Schmerz lindern: Wie Achtsamkeit unser Gehirn neu verdrahtet

Meditation und Achtsamkeit beruhigen nicht nur den Geist. Sie verdrahten unser Gehirn neu und können sogar seine Reaktion auf Schmerzen verändern.
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Selbst bei Personen, die erst kurz Achtsamkeitsübungen machen, zeigt sich eine verringerte Schmerzwahrnehmung.Foto: Ridofranz/iStock
Von 1. Februar 2025

Schmerz ist universell, aber wir alle erleben ihn auf unterschiedliche Weise. Die wissenschaftliche Gemeinschaft wurde sich dieses Phänomens im Jahr 1980 stärker bewusst. Damals erschien eine Pilotstudie zu diesem Thema in der Fachzeitschrift „Science“. 

Im Rahmen der Studie bewerteten nepalesische Träger, die es gewohnt waren, schwere Lasten die Hänge des Himalajas hinaufzutragen, wie schmerzhaft sie einen elektrischen Schlag empfanden. Danach verglichen die Forscher ihre Antworten mit denen von westlichen Teilnehmern auf derselben Wanderung. Das Ergebnis: Die Träger empfanden den Schmerz als weit weniger intensiv als ihre westlichen Kameraden.

Jedoch zeigten beide Gruppen die gleiche neurologische Reaktion auf den Schmerzreiz – der Unterschied lag schlichtweg in der Wahrnehmung des Schmerzes.

Die Autoren der Studie führten die unterschiedliche Schmerzempfindlichkeit auf einen „kulturell bedingten Stoizismus“ zurück und nannten die buddhistischen spirituellen Übungen der Träger als wichtigen Einflussfaktor.

Achtsamkeit – ein zentraler Bestandteil der buddhistischen spirituellen Tradition der nepalesischen Lastenträger – ist „das Bewusstsein, das entsteht, wenn man gezielt, im gegenwärtigen Moment und ohne zu urteilen auf die sich von Augenblick zu Augenblick entfaltende Erfahrung achtet“.

In den vergangenen Jahrzehnten stieg das wissenschaftliche Interesse an Achtsamkeit. Das gibt Forschern Einblicke, wie die Achtsamkeitspraxis die Schmerzreaktion des Gehirns verändert.

Das Selbst von Schmerz befreien

Eine Studie aus dem Jahr 2022, die in der Fachzeitschrift Pain erschien, kam zu einem übereinstimmenden Ergebnis. Demnach sollten zwei Teilnehmergruppen die Schmerzintensität eines Hitzereizes vor und nach dem Hören einer geführten Achtsamkeitsmeditation oder eines neutralen Hörbuchs bewerten. Die Teilnehmer der Achtsamkeitsgruppe berichteten über eine deutlich geringere Schmerzintensität.

Eine Magnetresonanztomografie des Gehirns belegte, warum das so war: Die Achtsamkeitsgruppe zeigte eine verminderte Konnektivität zwischen den Zentren für Schmerzverarbeitung und den Teilen des Gehirns, die an der Bildung und Aufrechterhaltung des Selbst beteiligt sind.

Laut den Autoren entfaltet die Achtsamkeitsmeditation ihre schmerzlindernde Wirkung partiell dadurch, dass sie die neuronale Verbindung zwischen unserem Selbstempfinden und eingehenden schmerzhaften Reizen „entkoppelt“. Mit anderen Worten: Achtsamkeitsmeditation funktioniert, indem sie unsere Schmerzerfahrung von dem, was wir für unser Selbst halten, trennt.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen zu nah an einem Feuer und gehen ein paar Schritte zurück. Sie werden die Hitze immer noch spüren, aber nicht mehr so intensiv. Achtsamkeit kann unser Gehirn darauf trainieren, Abstand zwischen sich und den Schmerz zu bringen.

Achtsamkeitstrainer: Meditation hilft, den Schmerz loszulassen

Achtsamkeitsmeditation helfe uns dabei, unser permanentes Selbsterleben von den vergänglichen Phänomenen zu unterscheiden, an denen wir möglicherweise festhalten. Das erklärte Bhante Saranapala gegenüber Epoch Times. Er ist ein renommierter Achtsamkeitstrainer, Redner und Autor.

„Durch Meditation werden wir darauf vorbereitet, das loszulassen, woran wir festhalten“, sagte er. „Seinen Schmerz loszulassen, ist der Prozess, der einem Erleichterung verschafft.“

Der „Pain“-Studie zufolge ist das „Loslassen“ nicht nur eine Wunschvorstellung. Es ist auf neuronaler Ebene kodiert und führt zu dauerhaften physiologischen Veränderungen im Gehirn. Je mehr man übt, desto ausgeprägter werden diese.

Das zeigten auch frühere Untersuchungen: Je mehr Erfahrung eine Person mit Achtsamkeitsübungen hat, desto weniger Verbindungen hat sie zwischen den Teilen für Schmerzverarbeitung und Selbstwahrnehmung im Gehirn.

Achtsamkeit verdrahtet das Gehirn neu

Seit der Studie mit nepalesischen Trägern wurde die Technik für Gehirnscans immer präziser. Das half den Forschern, besser zu verstehen, wie Achtsamkeit in Echtzeit funktioniert. Auch ermöglichte es Personen, die Achtsamkeitsübungen machen, Einblicke in das, was beim Üben geschieht.

Das half zu verstehen, dass die Schmerzresistenz der nepalesischen Träger ein Geisteszustand ist. Dieser hat, wenn kultiviert, das Potenzial, unser Gehirn neu zu vernetzen und uns mehr und mehr von unseren Schmerzen zu befreien.

„Der Schmerz selbst ist nicht von Dauer und entzieht sich meiner Kontrolle“, sagte Saranapala. „Was sich meiner Kontrolle entzieht, kann nicht ich sein. Was nicht ich ist, das muss ich loslassen.“

Selbst kurze Achtsamkeitsübungen senken Schmerzempfinden

Laut Elisha Goldstein ist Achtsamkeit eine Fähigkeit, die erlernt werden kann. Goldstein ist klinischer Psychologe, Autor und Gründer eines globalen, auf Achtsamkeit basierenden therapeutischen Coaching-Programms. „Wie bei allem anderen auch, wenn man etwas bewusst übt und wiederholt, kann sich das Gehirn es merken“, sagte er gegenüber Epoch Times.

Selbst eine kurze Meditationspraxis kann unsere Achtsamkeit nachhaltig beeinflussen. So erhöhen bereits drei bis vier 20-minütige Achtsamkeitsübungen diese um durchschnittlich 13 Prozent. Das führt dazu, dass sich die Schmerzwahrnehmung anhaltend verringert und die neuronalen Netzwerke sich neu verdrahten.

Tipps, um Achtsamkeit zu üben

Eines der Kernbestandteile der Achtsamkeit ist die Konzentration auf den Atem – etwas, das Saranapala als „die Kunst des Atmens“ bezeichnet.

„Ich ermutige die Menschen immer, wie ein Delfin zu atmen“, erklärt er. „Wenn der Delfin mit einer schwierigen Situation konfrontiert ist, kommt er an die Oberfläche, atmet tief durch und entspannt sich anschließend. Mit dieser Entspannung kehrt er dann in die schwierige Situation zurück und hilft anderen.“

Die Konzentration auf die Atmung sei es, die uns in etwas Unvergänglichem verankere, sagt er. „Durch achtsames Atmen merkt man, dass der Körper stabil wird und der Geist ruhig und gelassen. Diese Ruhe, diese Stabilität, diese Gelassenheit und Entspannung von Körper und Geist sind es, die Heilung mit sich bringen.“

Psychologe Elisha Goldstein empfiehlt, eine Achtsamkeitspraxis mit erreichbaren Zielen zu beginnen. „Wenn mir jemand sagt, dass er zehn Minuten pro Tag schafft, sage ich ihm, er solle mit fünf Minuten anfangen. Der entscheidende Punkt ist hier wirklich die Beständigkeit. Wir möchten sicherstellen, dass es machbar ist, damit wir es tatsächlich die ganze Woche über machen“, erläuterte er.

Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, bestehe darin, Achtsamkeit mit einer anderen Aufgabe zu verbinden. „Manchmal, wenn ich meine Kinder irgendwo hingebracht habe, halte ich für ein paar Minuten im Auto an und praktiziere tatsächlich gleich dort vor Ort. Oder ich nehme mir oft etwas Zeit für eine Achtsamkeitsübung, bevor ich mich an meinen Computer setze.“

Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.

Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „How Mindfulness Disconnects Our Sense of Self From Our Feelings of Pain“. (redaktionelle Bearbeitung ee)



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