„Gewebtes Gold“: 10.000 Jahre am seidenen Faden

Seide wärmt im Winter, kühlt im Sommer und verleiht ihrem Träger einen besonderen Glanz. Kein Wunder, dass sich dieser Stoff über Jahrtausende behaupten konnte und Menschen magisch anzog und bis heute anzieht.
Stoffe aus Seide
Seit Tausenden Jahren zieht Seide die Menschen an und kleidet sie ein.Foto: Mara Fribus/iStock
Von 14. Juli 2024

„Am seidenen Faden hängen“ ist eine der bekanntesten Redewendungen in der Menschheitsgeschichte und steht symbolisch für einen kritischen Moment, der augenscheinlich nicht gut für die betroffene oder in die Situation involvierte Person endet. Wer an den glänzenden und edlen Stoff denkt und diesen mit Ostasien verbindet, könnte annehmen, dass der Ausspruch aus China – der „Heimat der Seide“ – stammt. Doch dem ist nicht so.

Tatsächlich ist diese Redewendung mit einer zweiten, aus der Antike stammenden gleichzusetzen, nämlich „das Damoklesschwert schwebt über jemandem“. Aber wie passt das zusammen? Dies verrät die Geschichte über das Damoklesschwert selbst, welche dank der römischen Schreiber Cicero und Horaz überliefert ist.

Der Geschichte nach beneidete ein Höfling namens Damokles seinen Herren Dionysios I. von Syrakus um dessen Güter und Macht. Bei einem Fest überließ Dionysios seinem Höfling seinen Platz an der Festtafel. Um ihm zu zeigen, welche teils unerwarteten Gefahren mit einer solchen Position einhergehen, hängte Dionysios ein Schwert über Damokles auf, welches nur an einem dünnen Rosshaar hing. Dieser „Lebensfaden“ konnte jederzeit vom Schicksal durchtrennt werden.

Das Gemälde „Das Schwert des Damokles“ von Richard Westall (1765–1836). Foto: Gemeinfrei

Am Ende zeigt die Erzählung, dass dieser „seidene“ Faden nicht nur so stark ist, dass er ein Schwert halten kann, sondern auch kostbar für das Leben ist. Wie schützend, kostbar und begehrenswert Seide ist, offenbart die 10.000-jährige Geschichte des edlen Stoffes.

Kleider vom Erfinder des Saiteninstruments?

Die Seide und ihre Herstellung sind heute exklusives Kulturerbe Chinas, da das „Land der Morgenröte“ als Wiege der Seide gilt. Kein Wunder, dass es hier zahlreiche Sagen und Geschichten über die Entdeckung der Seide gibt.

In einer alten chinesischen Sage sollen die Urkaiser Fu Xi und Shennong als Erste auf die Idee gekommen sein, die Fäden von Seidenspinnerraupen zu verwenden. Dieses Wissen gaben sie schließlich an die Menschen weiter und lehrten sie, wie sie die seidenen Fäden gewinnen und Stoffe daraus weben konnten. Weiterhin heißt es, dass die beiden Urkaiser aus den Fäden sogar das erste Saiteninstrument, die Guqin – eine Griffbrettzither –, hergestellt haben sollen.

Fu Xi und Shennong: die Entdecker der Seide

Fu Xi (l.) gilt als chinesischer Urkaiser und Urahn der Menschen. Urkaiser Shennong (r.) soll den alten Chinesen landwirtschaftliche Praktiken und den Gebrauch von pflanzlichen Arzneimitteln beigebracht haben. Foto: Gemeinfrei, Collage: kms/Epoch Times

Sagenumwobene Seide

Andere Geschichten nennen die erfindungsreiche Leizu, die Geliebte des Kaisers Huangdi, als Entdeckerin der Seide. Mal sei ihr der Kokon einer Seidenspinnenraupe in die Teetasse gefallen und mal sei sie vor einer Schlange auf einen Maulbeerbaum geflüchtet und habe dabei die Seidenraupen bei ihrer Arbeit entdeckt. All diese Geschichten führten später dazu, dass Leizu als „Seidenraupengöttin“ verehrte wurde.

Wer wirklich die Seide erfunden hat, wird vermutlich unbekannt bleiben. Sicher scheint aber, dass ihre Nutzung in China uralt ist. So haben Archäologen nachweislich in 8.500 Jahre alten Frauengräbern der Provinz Henan die Spuren von Fibroin gefunden – einem Protein, aus dem Seidenfäden gemacht sind.

Im Laufe der Jahrtausende perfektionierten die Chinesen ihre Fähigkeiten in der Gewinnung von Seidenfäden und der Herstellung von Seidenstoffen. Da Asien schon immer ein begehrter Handelspartner war, kamen schließlich die Europäer mit Seide in Kontakt. Ihr Interesse für den glänzenden, anmutigen Stoff war geweckt.

Frauen beim Schlagen von Seide

Die Darstellung des Künstlers Song Huizong (1082–1135) zeigt Frauen beim Schlagen von Seide. Tusche und Farbe auf Seide, entstanden zwischen 1100 und 1133. Foto: Gemeinfrei

Weitergabe unter Todesstrafe

Die ersten Europäer, die die Seide kennenlernten, waren vermutlich die Römer. Bereits Plinius der Ältere (um 23–79 nach Christus) beschrieb in seinem Buch „Naturalis historia“ die Seidenraupe. Außerdem seien die Römer in der Schlacht bei Carrhae gegen die Parther erstmals mit dem edlen Stoff in Kontakt gekommen. Seither war der Wunsch des Adels nach Seidenstoffen groß.

Um die teuren Stoffe nicht importieren zu müssen, suchten die Römer nach einem Weg, ihre eigene Seide herzustellen. Einer dieser Wege führte sie auf die griechische Insel Kos, wo die sogenannte „Koische Seide“ aus den Fäden des Pistazienspinners (Pachypasa otus) hergestellt wurde.

Diese war den römischen Frauen jedoch zu rau und glänzte nicht so schön wie die chinesische Seide. Und auch die römische Muschelseide konnte nicht herhalten, da die spinnenden Mittelmeermuscheln zu wenig Fäden für ganze Gewänder lieferten.

Handschuh aus Seide von Muscheln

Ein Handschuh aus Muschelseide (auch Byssusseide genannt), ausgestellt im Überseemuseum Bremen. Foto: Politikaner, Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Die Römer hatten also zwei Optionen: Entweder weiter bei den Chinesen über die Seidenstraße einzukaufen oder an die chinesischen Seidenraupen heranzukommen, die die glänzende Seide lieferten. Doch ein einfacher Kauf der Raupen war unmöglich.

Um das Geheimnis der Fadengewinnung zu wahren und vom Seidenhandel zu profitieren, war es in China unter Androhung der Todesstrafe verboten, die Raupen oder gar ihre Eier an Fremde zu verkaufen.

Seidenspinner produzieren Seide

Insgesamt gibt es elf Arten von Seidenspinnern, unter anderem (von oben nach unten): Maulbeerspinner (Bombyx mori) nebst Raupe, Gespinst und Eiern; Südamerikanischer Seidenspinner (Hyalophora cecropia); Chinesischer Seidenspinner (Antheraea pernyi); Ailanthusspinner (Samia cynthia). Foto: Gemeinfrei

Und nun? Etwa um das Jahr 550 sollen zwei Mönche eine gut getarnte Mission durchgeführt haben.

Filmreifer Schmuggel

Kurz nachdem die spätantike Pest unter Kaiser Justinian I. im Römischen Reich gewütet hatte, sollen zwei assyrisch-katholische Mönche einen kühnen Plan gehabt haben: den Diebstahl von Seidenraupeneiern aus Indien. Laut dem Historiker Prokop (um 500–560) berichteten die Geistlichen dem Kaiser höchstpersönlich von ihrer Idee. Er schrieb:

„Ungefähr zur gleichen Zeit kamen einige Mönche aus Indien [zurück]; und nachdem sie Justinian davon überzeugt hatten, dass die Römer keine Seide mehr von den Persern kaufen sollten, versprachen sie dem Kaiser, dass sie die Materialien zur Herstellung von Seide zur Verfügung stellen würden. So müssten die Römer niemals mehr Geschäfte mit ihren Feinden, den Persern, machen.“

Größenvergleich des Römischen Reiches zur Zeit der Kaiser Hadrian und Justinian. Foto: Epoch Times

Die Geistlichen erklärten, dass sie von den Bewohnern Indiens die Kunst der Seidenherstellung gelernt hätten und sich bestimmte Raupen zur Seidenherstellung eignen würden. Zwar könnten sie diese nicht lebendig nach Konstantinopel bringen, dafür aber ihre Eier, aus denen sich leicht neue Raupen züchten ließen.

Das Interesse von Justinian I. war geweckt und er soll die Männer beauftragt haben, ihren Plan umzusetzen. Tatsächlich sollen es die Mönche geschafft haben, die Eier aus Indien herauszuschmuggeln und in das Römische Reich zu bringen, wo wenig später die europäische Seidenherstellung begann.

Traum von deutscher Seide am dünnen Faden

Im Hochmittelalter bildete sich schließlich Europas erste große Seidenindustrie in Italien. Städte wie Palermo, Florenz, Venedig und Lucca wurden zu großen Herstellungszentren, wobei vor allem die Seidenfärber aus Lucca für ihre strahlenden Farben berühmt wurden.

„Italienische Frauen mit Haspeln“, ein Gemälde von Annie Renouf Whelpley (1852 bis circa 1928). Öl auf Leinwand, 1893. Foto: Gemeinfrei

Ab dem 15. Jahrhundert etablierte sich die Zucht der Seidenraupen in Südfrankreich, wo die Fäden in sogenannten Magnanerien gewonnen wurden. Immer mehr Seidenindustrien kamen in den nächsten Jahrhunderten hinzu, unter anderem in Zürich und Lyon. Vor allem die französische Seidenproduktion erreichte im 18. Jahrhundert mit den neu eingeführten Webstühlen eine neue Qualität: Nun konnte Seide mit komplizierten Mustern gewebt und der teure Seidendamast hergestellt werden.

Sämtliche europäische Seidenwebereien orientierten sich fortan an der französischen Qualität – auch jene in Deutschland wie die Krefelder Seidenweberei der Gebrü­der Fried­rich und Hein­rich von der Ley­en. Um sich an dem lohnenswerten Geschäft zu beteiligen, warb Preußens König Friedrich II. aktiv für die Seidenraupenzucht.

Diese sollte vor allem von Gelehrten und Geistlichen betrieben werden. Damit dies gelingt, ließ Friedrich II. während seiner Regierungszeit drei Millionen Maulbeerbäume zur Ernährung der Raupen pflanzen, erhöhte die Zölle für den Import von Seide und ließ kostenlos Maulbeerbaumsämlinge und Seidenraupeneier verteilen.

Seidenspinnerraupen ernähren sich von den Blättern des Maulbeerbaumes. Foto: Hein Nouwens/iStock

Da die Zucht aufgrund klimatischer Bedingungen jedoch nur wenige Monate im Jahr möglich war, hielt sich dieses Gewerbe in Norddeutschland nicht lange. Auch in Südeuropa spitzte sich die Lage aufgrund von Seuchen zu und die Seidenraupenzucht wurde im Mittelmeerraum eingestellt. Heute ist die Seidenindustrie weitgehend aus Europa verschwunden.

Seide ist nicht gleich Seide

Je nach Gewinnungsart und Lieferant der Fäden gibt es unterschiedliche Seidenarten mit verschiedenen Qualitätsstufen. Die reinste Seide wird aus dem Kokon von Maulbeerspinnern gewonnen und ist schneeweiß, weshalb sie sich gut zum Einfärben eignet. Andere Seidenspinnerarten liefern ebenfalls genügend Stoff, jedoch ist dieser von schlechterer Qualität, da die Fasern kürzer sind und von Natur aus eine bräunliche Farbe besitzen.

Prozess vom Maulbeerspinner zur Seide

Ein Weibchen des Maulbeerspinners legt etwa 400 Eier. Aus diesen schlüpfen nach zehn Tagen Raupen, die sich von Maulbeerblättern ernähren. Nach weiteren vier Wochen spinnen die Raupen ihren Kokon aus Seidenfäden, um sich zu verpuppen. Ist der Kokon fertig, würde nach 18 Tagen der neue Seidenspinner schlüpfen. Foto: chameleonseye/iStock

Was Seide so teuer macht, ist die schiere Menge an benötigtem Material und die langwierige Gewinnung der Fäden. So benötigt man beispielsweise für ein Kilogramm Garn etwa 12.000 Kokons.

Um aus den Kokons die Fäden zu gewinnen, müssen diese zunächst in heißem Seifenwasser gekocht werden. Nur so lässt sich der Seidenleim entfernen, der die Fäden des Kokons gelblich färbt und zusammenhält. Je gründlicher der Klebstoff entfernt wird, desto weißer wird der Kokon und desto glatter und glänzender wird am Ende die Seide.

Um Fäden der Seide zu erhalten, werden die Kokons gekocht

Die Kokons werden gekocht, damit sich der Klebstoff, der die Fäden zusammenhält, auflöst. Foto: Thanawut Khonkaew/iStock

Das Kochen ist zugleich ein großer Kritikpunkt von Tierschützern, denn dabei werden die Larven in den Kokons ebenfalls gekocht und getötet. Dies zu vermeiden, ist Gegenstand der Forschung zu alternativen Herstellungsmethoden. Sowohl technische Seide als auch Kunstseide können die Eigenschaften der Naturseide bislang nicht vollständig nachbilden.

Stoff für Redewendungen

Nachdem der Klebstoff entfernt wurde, wird die oberste und aus kurzen Fäden bestehende Schicht der Kokons gebürstet. Die dabei abfallenden Fasern werden aufgesammelt und zu Seidengarn verarbeitet. Was übrig bleibt, sind die Kokons, aus denen die Seidenfäden aufgewickelt werden.

Hierin liegt zugleich der Ursprung eines weiteren Sprichwortes: Die Seide wird auf sogenannte Haspeln gespult. Verliert jemand beim Reden den Faden, sodass man ihm nicht folgen kann, hat er sich „verhaspelt“.

Entstehung von Fäden aus Seide

Die gekochten Kokons werden abgewickelt und zu dicken Fäden aufgespult. Foto: slowmotiongli/iStock

Die seidenen Fäden ergeben verwoben schließlich den unverwechselbar glänzenden Stoff mit seinen zahlreichen nützlichen Eigenschaften. So ist Seide nicht nur stark und gleichzeitig dehnbar, sondern kann auch 30 Prozent Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Außerdem kühlt der Stoff bei Hitze, wärmt bei Kälte und zerknittert nicht, was ihm stets einen edlen Anblick verleiht.



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