Was hinter Habecks positiver Klimabilanz wirklich steckt
Nach Einschätzung von Bundesklimaschutzminister Robert Habeck ist das deutsche Klimaschutzziel bis zum Ende dieses Jahrzehnts zu schaffen. „Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030.“ Das erklärte der Grünen-Politiker in einer am Freitag, 15. März, in Berlin veröffentlichten Mitteilung mit Bezug auf neue Daten des Umweltbundesamts. Bis 2030 soll laut Klimaschutzgesetz der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken.
Der Vizekanzler ging auf das Argument ein, dass die Anstrengungen zum Klimaschutz mit der „Erzählung des Niedergangs des Landes“ einhergingen. „Heute zeigen wir, dass das falsch ist, dass Klimaschutz gelingen kann.“ Nach Habecks Ansicht ein Resultat der „politischen Anstrengungen“, die sich gelohnt hätten.
Nach Stand von letztem Jahr hätte Deutschland seine Klimaziele bis 2030 verfehlt. Doch der neue Projektionsbericht des Umweltbundesamts prognostiziert eine Minderung um 65 Prozent. Das Ziel wird damit laut Ministerium greifbar.
Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamts, sprach von einer starken Perspektive. Dennoch betonte er: „Jetzt müssen wir weiter hart arbeiten.“ Auch Umweltverbände warnten vor unangebrachtem Optimismus und davor, sich zurückzulehnen. Die Daten lieferten keinen „Freibrief für die Bundesregierung in Sachen Klimaschutz“, betonte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland.
„Klimaschutzlücke“ in Projektion geschlossen
Die eigentliche Verbesserung gibt es aber beim jährlich erwarteten Ausstoß an Treibhausgasen bis zum Jahr 2030. Auch dafür gibt es Zielwerte im Bundesklimaschutzgesetz. Hier kam es laut den bisherigen Berechnungen zu einer Überschreitung von insgesamt 1.100 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten – eine einheitliche Größe, um verschiedene Treibhausgase vergleichbar zu machen.
Aktuell erwartet das Umweltbundesamt, dass Deutschland bis 2030 insgesamt 47 Millionen Tonnen CO₂ weniger verbraucht als gesetzlich vorgesehen. „Es war zu Beginn dieser Regierungszeit mehr als unklar, ob wir es schaffen, auf Zielkurs zu kommen“, erklärte Habeck. „Und jetzt können wir die Lücke schließen, wenn wir weiter intensiv daran arbeiten, die notwendigen Maßnahmen umzusetzen.“
Warum die neue Berechnung besser ausfällt
Das Klimaschutzministerium begründet den optimistischeren Ausblick mit Fortschritten beim Klimaschutz und dem Ausbau der sogenannten erneuerbaren Energien. Messner sagte, durch die Maßnahmen zum Ausbau der Erneuerbaren werde es immer wahrscheinlicher, dass Deutschland sein Ziel schaffen werde, 2030 insgesamt 80 Prozent des Stromverbrauchs etwa aus Wind und Sonne abzudecken. Zudem werde Kohle wieder stärker durch das weniger klimaschädliche Erdgas ersetzt.
Allerdings beruhen die Berechnungen auf teils überholten Annahmen. Es wurden nur Daten bis zum Oktober berücksichtigt, wie Messner sagte. Die später von der Ampelkoalition unter Spardruck vereinbarten Kürzungen beim Geldtopf des Klima- und Transformationsfonds (KTF) sind damit noch nicht berücksichtigt.
Darauf wies auch der Obmann der CDU/CSU im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, Thomas Gebhart (CDU), hin. Er nannte die Projektionsdaten „unrealistisch“. Habeck sagte zu den Kürzungen im KTF, diese beträfen in erster Linie andere Bereiche wie Bahn und Bau.
Zum Teil beruhen die Berechnungen aber auch auf – zumindest für den Klimaschutz – ungünstigeren Annahmen über die Zukunft. So gingen die Experten für das laufende Jahr noch von einem Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent aus. Inzwischen geht die Bundesregierung nur noch von 0,2 Prozent aus. Im vergangenen Jahr sank die Wirtschaftsleistung des Landes um 0,3 Prozent.
Weniger CO₂ durch „Zerstörung der Wirtschaft“
Um die Ursachen für den Rückgang der CO₂-Emissionen herauszufinden, fragte die Epoch Times Prof. Fritz Vahrenholt, den Politiker, promovierten Chemiker und mehrfachen Buchautor, zu Energiethemen. Er sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem geringeren Treibhausgasausstoß und der laufenden „Deindustrialisierung“ Deutschlands. Somit sei auch der Strombedarf und die Nachfrage nach CO₂-Zertifikaten zurückgegangen.
Auf der einen Seite gebe es die gute Nachricht des CO₂-Rückgangs. Dieser fiel von 762 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 2021 auf 673 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr zurück, wie die Daten von der Denkfabrik Agora zeigen. Die schlechte Nachricht ist laut Vahrenholt jedoch:
Dies wurde erkauft durch eine teilweise Zerstörung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“
Im Jahr 2021 stieg der Börsenstrompreis stark an, die Strompreise vervierfachten sich, erklärte Vahrenholt, der auch über Jahre führend in der Energiewirtschaft tätig war. „Das war noch deutlich vor Russlands Einmarsch in die Ukraine. Und dieser Anstieg ist maßgeblich von den steigenden CO₂-Zertifikatspreisen geprägt.“ Konkret seien die „massiv gestiegenen CO₂-Kosten und die Stilllegung von sechs Kernkraftwerken“ die Ursache.
Die Strompreisexplosion hatte Folgen. Vahrenholt nannte hierzu Produktionsstilllegungen in der Aluminium- und Stahlindustrie, der Glas- und der Papierindustrie. Ebenfalls gab es Produktionsverlagerungen in der chemischen Industrie. Die Produktion in der energieintensiven Industrie ging um 20 Prozent zurück. Viele Industriebetriebe in Deutschland entscheiden sich derzeit aufgrund hoher Produktionskosten dazu, ihre Standorte zu schließen und ins Ausland zu gehen. Die Zahl der Abwanderungen von Unternehmen aus Deutschland ist so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Weniger Industrieproduktion erzeugt logischerweise weniger Emissionen.
Erholt sich die Wirtschaft?
Derzeit sinken die CO₂-Kosten allerdings und damit die Strompreise. Vahrenholt erklärte die „fatale“ Ursache: „Die Nachfrage nach Strom sinkt aufgrund des Rückgangs des Stromverbrauchs der energieintensiven Industrie. Damit sinkt auch die Nachfrage nach CO₂-Zertifikaten: Der Strompreis gibt nach.“
Tatsächlich fahren 2024 einige Produzenten ihre Produktion aufgrund der gesunkenen Strompreise wieder hoch, schilderte Vahrenholt. Dadurch könnte die Nachfrage nach Strom und CO₂-Zertifikaten wieder steigen, was wiederum erneut die Preise erhöhe. „Was Deutschland benötigt, um wettbewerbsfähige Strompreise zu erreichen, ist eine Erhöhung des [Strom-]Angebots.“ Dazu sei eine Reaktivierung der letzten Kernkraftwerke sowie eine durchgreifende Senkung der CO₂-Kosten nötig.
Windkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg jedenfalls gehören nicht zum Lösungsangebot“, sagte Vahrenholt.
„Denn diese benötigen dort eine Einspeisevergütung von 10 bis 11 Cent/kWh.“ Auf diesem Strompreisniveau sei das Aus der Industrie vorprogrammiert. Insbesondere dann, wenn die massiv steigenden Systemkosten der Erneuerbaren durch Leitungsbau und Backup-Kosten einbezogen werden.
Habeck: Gute Klimabilanz 2023 kein Grund zum Stolz
Habeck gesteht ein, dass die gute Klimabilanz des Vorjahres der schwächelnden Wirtschaft geschuldet ist. „Wir haben im Vorjahr durch die hohen Energiepreise und die Energiekrise nicht ausreichendes Wachstum gehabt. Deswegen ist das nichts, worauf man wirklich stolz sein kann.“ Gerade in der Energiewirtschaft entstanden deutlich weniger Treibhausgase als in den Vorjahren.
Das Umweltbundesamt führt den CO₂-Rückgang auf eine geringere Nutzung fossiler Brennstoffe wie Braun- und Steinkohle sowie Erdgas zurück. Auch höhere Verbraucherpreise und ein milder Winter spielten eine Rolle.
Umweltbundesamt-Chef Messner sagte: „Wir haben 2023 insgesamt eine Reduzierung von 10,1 Prozent der Treibhausgasemissionen erreicht.“ Die noch vorläufigen Werte werden im nächsten Schritt vom Sachverständigenrat für Klimafragen geprüft. Endgültige Zahlen zu 2023 wird es erst im kommenden Jahr geben.
Allerdings hinkten die Bereiche Verkehr und Bau trotz Fortschritten weiter hinterher. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge mahnte hier „dringend weitere Klimaschutzmaßnahmen“ an. Die Klima-Allianz Deutschland warf Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) „Verweigerungspolitik“ vor. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) wies darauf hin, dass die Daten für 2023 noch vorläufig sind, aber auch zeigten, dass die Richtung stimme und die Energiewende im Gebäudesektor „deutlich an Fahrt aufgenommen“ habe.
Die Freude über den deutlichen Emissionsrückgang und wirkende Klimamaßnahmen bleibe schnell im Halse stecken, befand hingegen Viviane Raddatz vom WWF Deutschland. „Denn der Blick auf die Ursachen offenbart: Hier schlagen sich politische und wirtschaftliche Krisen nieder, statt Wille zur Transformation und strukturelle Klimaschutzmaßnahmen in allen Sektoren.“
(Mit Material von dpa)
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