Roboter aus menschlichen Zellen: Wackeln diese Winzlinge bald durch unseren Körper?

So breit wie ein menschliches Haar, bedeckt mit „Fell“ und variabel in der Bewegung: US-amerikanische Biologen haben erstmals lebende Roboter aus menschlichen Zellen entwickelt, die künftig für viele medizinische Dienste eingesetzt werden könnten.
Lebende Roboter könnten bald im menschlichen Körper eingesetzt werden
Winzige lebende Roboter könnten bald im menschlichen Körper für Behandlungen eingesetzt werden.Foto: iStock
Von 6. Dezember 2023

Forscher haben winzige biologische Roboter, die sie „Anthrobots“ nennen, aus menschlichen Zellen der Luftröhre geschaffen. Sie können sich laut Angaben der Entwickler über eine Oberfläche bewegen und sogar das Wachstum von Neuronen in einer Petrischale fördern.

Die winzigen mehrzelligen Roboter sind gerade einmal so breit wie ein menschliches Haar oder die Spitze eines angespitzten Bleistifts. Außerdem besitzen sie Eigenschaften, die denen eines Arztes gleichen – inklusiv witzigen Fortbewegungsformen.

Mit dieser Entwicklung kommen die Wissenschaftler ihrer Vision näher, künftig von Patienten stammende Bio-Roboter als neue therapeutische Werkzeuge für die Heilung und Behandlung von Krankheiten einzusetzen.

Vorläufer aus Fröschen

Die Wissenschaftler um Michael Levin von der Universität von Vermont, USA, knüpfen mit der aktuellen Studie an ihre früheren Forschungsarbeiten an. Bereits 2021 schufen Levin und Kollegen sogenannte Xenobots, mehrzellige biologische Roboter aus Froschembryozellen. Diese waren ebenfalls in der Lage, sich durch Gänge zu bewegen, Material zu sammeln, Informationen aufzuzeichnen oder sich selbst von Verletzungen zu heilen.

Damals wussten die Forscher nicht, ob diese Fähigkeiten der Bio-Roboter nur auf Amphibien- oder Embryozellen beschränkt waren oder ob auch Zellen anderer Arten dafür infrage kämen. Wie die aktuelle Studie zeigt, ist dies auch mit erwachsenen menschlichen Zellen möglich, ohne diese genetisch verändern zu müssen – was über einige Fähigkeiten der Xenobots hinausgehen würde.

Mit dieser Entdeckung seien die Forscher der Beantwortung einer zentralen Frage in der Biologie einen entscheidenden Schritt nähergekommen: Nach welchen Regeln setzen sich Zellen im Körper zusammen und arbeiten gemeinsam? Und können die Zellen aus ihrem natürlichen Kontext herausgenommen und zu verschiedenen „Körperplänen“ neu kombiniert werden, um andere Funktionen zu erfüllen?

Architekten im Einsatz

In diesem Fall verwendeten die Forscher als „Versuchskaninchen“ menschliche Zellen aus der Luftröhre. „Wir wollten erforschen, was Zellen neben der Schaffung von Standardfunktionen im Körper noch tun können“, sagte die beteiligte Forscherin Gizem Gumuskaya in einer Pressemitteilung. „Durch die Umprogrammierung der Interaktionen zwischen den Zellen können neue und komplexere Strukturen geschaffen werden – ähnlich wie Steine und Ziegel zu verschiedenen Strukturelementen wie Mauern, Bögen oder Säulen angeordnet werden können.“

Die Forscher fanden zudem heraus, dass sich die Zellen auf unterschiedliche Weise über die Oberfläche menschlicher Neuronen bewegen können. Diese Neuronen wurden zuvor in einer Petrischale im Labor gezüchtet und später angekratzt. Die verletzte Stelle konnte von den winzigen Robotern schließlich geheilt werden, indem sie das Zellwachstum anregten.

Wie genau die Anthrobots das Wachstum anregen konnten, ist bislang nicht geklärt. Eins sei jedoch sicher: Die Neuronen wuchsen bedeckt von einer geballten Ansammlung von Anthrobots wieder zu, was den Winzlingen auch den Namen „Superbots“ einbrachte.

„Die Zellverbände, die wir im Labor konstruieren, können Fähigkeiten haben, die über das hinausgehen, was sie im Körper tun“, sagte Levin. „Es ist faszinierend und völlig unerwartet, dass sich normale Luftröhrenzellen von Patienten – ohne ihre DNA zu verändern – selbstständig bewegen und das Wachstum von Neuronen in einem geschädigten Bereich fördern können“, so Levin. „Wir untersuchen jetzt, wie der Heilungsmechanismus funktioniert, und fragen uns, was diese Konstrukte sonst noch können.“

Roboter mit besonderen Ansprüchen

Da die Roboter aus den menschlichen Zellen eines Patienten hergestellt werden können, hoffen die Forscher, dass diese später keine Immunreaktion auslösen werden und so verträglicher für den Patienten sind.

Außerdem würden sie wegen ihrer biologischen Herkunft keine Schäden im menschlichen Körper anrichten. Da sie nur wenige Wochen im Patienten verbleiben, bevor sie sich abbauen, werden diese nach getaner Arbeit leicht vom Körper weiterverarbeitet.

Darüber hinaus könnten Anthrobots außerhalb des Körpers nur unter ganz bestimmten Laborbedingungen überleben. So bestehe nicht die Gefahr einer Exposition oder unbeabsichtigten Verbreitung außerhalb des Labors.

Ebenso vermehren sie sich nicht und besitzen keine genetischen Veränderungen, Zusätze oder Löschungen, sodass keine Gefahr bestehe, dass sie sich über die bestehenden Schutzmaßnahmen hinaus entwickeln würden.

Wie werden die Roboter hergestellt?

Jeder Anthrobot beginnt als eine einzelne Zelle, die von einem erwachsenen Spender stammt. Diese Zelle wird von der Oberfläche der Luftröhre entnommen und ist mit sich hin- und herbewegenden haarähnlichen Fortsätzen – Zilien oder Flimmerhärchen – bedeckt.

Die Flimmerhärchen helfen den Zellen, winzige Partikel auszustoßen, die in die Atemwege gelangten. Frühere Studien anderer Forscher hatten gezeigt, dass die im Labor gezüchteten Zellen spontan winzige mehrzellige Kugeln, sogenannte Organoide, bilden.

Die Forscher entwickelten Wachstumsbedingungen, die die Flimmerhärchen auf den Organoiden dazu anregten, nach außen zu zeigen. Innerhalb weniger Tage begannen sie sich zu bewegen, angetrieben von den Zilien, die wie Ruder wirken. Sie stellten unterschiedliche Formen und Bewegungsarten fest – eine wichtige Funktion der Anthrobots. Laut Levin könnten die Roboter zudem, wenn sie mit weiteren Merkmalen ausgestattet würden, auf ihre Umgebung reagieren oder beim Aufbau von künstlichem Gewebe im Labor helfen.

Einige sitzen einfach nur herum und wackeln

Das Team erschuf bereits verschiedene Arten von Anthrobots, die sich in Bezug auf Form und Bewegung unterschieden. Einige waren kugelförmig und vollständig mit Flimmerhärchen bedeckt, andere waren unregelmäßig und hatten ein eher lückenhaftes „Fell“. Wieder andere waren nur auf einer Seite mit Flimmerhärchen bedeckt. Sie bewegten sich in geraden Linien oder in engen Kreisen, kombinierten diese Bewegungen oder saßen einfach nur herum und wackelten.

Außerdem hatten die winzigen Roboter Größen zwischen 30 und 500 Mikrometern, womit sie eine Nische zwischen der Nanotechnologie und größeren technischen Geräten füllen. Unter Laborbedingungen überlebten sie in der Regel etwa 45 bis 60 Tage, bevor sie sich auf natürliche Weise abbauten.

„Anthrobots bauen sich im Labor selbst auf“, sagte Gumuskaya. „Im Gegensatz zu Xenobots […] können wir erwachsene Zellen oder gar Zellen älterer Patienten anstelle von embryonalen Zellen verwenden. Außerdem können wir Schwärme dieser Bots parallel produzieren, was ein guter Anfang für die Entwicklung eines therapeutischen Werkzeugs ist.“

Roboter als winzige Heiler

Da die Forscher letztlich die Anthrobots für therapeutische Anwendungen benutzen wollen, haben sie im Labor getestet, wie die Roboter Wunden heilen können. Bei ihrem Versuch züchteten sie eine zweidimensionale Schicht menschlicher Neuronen und fügten dieser eine offene „Wunde“ zu, sie kratzten die Neuronen an.

Um sicherzustellen, dass eine dichte Konzentration von Anthrobots die Wunde belagerte, schufen sie „Superbots“. Dabei handelt es sich um eine natürlich gebildete Ballung von Anthrobots, die häufig bei kleinen Räumen auftritt. Die Superbots bewegten sich im Kreis oder wackelten, sodass sie sich nicht zu weit von der offenen Wunde entfernen konnten.

Zunächst dachten die Forscher, dass genetische Modifikationen der Anthrobots erforderlich wären, damit die Roboter das Wachstum von Nervengewebe anregen. Überraschenderweise schafften das jedoch schon die unmodifizierten Anthrobots. Sie ließen das Gewebe in beträchtlicher Form nachwachsen, sodass eine Brücke aus Neuronen entstand. Diese war so dick wie der Rest der gesunden Schicht. In einer Wunde, in der keine Anthrobots waren, wuchsen hingegen keine Neuronen.

Laut den Forschern könnten künftig weitere Anwendungsmöglichkeiten der Roboter bestehen, wie beispielsweise die Beseitigung von Plaqueablagerungen in Arterien, die Reparatur von Schäden des Rückenmarks, die Erkennung von Bakterien oder Krebszellen sowie die Verabreichung von Medikamenten an bestimmte Gewebestellen. Theoretisch könnten die Anthrobots sogar bei der Gewebeheilung helfen und gleichzeitig Medikamente verabreichen.

Erweiterung der Natur durch Roboter?

Die Entwicklerin der Roboter erklärt, dass Zellen die angeborene Fähigkeit besitzen, sich auf bestimmte grundlegende Arten zu größeren Strukturen zusammenzusetzen. „Die Zellen können Schichten bilden, sich falten, Kugeln formen, sich nach Typen sortieren und trennen, miteinander verschmelzen oder sich sogar bewegen“, so Gumuskaya.

„Zwei wichtige Unterschiede zu unbelebten Ziegelsteinen sind, dass die Zellen miteinander kommunizieren und diese Strukturen dynamisch bilden können. Außerdem ist jede Zelle mit vielen Funktionen programmiert, wie Bewegung, Erkennung von Signalen und mehr“, erklärt die Biologin. „Wir sind gerade dabei, herauszufinden, wie wir diese Elemente kombinieren können, um neue biologische Funktionen zu schaffen, die sich von denen in der Natur unterscheiden.“

Indem Gumuskaya und ihre Kollegen die Funktionsweise der Natur beim Bau der Anthrobots berücksichtigen, können sie erforschen, wie ein Genom mit seiner Umwelt zusammenarbeitet, um Gewebe, Organe und Gliedmaßen zu schaffen. Vielleicht ist es dann in Zukunft möglich, bestimmte Körperteile wiederherzustellen oder neu zu bilden.

Finanziert wurde diese Forschung von der John Templeton Foundation und Astonishing Labs. Die Studie erschien am 30. November 2023 in der Fachzeitschrift „Advanced Science“.



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