Die Inflation steigt und steigt

Die Preise im Euro-Raum steigen höher als jemals zuvor seit Beginn der Währungsunion. Dies schmälert die Kaufkraft der Verbraucher, weil sie sich für einen Euro immer weniger leisten können. Auch der Bund muss sich auf deutlich steigende Ausgaben einstellen.
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Euro-Scheine.Foto: iStock
Von 12. April 2022

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Jetzt ist es nicht mehr nur der Blick auf die Anzeigen an den Zapfsäulen und die sprunghaft gestiegenen Energiekosten, die schmerzen. Auch die Zahlen auf den Kassenbons im Supermarkt sorgen zunehmend für Verunsicherung.

Selbst der Discount-Riese Aldi schraubte am vergangenen Montag seine Preise auf breiter Front teils deutlich nach oben. „Seit Beginn des Ukraine-Krieges gibt es Sprünge bei den Einkaufspreisen, die wir so noch nicht erlebt haben“, sagte Aldi-Nord-Kommunikationschef Florian Scholbeck der dpa.

Laut einer Umfrage des Münchener Ifo-Instituts wollen so viele deutsche Firmen wie nie zuvor die steigenden Beschaffungspreise im großen Stil an ihre Kunden weiterreichen.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut rechnet mit einer so hohen Inflation wie zuletzt in der Ölkrise vor 40 Jahren. Der entsprechende Ifo-Seismograf kletterte im März auf den Höchstwert von 54,6 Punkten nach 47,6 im Februar. Im Nahrungsmittel-Einzelhandel sind die Preiserwartungen gar auf 94 Punkte gestiegen. Die Punkte geben an, wie viel Prozent der Unternehmen ihre Preise erhöhen wollen. 

Für die Eurozone insgesamt sind die Verbraucherpreise nach Angaben des europäischen Statistikamts Eurostat im März um 7,5 Prozent gestiegen. Das war die höchste Inflationsrate überhaupt, seit es den Euro gibt. Im Februar lag die Teuerungsrate noch bei 5,9 Prozent.

Haupttreiber der Inflation war Energie, die sich im Zuge des Ukraine-Kriegs auf Jahressicht um 45 Prozent verteuerte, nach 32 Prozent im Februar. Aber auch die Kernrate ohne Öl, Gas und Nahrungsmittel stieg deutlich auf drei Prozent – ein klares Indiz, dass der Preisdruck auf breiter Front zunimmt.

Selbst zweistellige Inflationsraten sind möglich

In Deutschland war die jährliche Inflationsrate im März auf 7,3 Prozent und damit auf die höchste Teuerungsrate im wiedervereinigten Deutschland geschnellt. In den alten Bundesländern gab es einen so hohen Wert zuletzt im November 1981.

Thomas Mayer, Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch, hält hierzulande sogar eine Inflationsrate von zehn Prozent für möglich, wenn es etwa durch ein Energieembargo in den nächsten Wochen nochmals zu einem ähnlichen monatlichen Preisschub wie im März kommen würde.

„Was wir derzeit beobachten, ist ein Echo auf die Erfahrungen der Siebzigerjahre, auch wenn sich die Ereignisse nicht eins zu eins übertragen lassen“, so der Top-Ökonom gegenüber der Epoch Times.

Eine klare Parallele ist für den ehemaligen Chefvolkswirt der Deutschen Bank die Tatsache, dass der Anstoß für die höhere Inflation von außen über die Rohstoffpreise kam. „Auch damals spielte ein Krieg, der Jom-Kippur-Krieg zwischen den Arabern und Israel, eine Rolle“, so Mayer, „in einer zweiten Runde steigen die Endproduktpreise, und schließlich wirken Lohnsteigerungen wie ein Schwungrad, das in Gang kommt und durch das die Inflationsdynamik noch weiter angetrieben wird.“

Die Beratungsfirma Deloitte warnte unterdessen in einer Szenario-Rechnung vor der höchsten Inflation der Nachkriegszeit. Reicht der Krieg dagegen bis weit in das Jahr 2023 hinein, erwarten die Studienautoren, dass die Wirtschaftsleistung 2022 nur um 0,6 Prozent vorankommt. Die Inflation aber würde zugleich bis auf 8,3 Prozent springen.

Philip Lane, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, betrachtet die hohen Inflationsraten als vorübergehendes Phänomen. Bei der aktuellen Lage handele es sich um einen Angebotsschock, sagte der Ire gegenüber der amerikanischen Zeitung „Politico“. „Und aus diesen Gründen würden wir immer noch behaupten, dass der größte Teil dieser Inflation abklingen wird.“ 

Rohstoffpreise vor Korrektur?

Ähnlich sieht dies Hans A. Bernecker, der – wie nur wenige – auf über 60 Jahre Erfahrung an den Finanzmärkten zurückblicken kann. Mehr als ein halbes Jahrhundert, in das die Ölkrisen der 70er-Jahre, die Zeiten der großen US-Inflation zwischen 1962 und 1985, die beiden Golfkriege, der Börsen-Crash 1987 und der 11. September 2001 fielen. „Alle Rohstoffe samt Öl und Gas haben ihre Spitzenpreise gesehen und durchweg eine deutliche Korrektur begonnen“, glaubt der Börsenaltmeister. 

Dies unterstützt das Szenario von Jens Ehrhardt, dem Vorstandsvorsitzenden des Vermögensverwalters DJE Kapital, der die Inflation wesentlich durch den Ölpreis bestimmt sieht. „Die USA mit ihren Möglichkeiten, die (allerdings umweltschädliche) Schieferöl- und Gasproduktion zu erhöhen, könnte hier einen Wendepunkt bringen“, so der Herausgeber des seit 1974 erscheinenden Börsenbriefs „Finanzwoche“.

Die USA hätten in den vergangenen zehn Jahren ihre Schieferölproduktion nahezu verdoppelt, verfügten aber noch über erhebliche freie Reserven. „Da die meisten OPEC-Länder (außer Saudi-Arabien) technisch so veraltete Anlagen haben, dass sie nicht die Produktionsziele erreichen können, könnten die USA durch Mehrproduktion den Ölpreis drücken und damit die Welt-Inflation auf ein Niveau senken, das destabilisierte Preiserwartungen verhindert“, prognostiziert Ehrhardt. 

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung rechnet in diesem Jahr mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent – angeheizt in erster Linie von der Teuerung von Energie.

Nur wie ein kleiner Trost erscheint vor diesem Hintergrund, dass die Inflationsrate im kommenden Jahr wieder auf 3,4 Prozent abflachen soll. Doch diese Prognose hält nur, wenn weiterhin günstiges Öl und Gas aus Russland fließen. Versiegt der Energiestrom, rechnet der Sachverständigenrat mit einer Preissteigerungsrate zwischen 7,5 und neun Prozent – flankiert von einer tiefen Rezession.

Bundesbürger sind bei Lebensmittelausgaben verwöhnt

Die stark gestiegenen Verbraucherpreise werden für immer mehr Menschen zur Belastung. Etwa jeder siebte Erwachsene in Deutschland kann laut einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Postbank kaum noch seine Lebenshaltungskosten bestreiten. Von den Befragten aus Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 2.500 Euro gab fast ein Viertel (23,6 Prozent) an, wegen gestiegener Preise kaum noch in der Lage zu sein, die regelmäßigen Ausgaben zu stemmen.

Die Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sucht bereits einen Weg, die Konsumenten von den erheblich gestiegenen Kosten für Güter des täglichen Bedarfs zu entlasten. 

Gleichwohl fragen sich manche Ökonomen, ob Steuergelder ausgerechnet hierzulande zum Ausgleich für steigende Lebensmittelpreise herangezogen werden sollten. Im Jahr 2019, also vor Ausbruch der Corona-Pandemie, lag der Anteil an den privaten Konsumausgaben, die für Nahrungsmittel und Getränke aufgewendet wurden, laut Statista bei 10,8 Prozent.

Das war deutlich weniger als in anderen europäischen Flächenstaaten, etwa Italien (14,2), Frankreich (13,1) und Spanien (12,5 Prozent). Selbst der EU-Durchschnittswert von 12,1 Prozent lag noch 130 Basispunkte höher als in Deutschland. Darüber hinaus ist der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am Gesamtkonsum in der langfristigen Betrachtung stark rückläufig. 

Ein neues Rentenproblem zeichnet sich ab

Eine wirkliche Gefahr entsteht indes an anderer Stelle: Je länger die Inflation hoch bleibt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Zweitrundeneffekten.

Auch eine immer wahrscheinlichere Lohn-Preis-Spirale könnte den Bund teuer zu stehen kommen. Denn angesichts der aktuellen Teuerungsraten müssen Arbeitnehmer ihren Chefs künftig schon allein dafür kräftige Erhöhungen ihres Salärs abtrotzen, um real das Gleiche zu verdienen wie bisher.

Die Wirtschaftsweisen erwarten für das laufende Jahr – selbst ohne eine Verschärfung der Ukraine-Krise – einen Anstieg der Effektivlöhne um 2,5 Prozent. Wegen der Laufzeiten der Tarifverträge entfaltet sich die Dynamik erst 2023 mit einem Plus von 4,4 Prozent.

Doch das ist nur eine Seite der Medaille, denn schnell steigende Löhne führen zu höheren Renten. Schon heute überweist der Bund jährlich mehr als 100 Milliarden Euro an die gesetzliche Rentenversicherung. 2026 werden es – noch ohne Folgen des Ukraine-Krieges – mehr als 125 Milliarden Euro oder 30 Prozent der Ausgaben des Bundes sein. Ein neues Rentenproblem scheint programmiert.



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