Üppige Schwammgärten in der arktischen Tiefsee entdeckt

Die Meere stecken voller Überraschungen und Leben, auch an Orten, an denen man es nicht vermutet. Wie Forscher des Alfred-Wegener-Instituts jüngst erkundeten, blühen auch unter dem arktischen Eis Gärten – Korallen- und Schwammgärten
Auch in der vermeintlich lebensfeindlichen Arktis "blühen" Schwammgärten.
Auch in der vermeintlich lebensfeindlichen Arktis "blühen" Schwammgärten.Foto: Alfred-Wegener-Institut, PS101 AWI OFOS system
Von 9. Februar 2022

Auf den Gipfeln von Seebergen im zentralen Arktischen Ozean, einem der nährstoffärmsten Meere der Erde, gedeihen riesige Schwammgärten. Die Schwämme ernähren sich scheinbar von den Überresten ausgestorbener Tiere. Mikroorganismen helfen ihnen dabei, dieses Material als Nahrungs- und Energiequelle zu nutzen.

Forscher aus Bremen, Bremerhaven und Kiel sowie ihre internationalen Partner entdeckten diesen einzigartigen Hotspot des Lebens während einer Polarstern-Expedition. In ihrer Studie in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ berichten sie nun über die Ergebnisse. Es sei unerlässlich, die Vielfalt und Einzigartigkeit der arktischen Ökosysteme besser zu verstehen, gerade vor dem Hintergrund globaler und lokaler Veränderungen, betonen die Forscher in einer Pressemitteilung.

Lebensunfreundliche Bedingungen? Schwamm drüber …

Dort, wo der Arktische Ozean ständig von Eis bedeckt ist und nur wenig Licht für das Wachstum von Algen zur Verfügung steht, erreicht kaum Nahrung die tiefen Wasserschichten. Umso überraschender war für die Wissenschaftler ihre Entdeckung. In einer Tiefe von 500 bis 600 Metern, wo Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt herrschen, existiert ein üppiges, dicht besiedeltes Ökosystem auf den Gipfeln erloschener Unterwasservulkane. Diese Hotspots des Lebens werden von Schwämmen dominiert, die dort in großer Zahl und zu beeindruckender Größe wachsen.

Arktische Tiefsee: Schwämme in beeindruckender Größe. Foto: Alfred-Wegener-Institut, PS101 AWI OFOS system

„Auf den erloschenen vulkanischen Seebergen des Langseth-Rückens fanden wir riesige Schwammgärten, aber wir wussten nicht, wovon sie sich ernähren“, berichtet die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts und Expeditionsleiterin Antje Boetius.

Durch die während der Expedition gesammelten Proben hat Teresa Morganti, Schwamm-Expertin vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen und Studienhauptautorin, nun herausgefunden, wie sich die Schwämme an die nährstoffarme Umgebung anpassen.

Wir zeigen, dass die Schwämme mikrobielle Symbionten haben, die altes organisches Material verwerten können. So können sie sich von den Überresten früherer, inzwischen ausgestorbener Bewohner der Seeberge ernähren – zum Beispiel den Röhren von Würmern, die aus Eiweiß und Chitin bestehen, und anderen dort hängen gebliebenen organischen Resten.“

Das große Resteessen

Schwämme gelten als sehr einfache Tiere. Dennoch sind sie in allen Ozeanen, von flachen tropischen Riffen bis hin zur arktischen Tiefsee, erfolgreich und zahlreich vertreten. Viele Schwämme beherbergen als Symbionten eine komplexe Gemeinschaft von Mikroorganismen. Diese tragen zur Gesundheit und Ernährung der Schwämme bei, indem sie Antibiotika produzieren, Nährstoffe transportieren und Ausscheidungen entsorgen. Dies gilt auch für die Geodia-Schwämme, welche die Gemeinschaft auf den arktischen Seebergen dominieren.

Die Einheit aus Schwamm und assoziierten Mikroben wird als Schwammholobiont bezeichnet. Gemeinsam bestimmten die Forscherinnen um Morganti deren Nahrungsquelle, Wachstum und Alter. Sie fanden heraus, dass vor Tausenden von Jahren Substanzen, die aus dem Inneren des Meeresbodens sickerten, ein üppiges Ökosystem mit zahlreichen Tieren unterstützten. Als sie ausstarben, blieben ihre Überreste zurück. Diese bildeten nun die (Nahrungs-)Grundlage für diese unerwarteten Schwammgärten.

Die Analyse der Mikroorganismen bestätigte die Hypothese der Forscher. „Die Mikroben haben genau den richtigen Werkzeugkasten für diesen Lebensraum“, erklärt Ute Hentschel vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Sie haben die Gene, um widerstandsfähige partikuläre und gelöste organische Stoffe abzubauen und diese als Kohlenstoff- und Stickstoffquelle zu nutzen, neben einer Reihe chemischer Energiequellen, die dort zur Verfügung stehen.“

Das Forschungsteam zeigte auch, dass die Schwämme das Ökosystem mitgestalten. So produzieren sie Nadeln (Spiculae), die eine Matte bilden, auf der die Schwämme kriechen. Diese raue Matte erleichtert zusätzlich die Ablagerung von Partikeln und biogenen Materialien. Die Holobionten des Schwamms können diese wiederum anzapfen und so ihre eigene Nahrungsfalle schaffen.

Schutz der Schwammgärten erfordert Verständnis

Der Langseth-Rücken ist ein Unterwassergebirge in der Nähe des Nordpols, wo das Meer ständig eisbedeckt ist. Die Biomasse der Schwämme dort ist jedoch vergleichbar mit seichteren Schwammgründen, wo der Nährstoffeintrag viel höher ist.

„Dies ist ein einzigartiges Ökosystem. So etwas haben wir in der hohen Zentralarktis noch nie gesehen. Die Biomasse, die Algen in den oberen Wasserschichten im untersuchten Gebiet produzieren, deckt weniger als ein Prozent des Kohlenstoffbedarfs der Schwämme. Dieser Schwammgarten mag also ein Ökosystem sein, das nur vorübergehend besteht, aber er ist reich an Arten und beheimatet sogar Weichkorallen“, sagt Boetius.

„Vor unserer Studie war kein ähnlicher Schwammgarten in der zentralen Arktis bekannt. Das Gebiet ist bisher noch nicht ausreichend erforscht, die Beobachtung und Beprobung solcher eisbedeckten Tiefsee-Ökosysteme ist sehr aufwändig“, betont Morganti. Die enge Zusammenarbeit von Forschern aus verschiedenen Institutionen ermöglichte ein umfassendes Verständnis dieses überraschenden Brennpunkts des Lebens in der kalten Tiefe.

„Angesichts des schnellen Rückgangs der Meereisbedeckung und der sich verändernden Meeresumwelt ist es unerlässlich, solche Hotspot-Ökosysteme besser zu verstehen, um die einzigartige Vielfalt der unter Druck stehenden arktischen Meere zu schützen und zu verwalten“, so Boetius abschließend.

(Mit Material des Alfred-Wegener-Instituts)



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