeten die USA die formale Golddeckung des US-Dollars. Seitdem wird stetig die Geldmenge erhöht, was zu wachsenden Staatsschulden und einer Reduzierung der Kaufkraft führt.
Ein Dow-Jones-Wertpapieranteil entsprach 1970 dem Gegenwert von 25 Arbeitsstunden bei durchschnittlichem US-Stundenlohn. Heute sind 150 Arbeitsstunden nötig, um einen Dow-Jones-Anteil zu erwerben. Das ist eine sechsfache Teuerung durch Inflation.
Wohlstandsillusion
Wir befinden uns in einer „Wohlstandsillusion“, argumentiert Mudlack. Diese kann zum Beispiel Meldungen wie folgende erklären: Trotz Corona war das BIP von 2020 mit 3.332,23 Milliarden Euro das drittgrößte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, schreibt das „Handelsblatt“. Der Index aller Güter, Waren und Dienstleistungen machte 2022 schon 3.870 Milliarden Euro aus.
Zum Aufzeigen der Illusion rechnet Benjamin Mudlack den Wert in Gold um. Im letzten Jahr entsprach das deutsche BIP 2,28 Milliarden Unzen Gold.
1999 betrug das deutsche BIP „nur” 2.060 Milliarden Euro. Umgerechnet in Goldunzen waren es allerdings 8,24 Milliarden.
Was können wir tun?
Wie also handeln in einem Wirtschaftssystem, das grundlegende Fehler aufweist und persönliche und unternehmerische Freiheit immer weiter einschränkt? In einem Brainstorming suchen Benjamin Mudlack zusammen mit dem Schweizer Ökonom Olivier Kessler und Kongressteilnehmern nach Lösungen.
Es gibt zwei Tendenzen in der Gruppe. Der eine Teil argumentiert, es sei sinnlos, gegen ein bestehendes System zu kämpfen, das dem Untergang geweiht ist. Richtig sei es, alternative Strukturen aufzubauen, wie zum Beispiel:
- freie Privatstädte
- Bürgergenossenschaften
- Vertrauens-Netzwerke
- lokale Händler und Produktion unterstützen
- alternative Währungsformen schaffen
Der andere Teil hält es auch für wichtig, Kräfte innerhalb des bestehenden Systems zu organisieren. Zum Beispiel durch ein Wachrütteln der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ebenfalls wäre es einen Versuch wert, in einflussreichen Kreisen Menschen zu erreichen, die doch an der eingeschlagenen Agenda Zweifel hegen.
Jens Lehrich: „Politik und Wirtschaft mit Spiritualität verbinden“
Coach und „Fair Talk” Gastgeber Jens Lehrich glaubt insgesamt nicht an eine politische Lösung der multiplen Krisen. Die Transformation, die wir momentan als Gesellschaft durchmachen, hat für ihn auch etwas mit Spiritualität zu tun. Wenn sich die Bereiche Politik und Wirtschaft mit Spiritualität verbinden, werden sich ganz neue Wege auftun, ist sich Lehrich gewiss.
Woody Allens Film „Der Schläfer” hat übrigens ein kleines Happy End. Miles stoppt die Klonung des Diktators. Danach bekennen er und Luna ihre Liebe zueinander. Doch einer Sache ist sich Miles gewiss: Die neue Regierung wird nicht besser als die alte.
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