Pferd, Tapir und Co.: Fossilien aus Geiseltal geben neue Einblicke in die Evolution
Das frühere Braunkohleabbaugebiet im Geiseltal, westlich von Merseburg (Sachsen-Anhalt), ist ein Paradies für Paläontologen. In dem vergangenen Jahrhundert entdeckten Forscher hier eine riesige Zahl außergewöhnlich gut erhaltener Tierfossilien. Diese geben einen einzigartigen Einblick in die Evolution der Säugetiere vor 47 Millionen Jahren.
Ein Forschungsteam der Universität Tübingen und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) entdeckte nun, dass sich die Körpergröße zweier Säugetierarten in gegensätzliche Richtungen entwickelte. Die Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“.
Ein Urpferd, so groß wie ein Labrador
Vor 47 Millionen Jahren, im mittleren Eozän, war das Erdklima viel wärmer als heute. Das Gebiet im deutschen Geiseltal bestand zu dieser Zeit aus einem morastigen subtropischen Wald. Zu dessen Bewohnern zählten neben Urpferden und frühen Tapiren auch große landlebende Krokodile, Riesenschildkröten, Eidechsen und bodenlebende Vögel.
Die Funde aus dem Geiseltal sind so zahlreich und umfassend, dass sie Forschern ein Bild der Evolutionsdynamik bis auf die Ebene von Tierpopulationen mit bisher unerreichter Detailgenauigkeit geben.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Márton Rabi von der Universität Tübingen und der MLU hat entdeckt, dass sich die Körpergröße zweier Säugetierarten dort in gegensätzliche Richtungen entwickelte.
„Am Anfang haben wir uns vor allem für die Evolution der Urpferde interessiert, die ungefähr die Größe eines Labradors hatten. Von ihnen gibt es besonders viele unter den Geiseltal-Fossilien“, sagt Rabi. Die Forscher gingen zunächst davon aus, dass es mehrere Arten früherer Pferde gegeben hat.
„Wir stellten jedoch fest, dass es sich nur um eine einzige Art handelt, deren Körpergröße mit der Zeit deutlich abnahm“, erklärt Rabi. Anschließend wollte das Forschungsteam wissen, ob diese Veränderung durch das Klima ausgelöst worden sein könnte. Bereits frühere globale Warmphasen sollen zu einer Reduktion der Körpergröße bei frühen Säugetieren geführt haben.
Schrumpfen und wachsen im Geiseltal
Informationen über das lokale Klima im mittleren Eozän des Geiseltals erhielten die Forscher über Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotopen-Untersuchungen an fossilen Zähnen. „Sie deuten auf ein feuchtes Tropenklima hin. Wir fanden jedoch keine Hinweise auf Klimaänderungen im Geiseltal im untersuchten Zeitraum“, sagt Hervé Bocherens vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment.
Um die Ergebnisse weiter zu erhärten, versuchte das Team herauszufinden, ob der Schrumpfungsprozess nur bei Pferden auftrat. Zum Vergleich zogen sie die Evolution früher Tapire der Gattung Lophiodon heran.
„Wir hatten Anhaltspunkte, die gleichbleibenden Klimadaten infrage zu stellen. Daher erwarteten wir, dass andere Säugetiere die gleichen Trends bei der Entwicklung der Körpergröße zeigen würden wie die Pferde“, erklärt Simon Ring, Co-Autor der Studie.
Doch erstaunlicherweise hätten die Ergebnisse bei den Tapiren, bei denen es sich ebenfalls nur um eine Art handelt, einen gegensätzlichen Trend aufgewiesen. Sie wurden größer, statt zu schrumpfen. Während die Vorfahren der Pferde ihr durchschnittliches Körpergewicht innerhalb von einer Million Jahren von 39 Kilogramm auf rund 26 Kilo verringerten, legten die Tapire im gleichen Zeitraum von durchschnittlich 124 Kilo Körpergewicht auf 223 Kilo zu.
Unterschiedliche Überlebensstrategien
„Alle Daten zur Körpergröße der Pferde und Tapire deuten darauf hin, dass sich die beiden Arten nicht wegen des Klimas, sondern wegen unterschiedlicher Lebenszyklen verschieden entwickelten“, erklärt Bocherens.
Kleine Tiere pflanzen sich schneller fort und sterben jünger. Im Verhältnis zu ihrer Größe müssen sie nicht so viel Nahrung zu sich nehmen, um den Körper aufrechtzuerhalten. Sie können mehr Ressourcen in ihre Nachkommen stecken.
Größere Tiere leben länger und haben niedrigere Fortpflanzungsraten. Sie brauchen mehr Nahrung und können weniger in die Fortpflanzung investieren. Allerdings haben sie aufgrund ihrer Größe auch weniger Fressfeinde und können weitere Wege bei der Futtersuche bewältigen. Das erhöht ihre Lebenszeit und gibt ihnen mehr Zeit für die Aufzucht der Jungen.
„Wahrscheinlich maximierten die Tapire und Pferde aus dem Geiseltal die Vorteile ihrer jeweiligen Lebensstrategien, was eine gegenläufige Evolution der Körpergröße zur Folge hatte“, erklärte der Wissenschaftler.
Geiseltal – eine bedeutende Fossilienfundstelle
Aus der Fundstätte Geiseltal wurden im Zuge der Gewinnung der Braunkohle im Tagebau zwischen 1933 und 1993 Zehntausende von Fossilien von mehr als einhundert ausgestorbenen Arten entdeckt. Viele sind Vorfahren heute lebender Wirbeltiere.
„Das Geiseltal ist als Fossilienfundstelle genauso bedeutend wie die Grube Messel bei Darmstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt“, sagt Rabi. „Weil die Sammlung aus dem Geiseltal während des Bestehens der DDR kaum zugänglich war, geriet sie weitgehend in Vergessenheit.“
Mit Material der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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