Staatliche „Vollkaskoversicherung“ mit Risiken
Die Inflation ist mit knapp acht Prozent so hoch wie seit fast 50 Jahren nicht mehr, viele Produkte in den Supermärkten werden zunehmend teurer. Und ein Ende scheint nicht in Sicht. Mit ihrem 15 Milliarden Euro schweren „Entlastungspaket II“ will die Ampelkoalition die Bundesbürger von den Folgen der Krisen abschirmen.
Seit Anfang Juni gilt eine dreimonatige Senkung der Energiesteuer beim Tanken sowie das Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Einmalige Bonuszahlungen für Eltern und Sozialleistungsempfänger und eine Energiepreispauschale für alle Einkommensteuerpflichtigen runden das Paket ab.
Berlin will nicht nur Geringverdienern unter die Arme greifen. Insbesondere die Mitte der Gesellschaft brauche noch weitere Entlastungen, so SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hält weitere Hilfen für nötig: „Und wenn es so weitergeht, dann kann ich Ihnen sagen: Nach dem Entlastungspaket ist vor dem Entlastungspaket.“
Sozialminister Hubertus Heil wiederum winkt angesichts der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise ab 1. Januar kommenden Jahres mit einem sozialen Klimageld bei einem monatlichen Bruttoeinkommen unter 4.000 Euro. „Wir müssen eine Antwort geben, über das jetzige Entlastungspaket hinaus“, lautet das Credo des SPD-Politikers.
139 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr
Mit derlei steuerfinanziertem Aktionismus erweckt die Ampel den Eindruck einer Vollkasko-Republik, in der der Staat seine Bürger von den unangenehmen Begleiterscheinungen der von Bundeskanzler Scholz propagierten „Zeitenwende“ verschonen kann.
Ökonomisch betrachtet ist das Gießkannen-Prinzip, wie es beim Tankrabatt angewendet wurde, jedoch der falsche Ansatz. Da die Milliarden aus Steuern finanziert werden, lässt die paternalistische Ampel-Politik den Bundeshaushalt explodieren. Der Schein der großzügigen Fürsorge trügt, denn auch eine höhere Kreditaufnahme durch den Staat belastet die Bürger – nur eben in der Zukunft: Wer sich heute an der Zapfsäule über einen stattlichen Rabatt freut – den die Mineralölkonzerne inzwischen fast vollständig kassiert haben – muss ihn morgen über erhöhte Steuern zurückzahlen.
Dessen ungeachtet hat Bundesfinanzminister Christian Lindner in der Debatte zum Etat für das laufende Jahr die Rückkehr zu soliden Haushalten und das Ende immer neuer Schulden versprochen. 2023 soll die Schuldenbremse wieder eingehalten werden, hofft der FDP-Politiker. „Die Rückkehr zur Schuldenbremse bedeutet, Druck von den Preisen zu nehmen, indem wir nicht immer mehr umverteilen und immer mehr Subventionen erfinden.“
Für dieses Jahr sieht sein Haushalt 139 Milliarden Euro neue Schulden vor. Zu den bereits von der schwarz-roten Vorgängerregierung geplanten knapp 99,7 Milliarden Euro hatte Lindner wegen des Kriegs in der Ukraine und der Entlastungspakete für die Bürger einen Ergänzungshaushalt von fast 40 Milliarden Euro vorgelegt.
Wenig zielgerichtet ist das zweite Entlastungspaket auch, weil es die falschen Anreize setzt. Beispiel Tankrabatt: Statt den Energieverbrauch effizient zu senken, hilft er vor allem denjenigen, die am meisten Energie verbrauchen. Zudem wird der Abschlag ausnahmslos jedem gewährt, unabhängig von der Bedürftigkeit.
Gleiches gilt für das Konzept des Neun-Euro-Tickets: Statt in die nachhaltige Verbesserung des maroden Schienenverkehrs zu investieren, bezuschusst die Regierungskoalition diese kurzfristige Aktion mit rund 2,5 Milliarden Euro. Würde nicht der Steuerzahler einspringen, könnte sie sich dieses Angebot niemals leisten. Die Züge bleiben daher weiterhin überfüllt, verspätet oder fallen aus.
Thema Mindestlohn: Bundesregierung hält sich nicht an Absprachen
„Aus ökonomischer Sicht kann diese Politik nicht überzeugen“, moniert DZ-Bank-Chefvolkswirt Michael Holstein. „Es sollte darum gehen, die unvermeidbaren Belastungen effizient und möglichst gerecht zu verteilen. Stattdessen wird der Eindruck vermittelt, der Staat könne durch großzügige Umverteilungsaktionen alles auf die eigenen Bücher nehmen.“ Die „Gießkanne“ sei ungerecht und ineffizient“, resümiert der Ökonom.
Ähnlich sieht es der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest: „Die Entlastungen sind fiskalisch teuer und nicht gezielt genug“, sagte der Professor für Volkswirtschaftslehre dem „Handelsblatt“. Es werde mit der Gießkanne viel Geld verteilt, aber bald werde die Debatte darüber losgehen, dass die Kosten der Krise durch eine Sondersteuer – zum Beispiel einen neuen Solidaritätszuschlag – wieder eingesammelt werden müssten. Der unter Rot-Grün verschlankte Sozialstaat mutiert unter dem Kabinett Scholz zum Vollkasko-Versorger.
Dazu passt, dass die Ampelkoalition den Mindestlohn zum 1. Oktober um 22 Prozent auf zwölf Euro erhöhen wird. Rund acht Millionen Beschäftigte profitieren von der Anhebung, weil sie bislang einen niedrigeren Stundenlohn haben. Während die Gewerkschaften jubeln, behalten sich die Arbeitgeber eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor.
„Der Punkt ist: Die Bundesregierung hält sich nicht an die Absprachen, die wir 2015 vereinbart haben, als mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Mindestlohnkommission gegründet wurde“, wetterte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gegenüber der „Welt“.
Der Gesetzgeber habe ausdrücklich festgelegt, dass allein die Tarifparteien über die weitere Entwicklung der Lohnuntergrenze entscheiden sollten. Dulger hält es für wahrscheinlich, dass der Mindestlohn auch Gegenstand des nächsten Bundeswahlkampfs wird. Ökonomisch führe ein Staatslohn jedoch in die Sackgasse.
Gesetzliche Mindestlöhne in den EU-Mitgliedstaaten
Auch europaweit ist der Mindestlohn ein Thema. Die Unterhändler von europäischem Rat, Kommission und Parlament verständigten sich am 7. Juni in einer Nachtsitzung auf eine neue Richtlinie.
Künftig soll es EU-weite Standards geben, um Mindestlöhne in der Union zu bestimmen, zu überprüfen und regelmäßig anzupassen. Zudem sieht das Gesetzesvorhaben vor, dass die EU-Länder Aktionspläne festlegen müssen, um die Tarifbindung zu steigern, wenn deren Quote unter 80 Prozent liegt. Hierzulande liegt die Tarifbindungsquote, die besagt, wie viele Arbeitnehmer von Tarifverträgen profitieren, erheblich unter dieser Marke. Deutschland lag laut Statistischem Bundesamt 2019 bei 44 Prozent.
Die EU-Standards umfassen Kriterien für die Festlegung, wie etwa Kaufkraft, Lebenshaltungskosten, Lohnniveau und auch die Produktivität. Nach Angaben der EU-Länder sollen die gesetzlichen Mindestlöhne künftig mindestens alle zwei Jahre aktualisiert werden. In Ländern mit automatischer Indexierung gilt eine Frist von vier Jahren.
Nicht durchsetzen konnte das Parlament, die Höhe von Mindestlöhnen anhand von Durchschnittswerten automatisch festzulegen. Es gibt jedoch eine unmissverständliche Empfehlung an die EU-Staaten, wonach Mindestlöhne fair und gerecht seien, wenn sie 60 Prozent des Median-Einkommens und 50 Prozent des Durchschnittseinkommens eines Landes abbildeten.
Nur in Luxemburg wird mehr gezahlt als in Deutschland
24 Millionen EU-Bürger würden von der Mindestlohn-Richtlinie profitieren, sagte die Europaabgeordnete Agnes Jongerius von den niederländischen Sozialdemokraten. Derweil variiert die Lohnuntergrenze zwischen den einzelnen Staaten stark: In Luxemburg liegt sie laut Eurostat mit rund 2.200 Euro im Monat am höchsten, in Bulgarien mit 332 Euro am niedrigsten. Deutschland hat mit zwölf Euro einen der höchsten Mindestlöhne in der Europäischen Union.
Nur 21 der 27 EU-Staaten haben einen gesetzlichen Mindestlohn. In den restlichen sechs Ländern (Italien, Österreich, Schweden, Finnland, Dänemark, Zypern) werden die Arbeitsentgelte ausschließlich zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt. Insbesondere die skandinavischen Länder wollen sich von der EU nicht in ihre Arbeitsmarktmodelle reinreden lassen.
Die Arbeitgeber laufen bereits Sturm. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte die Bundesregierung auf, den Kompromiss abzulehnen, europäische Kriterien zur Angemessenheit von nationalen Mindestlöhnen würden die Lohnfestsetzung weiter gefährlich politisieren. „EU-Richtlinien sind der falsche Ort für Lohnfragen und Tarifpolitik“, rügte Dulger.
Schweden hat bereits angekündigt, im EU-Rat gegen die Mindestlohn-Richtlinie zu stimmen. BDA-Chef Dulger verlangt dies auch von der Bundesregierung: „Die Mütter und Väter der europäischen Verträge haben zu Recht festgelegt, dass die EU keinerlei Kompetenzen im Bereich des Arbeitsentgelts hat.“
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