Strom aus Wasserkraft doch nicht so grün?

Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) bescheinigen Talsperren mehr als doppelt so hohe CO2-Emissionen, wie bisher angenommen. Ist das grüne Image von Strom aus Wasserkraft damit "überholt", wie die Forscher schreiben? Vermutlich nicht, denn – was die Forscher nicht schreiben – die Emissionen stammen aus natürlichen Quellen, Pflanzenresten, die zuvor CO2 gebunden haben.
Ist Strom aus Wasserkraft doch nicht so grün? Forscher bescheinigen Talsperren doppelt so hohe CO2-Emissionen, wie bislang angenommen.
Aggertalsperre in Gummersbach.Foto: iStock
Von 26. Mai 2021

Talsperren dienen unter anderem als Speicher für Trinkwasser, die landwirtschaftliche Bewässerung oder die Gewinnung von grünem Strom aus Wasserkraft. Bisher ging man davon aus, dass Talsperren ungefähr so viel Kohlenstoff speichern, wie sie in Form von Treibhausgasen an die Atmosphäre abgeben.

Gemeinsam mit spanischen Wissenschaftlern widerlegen Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) am Standort Magdeburg diese Annahme. Die Forschungsergebnisse veröffentlichten sie Mitte Mai in der Fachzeitschrift „Nature Geoscience“. Darin kommen sie zu dem Schluss, dass Talsperren zweimal mehr Kohlenstoff freisetzen als sie speichern. Ist Strom aus Wasserkraft also doch nicht so grün, wie angenommen?

Wasserspiegel beeinflusst CO2-Emissionen

Ob Laub, Äste oder Algen – Fließgewässer transportieren große Mengen an kohlenstoffhaltigem Material. Staut sich das Wasser in einer Talsperre, sinkt das mitgetragene Material nach und nach ab und sammelt sich am Gewässergrund an.

„Durch den Sauerstoffmangel laufen die Abbauprozesse dort unten sehr viel langsamer ab. Dadurch wird weniger Kohlendioxid freigesetzt. Der enthaltene Kohlenstoff wird im Sediment der Talsperre längerfristig gespeichert“, erklärt UFZ-Biologe Dr. Matthias Koschorreck in einer Pressemitteilung. „Daher ging man bislang davon aus, dass Talsperren durch diese Anreicherungsprozesse mehr Kohlenstoff speichern als sie freisetzen.“

Für die Kohlenstoffbilanz von Gewässern spielen aber nicht nur die von Wasser bedeckten Zonen eine Rolle, sondern insbesondere auch solche, die durch Absinken des Wasserspiegels zeitweise trocken fallen. Das konnte die Arbeitsgruppe um Koschorreck in vorherigen Untersuchungen bereits zeigen. Kommt das zuvor von Wasser bedeckte kohlenstoffhaltige Material mit Luftsauerstoff in Kontakt, beschleunigen sich die Abbauprozesse und damit auch die Entstehung von Kohlendioxid.

„Trockenfallende Gewässerbereiche setzen so erheblich mehr Kohlenstoff frei als von Wasser bedeckte Bereiche“, ergänzt Philipp Keller, ehemaliger Doktorand am UFZ und Erstautor der Studie. „Und wenn in einer Talsperre große Wassermengen abgerufen werden, liegen mit einem Mal große Flächen frei. Doch bei der Kalkulation der Kohlenstoffbilanz von Talsperren wurden diese Flächen bisher nicht berücksichtigt. Diese Lücke haben wir mit unserer Arbeit geschlossen.“

„Ihr Image muss wohl als überholt angesehen werden“

Die Untersuchungsdaten zeigten, dass die Stärke der Wasserstandsschwankungen von Talsperren sowohl von ihrer Nutzung als auch von ihrer geografischen Lage abhängen. „Bei … [Speicherseen] für die Bewässerung waren die Schwankungen ausgeprägter als bei solchen, die für die… [Stromerzeugung] genutzt wurden“, so Keller. Außerdem gebe es „an Orten, an denen das jährliche Niederschlagsmuster gleichmäßiger ist – etwa in Richtung der Pole und im Bereich des Äquators –, […] weniger große Schwankungen“. In den mittleren Breiten könnten große Flächen der Talsperren oftmals über sehr viel längere Zeiträume trocken liegen.

Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscher eine auf Satellitenbildern basierende Datenbank, die die Größe der Wasseroberflächen von rund 6.800 Talsperren weltweit zwischen den Jahren 1985 und 2015 monatlich bereitstellt. So konnten die Wissenschaftler für diese 30 Jahre sehr genau bestimmen, wann, wo und wie lange die Talsperren nicht ganz gefüllt und wie groß die trocken gefallenen Flächen jeweils waren. Im Schnitt waren etwa 15 Prozent der gesamten Reservoir-Flächen nicht mit Wasser bedeckt.

Mit dieser Zahl rechneten die Wissenschaftler weiter, um die Kohlenstofffreisetzung dieser Flächen zu bestimmen. „Unsere Berechnungen belegen, dass die Kohlenstoff-Emission von Talsperren bislang deutlich unterschätzt wurde: Im globalen Schnitt setzen sie doppelt so viel Kohlenstoff frei wie sie speichern“, erklärt Dr. Koschorreck. „Ihr Image als Netto-Kohlenstoffspeicher im globalen Kohlenstoffkreislauf muss wohl als überholt angesehen werden.“

Richtiger Zeitpunkt für Wartungsarbeiten kann Emissionen senken

Das Forscherteam konnte am Beispiel der Talsperren zeigen, welchen entscheidenden Einfluss trocken fallende Bereiche auf die globale Kohlenstoffbilanz von Gewässern haben. „Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie einen Anstoß geben können, bei der Bilanzierung von Kohlenstoffflüssen natürlicher Binnengewässer künftig auch die trocken fallenden Flächen zu berücksichtigen“, schließt Dr. Koschorreck.

Darüber hinaus könnten die neuen Erkenntnisse in ein klimaschonenderes Management von Talsperren einfließen. Denn muss das Wasser wegen Wartungsarbeiten abgelassen werden, ist mit Blick auf die Kohlenstofffreisetzung der richtige Zeitpunkt wichtig: Liegen die Arbeiten anstatt im Sommer in den kälteren Monaten, laufen die Abbauprozesse des freiliegenden kohlenstoffhaltigen Materials sehr viel langsamer ab, und die Kohlenstoff-Emission sei deutlich geringer.

Um die Kohlenstoffbilanz von Talsperren noch besser zu verstehen, wird das Forscherteam um Dr. Koschorreck künftig sowohl die Freisetzung der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan als auch die Vegetation auf ihren trocken gefallenen Flächen unter die Lupe nehmen.

Emissionen verschieben statt vermehren

Bevor man Talsperren – und damit Strom aus Wasserkraft – nun aufgrund des doch nicht so grünen Images eine klimaschädliche Wirkung zuspricht, stellen sich zwei wesentliche Fragen:

Einerseits, wenn „Laub, Äste oder Algen“ während ihres Wachstums Kohlenstoff aus der Atmosphäre gebunden haben, wie kann ihre Zersetzung klimaschädlich sein? Gelangen die Pflanzenteile über Flüsse in Talsperren, verändert sich zwar der Ort der Emissionen, nicht aber die Menge, des CO2. Befände sich an Stelle der Talsperre eine Flussaue, bliebe die Biomasse (und die Emissionen) an Ort und Stelle.

Ein Großteil der Emissionen in trocken gefallenen Talsperren ist damit keineswegs überschüssig, sondern lediglich an anderer Stelle freigesetzt. Damit ergibt sich zwar, das Talsperren weniger CO2 speichern als angenommen, die zusätzlichen Emissionen aber nicht an ihrer Klimaneutralität (im Betrieb) rütteln.

Andererseits sind Wasserkraftanlagen mehr als nur eine unter vielen regenerativen Energiequellen. Womit könnte man sie ersetzen? In der Schweiz deckt Wasserkraft über die Hälfte (56 Prozent) des Strombedarfs. In Norwegen liegt dieser Wert nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. bei 95 Prozent. Obwohl in Deutschland laut Umwelt- und Statistischem Bundesamt „nur“ etwa 3,5 Prozent des Strombedarfs aus Wasserkraft gedeckt werden, sind Talsperren ein ganz entscheidender, wenn nicht der wichtigste, regenerative Energieträger.

Im Gegensatz zu Solar- und Windkraftanlagen sind Wasserkraftwerke „schwarzstartfähig“. Das heißt, nach einem großflächigen Stromausfall kann Strom aus Wasserkraft wieder eine stabile Grundversorgung in einem „leeren“ Stromnetz aufbauen. Photovoltaik und Windkraftanlagen brauchen diese frequenzstabile Grundlage, denn aufgrund der starken Schwankungen der Stromerzeugung könnten sie ihren Strom nicht ins Netz einspeisen, ohne die Netzstabilität zu gefährden.

(Mit Material des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ))



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