Gelber Bakterienbrei aus Sonne und Wasser soll weltweites Nahrungsmittelproblem lösen
„Igitt“, mögen manche jetzt denken, doch zur Not frisst der Teufel Fliegen. Eine finnische Firma hat einen Essensbrei aus Bakterien erfunden, die lediglich Sonne und Wasser zum Wachsen benötigen. Mit bis zu 20.000 mal mehr Ertrag pro Fläche als konventionelle Landwirtschaft könnte der Bakterienbrei das Ende der Landwirtschaft einläuten – und das weltweite Nahrungsmittelproblem lösen.
Im Rahmen der Dreharbeiten zu seinem Film „Apocalypse Cow“ durfte der britische Kolumnist George Monbiot exklusiv vor Ort drehen und als erster Mensch außerhalb des Forscherkollegiums kosten. Sein Fazit: „Schmeckt … einfach wie ein Pfannkuchen.“ Im Guardian berichtet er, wie der gelbe Bakterienbrei das Welt-Hunger-Problem lösen könnte.
Ein kleiner Pfannkuchen für einen Mensch aber ein großer Sprung für die Menschheit
Solar Foods hat so wenig mit Landwirtschaft zu tun, wie Kühe fliegen können und doch steht in dem Labor am Stadtrand von Helsinki vielleicht die Zukunft der Agrarwirtschaft: die Nahrungsmittelproduktion aus Sonne und Wasser.
Durch ein Bullauge sah Monbiot „in einem Metalltank […] einen gelben Schaum aufwirbeln.“ Diese „Ursuppe“ von Bakterien wird im Labor vermehrt und bildet die Grundlage für „Solein“, ein gelbes, veganes Mehl, das aus dem getrockneten Schaum entsteht. Monbiot durfte exklusiv kosten und bat um einen Pfannkuchen. Die Forscher mischten das Mehl mit Hafermilch, brieten und servierten vor Ort.
Dabei kann das bislang nicht zum verkauf zugelassene Produkt viel mehr, so die Forscher. Im jetzigen Zustand könnte Solein-Pulver Füllstoffe in gängigen Lebensmitteln ersetzen oder – wenn die Bakterien entsprechend modifiziert werden – spezifische Proteine für Milch, Fleisch oder Eier produzieren. Auch Laurinsäure (Palmöl) oder langkettige Omega-3-Fettsäuren wie im Fisch wären denkbar. Zudem können Kohlenhydrate, die nach der Extraktion von Proteinen oder Fetten übrig bleiben, alles vom Nudelmehl bis zu Kartoffelchips ersetzen.
Die dem Prozess zu Grunde liegende Funktionsweise funktioniert ähnlich wie die Photosynthese, ist jedoch um das Zehnfache effizienter. Da bei einer Pflanze meist nur ein Teil verspeist werden kann, steigt die Effizienz um ein Vielfaches.
Monbiot: „Essen ist ein moralisches Minenfeld“
Monbiot schreibt, dass Essen heute ein „moralisches Minenfeld“ ist und erklärt es wie folgt: „Fast alles – von Rindfleisch bis zu Avocados, von Käse bis zu Schokolade, von Mandeln bis zu Tortilla-Chips, von Lachs bis zu Erdnussbutter – verursacht unerträgliche Umweltkosten“
Diese Umweltkosten ließen sich durch Solein drastisch senken. Solar Food gibt an, dass die Flächeneffizienz bei der Solein-Produktion bis zu 20.000 Mal größer ist als bei konventioneller Landwirtschaft – bei gleichzeitig geringeren CO2-Fußabdruck. Nutzt man die frei gewordene Fläche zur Aufforstung, bindet jedes Kilogramm Solein etwa 3,4 Kilogramm CO2. Momentan verursacht jedes Kilogramm Fleisch 45 kg CO2.
Sogenannnte „Farmfreie Lebensmittel“ sind die Vorraussetzung, „große Land- und Meeresflächen an die Natur zurückzugeben […]. Es bedeutet ein Ende der Ausbeutung von Tieren, der Entwaldung, eine massive Reduktion von Pestiziden und Düngemitteln [und] das Ende der Trawler und Langleinenfischer“, so Monbiot.
RethinkX, ein internationaler Thinktank, schreibt auf seiner Webseite, dass „moderne Lebensmittel halb so teuer wie tierische Produkte, nahrhafter, schmackhafter, bequemer und vielfältiger sein werden.“ Monbiot ergänzt:
Da farmfreie Lebensmittel aus einfachen Zutaten – im besten Fall Sonne und Wasser – aufgebaut und nicht aus komplexen zerlegt werden, können Allergene, Hartfette und andere ungesunde Bestandteile aussortiert werden.“Fleisch wird immer noch Fleisch sein, obwohl es in Fabriken auf Kollagengerüsten und nicht im Körper von Tieren angebaut wird. Stärke wird immer noch Stärke sein, Fette werden immer noch Fette sein. Aber die Nahrung wird wahrscheinlich besser, billiger und viel weniger schädlich für den lebenden Planeten sein.“
Überall verfügbar: In der Wüste wie auf dem Mars
Neben der deutlich kleineren Anbaufläche bietet der finnische Bakterienbrei einen weiteren entscheidenden Vorteil: Sonnenlicht ist nahezu überall verfügbar und so eignen sich nicht nur die fruchtbaren Böden in gemäßigten Breiten, sondern auch Wüsten oder der Mars. So untersuchten die Finnen mit der Europäischen Raumfahrtagentur ESA die möglichen Nahrungsmittelproduktionen außerhalb des Planeten, etwa bei Mars Missionen, und kamen zu dem Schluss: „Es ist prinzipiell machbar.“ Solar Foods hofft, die Zusammenarbeit auch 2020 fortzusetzen.
Egal ob auf der Erde oder im Weltall, eine derartige Vereinfachung der Nahrungsmittelproduktion birgt auch Gefahren. Namentlich sind das Arbeitslosigkeit und Monopolbildung. Monbiot sieht diesbezüglich die Regierungen in der Pflicht, nicht Abermillionen in eine kollabierende Wirtschaft zu stecken, sondern Bauern zu unterstützen, die plötzlich ihre Lebensgrundlage verlieren.
Auf der anderen Seite seien klare Regelungen nötig, um die Monopolbildung zu verhindern. Eine Umstellung auf nachhaltige, farmfreie Lebensmittel funktioniere nur, wenn jedes Land „eine möglichst breite Verteilung der Eigentumsrechte“ gewährleisten kann. Wie Verbraucher auf das Bakterienmehl reagieren, wird sich aber erst nach dem geplanten Marktstart im Jahr 2021 zeigen.
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