Big Brother: Die seelischen Auswirkungen von Überwachung

Haben Sie das Gefühl, dass Sie beobachtet werden? Wenn ja, verhalten Sie sich vermutlich anders als sonst. Psychologen aus Australien haben nun nachgewiesen, welche weitreichende Auswirkungen Überwachung auch auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung haben kann.
Was macht die Überwachung mit der menschlichen Psyche?
Mit Big Data, AI und Überwachungskameras können Menschen gezielt verfolgt und identifiziert werden.Foto: gorodenkoff/iStock
Von 7. Januar 2025

Berlin, Stuttgart, Frankfurt, Hamburg: In Deutschland sind mittlerweile alle großen Bahnhöfe mit insgesamt 11.000 modernen Videokameras bestückt. Mit dieser Überwachung sollen die öffentlichen Räume für alle Menschen künftig noch sicherer werden.

Weniger öffentlich, aber mit ähnlichen Auswirkungen verbunden, sind andere Formen der Überwachung: Mobilgeräte, Internet und smarte Geräte sammeln Daten, die heute mit KI ausgewertet werden können. Dies umfasst nicht nur, was wir tun, sondern auch, was wir sagen und wohin wir gehen und stellt eine ernsthafte Gefahr für die Privatsphäre dar. Diese Form der Kontrolle scheint jedoch einen weiteren Preis zu haben, wie australische Psychologieforscher von der University of Technology Sydney in ihrer neuen Studie herausfanden.

Zusammen mit 54 freiwilligen Teilnehmern untersuchten die Professorin Kiley Seymour und ihre Kollegen die Auswirkungen von Überwachung. Dabei stellten sie fest, dass der sogenannte Big-Brother-Effekt eine überlebenswichtige Sinneswahrnehmung beim Menschen deutlich beeinträchtigt.

Potenzielle Bedrohung erkannt

Bereits ältere Studien belegten, dass sich Menschen bewusst anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Mit ihrer neuen Studie gehen Seymour und ihre Kollegen einen Schritt weiter und zeigen, dass Überwachung auch eine unbewusste Reaktion hervorruft.

„Wir wissen, dass Videoüberwachung unser Verhalten verändert, und das ist der Hauptgrund für Einzelhändler und andere, die eine solche Technologie einsetzen wollen, um unerwünschtes Verhalten zu verhindern“, erklärte Seymour. So ist belegt, dass beobachtete Menschen sich großzügiger zeigen, teilen eher oder weniger beziehungsweise nicht betrügen. Wissenschaftler vermuten, dass diese Verhaltensänderungen dazu dienen, den Ruf des Einzelnen zu wahren und ihn vor negativen sozialen Folgen zu schützen.

Außerdem löst die Überwachung bei vielen Menschen Unbehagen aus und erhöht die Wachsamkeit und das Selbstbewusstsein, was mit innerer Unruhe und erhöhter Herzfrequenz einhergeht. Unklar sind jedoch die Auswirkungen der Überwachung auf grundlegendere Fähigkeiten, die nicht kontrollierbar sind.

„Wir haben direkte Beweise dafür gefunden, dass offen erkennbare Überwachung durch Videokameras eine fest verdrahtete und unwillkürliche Funktion der menschlichen Sinneswahrnehmung deutlich beeinflusst – die Fähigkeit, ein Gesicht bewusst zu erkennen“, so Seymour weiter.

Dieser Mechanismus sei mit der Erkennung potenzieller Bedrohungen in unserer Umgebung wie Raubtieren oder anderen Menschen verbunden. Wenn uns Kameras beobachten, scheint dieser verstärkt zu werden, so die Forscher.

Was macht Überwachung mit der Seele?

Klinische Forschung zeigt indes, dass Patienten, die an Schizophrenie und Verfolgungswahn leiden, ihrerseits eine erhöhte Wahrnehmungsempfindlichkeit gegenüber den Blicken anderer aufweisen. Diese schnellere Gesichtserkennung legten auch die überwachten Probanden in Seymours Studie an den Tag. Im Vergleich zur unbewachten Kontrollgruppe bemerkten sie Reize wie ein (fremdes) Gesicht, das sie beobachtet, rund eine Sekunde schneller.

Während geschärfte Sinne nicht prinzipiell schlecht sind, geht die ständige Aufmerksamkeit zulasten anderer Dinge. Ob Überwachung eine Ursache für die steigenden psychischen Erkrankungen sind, ist nicht bewiesen. Für Seymour und ihre Kollegen steigt jedoch die Notwendigkeit, künftig die Auswirkungen der Überwachung auf die psychische Gesundheit der Menschen weiter zu untersuchen. Eine Antwort auf offene Fragen scheint angesichts der zunehmenden Überwachung in der Gesellschaft und des Ergebnisses der Studie von essenzieller Bedeutung.

„Wir kamen zu dem überraschenden und zugleich beunruhigenden Schluss, dass die Teilnehmer zwar kaum Bedenken oder Sorgen wegen der Überwachung äußerten, die Auswirkungen auf die grundlegenden sozialen Prozesse jedoch deutlich, hochsignifikant und für die Teilnehmer nicht wahrnehmbar waren“, so Seymour.

Die Studie erschien am 10. Dezember 2024 in der Zeitschrift „Neuroscience of Consciousness“.



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