Sinkende Strommenge: Erneuerbare mit Rückenwind, Fossile selbst im Sommer gefragt

Über 45 Prozent des deutschen Stroms waren 2022 „erneuerbar“. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich die Erfolgsmeldung als Flop, denn auch im Hochsommer lässt sich ohne fossile Kraftwerke nicht einmal Berlin versorgen.
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Hochspannungsstromleitungen in Deutschland.Foto: iStock
Von 10. März 2023

Mehr Strom aus Kohle, aus Wind und aus Photovoltaik bei gleichzeitig sinkender Gesamtmenge. Das ist die Bilanz der deutschen Stromerzeugung 2022, die das Statistische Bundesamt (Destatis) am Donnerstag, 9. März, veröffentlichte.

Demzufolge stammten 169,9 Terawattstunden (TWh) aus Kohlekraftwerken. Das ist exakt ein Drittel (33,3 Prozent) des in Deutschland erzeugten und ins Netz eingespeisten Stroms. 2021 waren es 156,8 TWh (30,2 Prozent). Daraus ergibt sich ein Anstieg nach vorläufigen Ergebnissen um 8,4 Prozent.

Mit 273,5 TWh und einem Anteil von 53,7 Prozent stammte der im Jahr 2022 ins Netz eingespeiste Strom mehrheitlich aus konventionellen Energieträgern, ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 8,7 Prozent (299,6 TWh, 57,7 Prozent). Treiber dieser Entwicklung waren steigende Erdgaspreise infolge der Sanktionen gegen Russland und politisch gewollte Stilllegungen von Kernkraftwerken, die die Stromerzeugung aus diesen Quellen drastisch sinken ließen.

Stromerzeugung folgt Rohstoffpreisen

Nachdem die Stromeinspeisung aus Kohle von 2018 bis 2020 rückläufig war, erreichte sie im Jahr 2022 fast wieder das Niveau von 2018. Ihren Tiefstand hatten Kohlekraftwerke im April 2020 auch aufgrund des geringeren Strombedarfs infolge der Coronakrise – und dem gesetzlichen Einspeisevorrang der Erneuerbaren.

Genau gegenteilig verlief die Entwicklung der Stromerzeugung aus Erdgas, die von 2018 bis 2020 zunahm und aufgrund steigender Gaspreise bis 2022 wieder auf das Niveau des Jahres 2018 fiel. So sank die Stromeinspeisung aus Erdgas 2022 auf 58,0 TWh (- 11,3 Prozent) sogar stärker als der Anstieg der Kohleverstromung.

Während Erdgas zur Stromerzeugung fast vollständig importiert werden muss, ist Deutschland bei der Stromerzeugung aus Kohle deutlich weniger importabhängig. Der deutsche Kohlestrom stammt laut den Statistikern aus Wiesbaden zu rund 60 Prozent aus Braunkohle und zu rund 40 Prozent aus Steinkohle. Braunkohle wird dabei weitestgehend durch inländische Förderung gewonnen, der Bedarf an Steinkohle durch Importe gedeckt.

Probleme der Kernkraft: französische Technik, deutsche Politik

Die Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland halbierte sich im Jahr 2022 im Vorjahresvergleich von 65,4 TWh auf 32,7 TWh und machte nur noch 6,4 Prozent der eingespeisten Strommenge aus (2021: 12,6 Prozent). Der Grund hierfür ist die Abschaltung von drei der sechs bis dahin noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke zum Jahresende 2021 im Rahmen des von der Regierung vorgeschriebenen Atomausstiegs.

Nach derzeitigem Stand sollen bis zum 15. April auch die letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet werden. In der ersten Märzwoche 2023 standen sie durchgängig unter Strom und bereicherten den deutschen Kraftwerkspark um 2,9 Gigawatt zuverlässige und steuerbare Leistung.

Während in Deutschland die Politik die Kernkraftwerke abregelt, standen die französischen Meiler aufgrund von Wartung und Reparaturen still. Das spiegelte sich auch beim Stromim- und -export wider. 2022 wurde erstmals seit Beginn der Statistik im Jahr 1990 mehr Strom nach Frankreich exportiert als Strom von dort importiert.

Insgesamt ging die importierte Strommenge 2022 auf 49,3 TWh zurück (-4,8 Prozent). Speziell der Import aus Frankreich fiel im gleichen Zeitraum um 62 Prozent. Dafür stieg der Import aus den Niederlanden (+16,6 Prozent) und Tschechien (+16,4 Prozent). Aus welchen Quellen der importierte Strom kommt, lässt sich allerdings nicht ermitteln.

Trotz sinkender Importe stieg 2022 auch die exportierte Strommenge auf 76,3 Milliarden Kilowattstunden. Mit einem Plus von 8,5 Prozent exportierte Deutschland weiterhin mehr Strom als es importierte.

Rückwind und Glanzlichter für Erneuerbare

Nach einem laut Destatis vergleichsweise windarmen Vorjahr gewannen die Erneuerbaren 2022 etwas Rückenwind. Der Windkraftanteil an der Stromerzeugung stieg – in der Summe – auf 24,1 Prozent. 2021 lag er bei 21,6 Prozent. Insgesamt wurden im Jahr 2022 in Deutschland 122,6 TWh Strom aus Windkraftanlagen eingespeist, das waren 9,4 Prozent mehr als 2021.

Auch die Stromerzeugung aus Photovoltaik glänzte 2022 mit einer Einspeisung von 54,1 TWh (+10,6 Prozent). Bezogen auf das gesamte Jahr ist die eingespeiste Strommenge seit 2018 leicht angestiegen. Im Juni 2022 erreichte sie ihren bisherigen Höchstwert, so das Bundesamt.

Das Plus von insgesamt 19,5 Prozent gegenüber 2021 ist dabei aber nicht ausschließlich auf den Zubau von Photovoltaikanlagen zurückzuführen. Die installierte Gesamtleistung stieg 2022 im Vergleich zu 2021 um rund 13 Prozent. Den Rest habe die Sonne selbst in Form von mehr Sonnenstunden beigesteuert.

14 bis 89 Prozent grüne Stromerzeugung – im Hochsommer

Der Abstand zwischen der Stromeinspeisung aus konventionellen und erneuerbaren Energieträgern nimmt seit dem Jahr 2018 ab. So stieg die Einspeisung aus erneuerbaren Energien im Vergleich zum Vorjahr auf 235,9 TWh (+ 7,3 Prozent) und einen Anteil von 46,3 Prozent. 2018 waren es noch 38,2 Prozent.

Allerdings schwankte die Stromerzeugung der sogenannten Erneuerbaren sowohl saisonal und täglich (Sonne) als auch je nach Wetterlage von Woche zu Woche (Wind):

Energieerzeugung aus Erneuerbaren und Stromverbrauch in Deutschland 2022. Foto: Agora Energiewende

So gibt es Zeiten, in denen konventionelle Kraftwerke bis über 80 Prozent des Stroms liefern mussten, beispielsweise zwischen vom 17. bis 29. Januar, 26. Februar bis 9. März, 21. bis 31. März, 25. April bis 9. Mai und 28. November bis 18. Dezember. Selbst im Hochsommer schwankt der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung extrem.

Energieerzeugung aus Erneuerbaren und Stromverbrauch in Deutschland im Juli 2022. Foto: Agora Energiewende

Lieferten Wind, Solar, Wasserkraft und Biomasse am 16. Juli, 13 Uhr, zusammen 60,1 GW – das deckte 88,7 Prozent des Bedarfs – waren es acht Stunden später nur noch 17,8 GW. Trotz sinkenden Stromverbrauchs am Abend mussten die konventionellen Kraftwerke zu dieser Zeit fast zwei Drittel des benötigten Stroms beisteuern.

Am Abend des 18. Juli schafften die Erneuerbaren noch insgesamt 8,7 GW. Die Hälfte davon kam aus Biomasse – Sonne und Wind, on- und offshore, kamen zusammen auf lediglich etwa 1,5 GW. An jenem Montagabend waren gerade 14,3 Prozent des eingespeisten Stroms „grün“ und nur 2,6 Prozent aus den favorisierten Quellen, und das trotz hochsommerlicher Temperaturen von bis über 36 Grad und bis über 15 Stunden Sonnenscheindauer. Im Januar, November und Dezember fiel der Anteil des Grünstroms entsprechend noch darunter.

„Durchschnittlich“ ausreichend – für immer schrottreif

Daraus ergibt sich ein Problem, das auch das Erreichen aller Ausbauziele der Bundesregierung nicht beheben kann: Durchschnittswerte können keine sichere Versorgung gewährleisten. Mit anderen Worten, auch, wenn im Jahresdurchschnitt knapp die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt, sagt das nichts über die momentane Erzeugung aus.

Vergleichbar wäre das, wenn Menschen 14 Tage doppelt so viel essen und trinken, wie üblich – und anschließend zwei Wochen nichts mehr. Obwohl sie damit im Durchschnitt ausreichend Nahrung zu sich nehmen, sind sie vermutlich noch vor Ende der Fastenzeit verhungert und verdurstet. Das lässt sich nahezu identisch auf die Industrie übertragen. Insbesondere Glaswerke und Stahlhütten sind nach einem Erkalten der Schmelzbäder schrottreif.

Und wenn man den Strom speichert? Alle vorhandenen Pumpspeicherkraftwerke können Deutschland für 30 bis 60 Minuten versorgen. Und alle anderen Technologien sind nicht auch nur ansatzweise im nötigen Maßstab vorhanden.

Hinzu kommt, dass der Strom nur etwa ein Fünftel des Gesamtenergieverbrauchs ausmacht. Sowohl im Verkehr als auch bei der Wärme- und Kälteversorgung spielen erneuerbare Energien eine eher untergeordnete Rolle. Bezogen auf den Gesamtenergieverbrauch liegt der Anteil der grünen Energiequellen also nicht bei etwa 45 Prozent. Ein realistischer Wert liegt eher bei zehn bis 15 Prozent.



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