Campi Flegrei beben täglich: Bewohner werden immer ängstlicher

„Ich würde evakuieren“ – dieser Satz ging in der letzten Woche durch die Medien. Doch wie steht es um die Sicherheit der Menschen rund um die Campi Flegrei, ein Gebiet mit hoher vulkanischer Aktivität in Kampanien, Italien? Steht der erwartete Ausbruch des Supervulkans kurz bevor?
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Ob es bald zu einem Vulkanausbruch in den Campi Flegrei kommt? Vulkanologen sind sich uneinig.Foto: iStock
Von 16. Mai 2024

Montag, 13. Mai 2024 – 03:30 Uhr Ortszeit: Mitten in den frühen Morgenstunden bebt der Boden in der italienischen Kleinstadt Pozzuoli. Mehrere Einwohner der 77.000-Seelen-Stadt berichten von einem lauten Geräusch und anschließend zitternden Häusern. Gegenstände fielen aus den Regalen und Hunde waren unruhig. Einige Menschen suchten sich einen sicheren Ort in ihren Häusern.

Zwar hatte das Erdbeben nur eine Stärke von 2,9, doch die Bewohner sind dennoch besorgt: Denn sie leben auf den Phlegräischen Feldern (italienisch: Campi Flegrei), einem aktiven Vulkan. Seit Monaten kommt es hier immer wieder zu Erschütterungen – allein in den frühen Morgenstunden des 13. Mai zeichneten Seismometer elf Beben auf.

Für den gesamten Monat waren es laut Aufzeichnungen bislang sogar 436 Beben mit Stärken zwischen 0,1 und 3,7. Rekordhalter ist jedoch der 7. Mai: Insgesamt wackelte an diesem Tag 156 Mal der Boden. Ist dies der Vorbote eines lange überfälligen Ausbruchs des Supervulkans?

Hafenstadt Pozzuoli in den Campi Flegrei

Täglich bebt in der Hafenstadt Pozzuoli der Boden. Am 7. Mai gab es hier 156 Erdbeben. Foto: iStock

„Ich würde evakuieren.“

Drei Worte gingen in der letzten Woche durch alle Medien: „Ich würde evakuieren.“ Sie stammen von dem italienischen Vulkanologen Roberto Scandone, ehemaliger Professor für Vulkanphysik an der Universität Roma Tre. Wörtlich sagte Scandone am 11. März in einem Onlineseminar des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (kurz INGV) in Rom:

Wenn ich unbegrenzte Ressourcen hätte, würde ich die Phlegräischen Felder evakuieren.“

Ob damit eine vorübergehende Evakuierung oder die dauerhafte Umsiedlung aller Menschen des über 200-Quadratkilometer großen Gebietes gemeint ist, bleibt offen.

Was jedoch genau unterhalb der Campi Flegrei vor sich geht, ist bislang unbekannt und unter den Wissenschaftlern umstritten. Roberto Scandone vermutet, dass bereits eine erhebliche Menge an Magma vorhanden ist, die den Untergrund anhebt und verformt, sodass Brüche entstehen. Besonders gefährdet sei das Gebiet östlich von Pozzuoli – jenem Bereich, der das Epizentrum der Beben ist. Durch die entstandenen Brüche könnte schließlich der heiße Gesteinsfluss noch weiter bis dicht an die Oberfläche aufsteigen.

Ausbreitung der Campi Flegrei

Die Phlegräischen Felder umfassen ein über 200 Quadratkilometer großes Gebiet, das von Bacoli über Pozzuoli und Quarto nach Neapel reicht. Foto: Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia | CC BY 4.0 DEED

Während der letzten Bebenphase zwischen 1970 und 1984 nahmen die Bodenerhebungen und damit die Erdbeben schließlich ab, ohne dass es zu einem Ausbruch kam. Denkbar wäre jedoch auch das Gegenteil. „Dies hindert die Situation nicht daran, dass sie sich innerhalb von Stunden oder Tagen zu einem explosiven Ausbruch entwickelt“, so Scandone. Die Stärke des Ausbruchs könnte dann irgendwo zwischen jenem des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull (2010) oder dem des Vesuv (79 n. Chr.) liegen.

Trotz der verbesserten Techniken und regelmäßigen Überwachung kann also niemand sagen, ob und wann es zu einem Ausbruch kommt. Dies mache die Campi Flegrei zu einer tickenden Zeitbombe. Dieser Meinung ist auch Thomas Walter vom Deutschen Geoforschungszentrum, denn der Vesuv und die Phlegräischen Felder seien „reif für eine Eruption“. Doch es gibt auch andere Meinungen.

Campi Flegrei: „Kein Ausbruch in absehbarer Zeit“

Während einige Kollegen Roberto Scandone zustimmen, gibt es auch Gegenstimmen. Für Giuseppe Mastrolorenzo, Forschungsleiter am INGV, könnten die Erdbeben auch von thermischen Bewegungen rund um die in sieben Kilometer Tiefe befindliche Magmakammer ausgehen.

Auch Giuseppe De Natale vom INGV denkt nicht, dass es in naher Zukunft zu einem Vulkanausbruch kommt. „Ich glaube, dass es keine Beweise für das Vorhandensein von Magma in den Phlegräischen Feldern gibt.“

Laut Mauro Antonio Di Vito, Direktor des Vesuv-Observatoriums, ist jedoch sicher, dass die Erdbeben so lange mit gleicher Intensität oder sogar noch stärker weitergehen, wie die Bodenerhebung anhält. Doch auch der italienische Vulkanexperte glaubt nicht an einen Ausbruch der Campi Flegrei in absehbarer Zeit.

Gasaustritt aus den Campi Flegrei

Jeden Tag treten Gase aus dem aktiven Supervulkan aus. Foto: iStock

So argumentierten auch Vulkanologen der ETH-Zürich im Jahr 2018. Sie erkannten im Rahmen ihrer Studie, dass sich die Campi Flegrei am Anfang eines neuen ​Zyklus befänden, bei dem sich tief in der Erde über Tausende Jahre eine große Magmakammer wieder auffülle.

„Eine katastrophale Eruption ist kaum in den nächsten 20.000 Jahren zu erwarten, denn das Magmareservoir unter den Phlegräischen Feldern lädt sich nur sehr langsam auf. Einen großen Ausbruch werden wir und künftige Generationen, vielleicht auch die gesamte Menschheit nicht mehr erleben“, so die Forscher.

Übertriebene Angstverbreitung durch Medien

In einer Erklärung des INGV vom 17. April 2024 heißt es zudem: „Die Phlegräischen Felder werden durch ein kontinuierliches Multiparameter-Überwachungssystem überwacht. Alle von diesem System gelieferten Daten lassen derzeit nicht auf einen bevorstehenden Vulkanausbruch schließen, geschweige denn auf einen Ausbruch größeren Ausmaßes.“

Weiterhin äußert sich die Institutsleitung kritisch zu einer Schweizer TV-Dokumentation, da diese unbegründete Ängste schüre. In der mit Computer-Animationen unterstützten Doku heißt es, dass das benachbarte Neapel „unter 30 Metern vulkanischem Material“ begraben würde, was – laut Vulkanologe Patrick Allard – „Tote und große Zerstörungen“ bringe. „Es handelt sich um Informationen, die sich nicht auf Daten stützen und die alle wichtigen wissenschaftlichen und planerischen Aktivitäten völlig außer Acht lassen“, so das INGV.

Risse in den Straßen von Pozzuoli in den Campi Flegrei

Immer mehr Risse zieren die asphaltierten Straßen in Pozzuoli nach den unzähligen Erdbeben. Foto: Alberto Pizzoli/AFP via Getty Images

„Keiner der 70 Ausbrüche, die sich in den letzten 15.000 Jahren in diesem Gebiet […] ereignet haben, kommt auch nur im Entferntesten an das Szenario heran, das in dem Dokumentarfilm dargestellt und in einigen Zeitungen veröffentlicht wurde“, so die Forscher vom INGV weiter.

Damit ein Vulkanausbruch dieses Ausmaßes entstehen könnte, müssten laut den italienischen Geologen enorme Mengen an Magma in das System eindringen. „Dies würde makroskopische Signale erzeugen, die weder unserem Überwachungssystem noch den Bewohnern der Region entgehen würden“, so die Forscher.

Bewohner in Sorge

Dennoch zeigen sich die Anwohner der Kleinstadt Pozzuoli sowie der Inseln Ischia und Procida beunruhigt. So führten die Bodenhebungen im Hafen von Pozzuoli dazu, dass die Kais inzwischen viel höher liegen. Somit ist das Ein- und Aussteigen aus den Fähren langwierig, kompliziert und gefährlich geworden. Über den Hafen werden jährlich mehr als 300.000 Fahrzeuge auf benachbarte Inseln gebracht, um sie mit Gütern zu versorgen.

Doch auch der Meeresboden habe sich in den letzten Jahren beträchtlich gehoben, sodass vor allem an Tagen mit Ebbe und starkem Wind die Schiffe beim Manövrieren enorme Schwierigkeiten haben. Seit Anfang des Jahres steckten bereits zwei Fähren im Schlamm fest, konnten aber ohne Schäden wieder befreit werden.

Aufgrund der Bodenhebungen wird die Wassertiefe im Hafen von Pozzuoli immer niedriger. Foto: Alberto Pizzoli/AFP via Getty Images

Aus diesem Grund sprach sich Edoardo Russo, Kommandant des Hafenamtes von Pozzuoli, dafür aus, das Hafenbecken auszubaggern. Geschehe dies nicht, stünde nicht nur die Versorgung der Inselbewohner auf dem Spiel, sondern auch die Sicherheit im Falle einer Evakuierung. Der derzeitige Zustand des Hafens könnte „die Katastrophenvorkehrungen beeinträchtigen, wie bereits bei der letzten Übung am 22. April deutlich wurde“, schreibt die Zeitung „Il Messaggero“.

Auch Mauro Antonio Di Vito vom Vesuv-Observatorium empfindet den derzeitigen Katastrophenplan als nicht angemessen, „weil er sich bei der Rettung der Bevölkerung auf die vermeintliche Vorhersagbarkeit eines Ausbruchs stützt“. Doch genau da liegt das Problem: Da es keine Erfahrungen aus der Vergangenheit gibt und die Vorgänge um die Campi Flegrei unbekannt und komplex sind, ist dies ein unmögliches Unterfangen.

„Der Plan muss auch für unvorhersehbare Ereignisse gemacht sein und angemessene Fluchtwege zu Land und zu Wasser vorsehen“, so Di Vito. „Leider könnte der Ausbruch auch morgen stattfinden. Um Katastrophen zu verhindern, müsste für eine Evakuierung des betroffenen Gebietes von mindestens 20 Kilometern um die Caldera vorbereitet sein.“

Täglich 4.000 Tonnen CO₂ aus den Campi Flegrei

Die Campi Flegrei im Herzen Italiens sind das größte aktive, besiedelte Vulkangebiet in ganz Europa. Insgesamt umfasst das Areal eine Fläche von über 200 Quadratkilometern und besteht aus einer Caldera sowie den Vulkaninseln Procida und Ischia.

Seine Caldera bildete sich vermutlich nach zwei großen explosiven Ausbrüchen vor 36.000 und 15.000 Jahren. Die meisten bekannten Aktivitäten fanden jedoch innerhalb von drei Zeiträumen statt: vor 15.000–9.500, 8.600–8.200 und 4.800–3.800 Jahren.

Weiterhin ist bekannt, dass der Solfatara-Krater in den Phlegräischen Feldern seit 2005 immer größere Mengen an Gas ausstößt. Messungen zufolge handelt es sich dabei unter anderem um 4.000 bis 5.000 Tonnen Kohlendioxid pro Tag. Somit gehören die Campi Flegrei zu den acht größten Kohlendioxid-Emittenten der Welt. Derartige hohe CO₂-Emissionen werden jedoch in Klimamodellen kaum berücksichtigt, wie Forscher der Cambridge-Universität kürzlich herausfanden.

Solfatara-Krater in den Campi Flegrei

Aus dem Solfatara-Krater treten täglich 4.000 bis 5.000 Tonnen Kohlendioxid aus. Foto: iStock

„Müssen Bodenhebung und Erdbeben entschlüsseln“

Die regelmäßigen Hebungen und Senkungen sind seit der Römerzeit bekannt und erstrecken sich bis heute. Eine besonders intensive seismische Aktivität wurde ab 1470 dokumentiert, mehrere Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Monte Nuovo, dem letzten Ausbruch der Campi Flegrei im Jahr 1538. Zahlreiche Dokumente dieser Zeit belegen eine starke Hebung des Bodens, die ebenfalls Jahrzehnte vor dem Ausbruch begann.

Eine erneute Hebung begann 1950. Zeitweise vollzog sie sich so schnell, „dass es Streitigkeiten über die Zuweisung von Eigentum an neu aus dem Meer entstandenem Land gab“. So hob und senkte sich zwischen 1970 und 2005 der Boden beispielsweise um 170 Zentimeter sowie von 2005 bis heute um 115 Zentimeter. Betrachtet man allein die zeitliche Abfolge der Ereignisse im 15. und 16. Jahrhundert, ist ein Ausbruch der Campi Flegrei seit sechs Jahren überfällig.

Dr. Stefania Danesi vom INGV Bologna sagte vor rund einem Jahr: „Wir können nicht sehen, was im Untergrund passiert. Stattdessen müssen wir die Hinweise entschlüsseln, die uns der Vulkan gibt, wie Erdbeben und Bodenerhebungen.“

Auch in den kommenden Wochen könnten die Erschütterungen weitergehen oder sogar noch stärker werden, erklärte Mauro Di Vito, Direktor des Vesuv-Observatoriums. „Es ist möglich, dass es zu stärkeren Erdbeben kommen wird, aber wir können es nicht mit absoluter Sicherheit sagen.“



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