Mittelstand: 26 Prozent wollen Geschäft aufgeben

Die Krisenstimmung hat den Mittelstand erreicht. Etwa ein Viertel der Unternehmen denkt ans Aufhören, 22 Prozent erwägen die Abwanderung. Für stabil halten Deutschland nur noch 36 Prozent.
Ein Mitarbeiter bedient in der Produktionshalle eine Maschine zur Verarbeitung von Metall.
Ein Mitarbeiter bedient in der Produktionshalle eine Maschine zur Verarbeitung von Metall.Foto: Monika Skolimowska/zb/dpa
Von 17. Juli 2023

Erst am Freitag, 14.7., hatte Kanzler Olaf Scholz in der Bundespressekonferenz seine Bundesregierung für deren Politik gerühmt, die Innovation und Fortschritt fördere. In der deutschen Wirtschaft scheint diese Botschaft jedoch nicht überall angekommen zu sein. Vor allem der Mittelstand sieht Deutschland in einer tiefen Krise, und viele Unternehmen denken mittlerweile daran, Konsequenzen zu ziehen.

Wie „n-tv“ berichtet, denken 26 Prozent der deutschen Mittelständler über eine Aufgabe ihres Geschäfts nach. Außerdem erwägen 22 Prozent eine Abwanderung ins Ausland. Dies ist das Ergebnis der aktuellen Branchenumfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft. Dessen Vorsitzender Markus Jerger erklärt, die Ergebnisse der Umfrage seien „mehr als nur ein Warnsignal“.

Nicht nur Energiekosten: Mittelstand leidet unter Bürokratie und Fachkräftemangel

Als Gründe gaben die Befragten unter anderem Bürokratie und überzogene Vorschriften an, die etwa ein Drittel als massive Einschränkungen wahrnimmt. Etwa ein Viertel gibt den Fachkräftemangel als Faktor an, der die eigene Geschäftstätigkeit massiv einschränkt.

Erst vor wenigen Wochen hatte die Bundesregierung das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz aus dem Jahr 2020 reformiert. Das bisherige hatte nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Für viele potenzielle Fachkräfte aus dem Ausland ist es immer noch zu bürokratisch. Die Folge ist, dass einige ihren Wunsch, nach Deutschland zu kommen, aufgeben oder sich für andere Zielländer entscheiden.

Das Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (KOFA) spricht von derzeit 1,3 Millionen offenen Stellen für qualifizierte Fachkräfte in Deutschland. Das entspreche einer Steigerung um 30,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Einer der Hauptgründe sei die zunehmende Überalterung der Gesellschaft. Geburtenstarke Jahrgänge erreichen das Rentenalter, gleichzeitig fehlt es an Nachwuchs.

Verbandschef Jerger: „Das darf keinen kaltlassen“

Im deutschen Mittelstand sieht man jedoch auch noch eine Reihe anderer Probleme. Und diese zeigen sich gerade in jenen Bereichen, auf die man in den Unternehmen am meisten Wert legt. Dies seien Verlässlichkeit und Planbarkeit.

Gerade diese scheinen in Deutschland jedoch rapide im Schwinden begriffen zu sein. So sehen mit 40 Prozent deutlich weniger als die Hälfte der Befragten die Infrastruktur im Land als positiv. Politische Stabilität als positiven Standortfaktor erkennen gar nur noch 36 Prozent.

Verbandschef Jerger warnt: Wenn heimatverbundene, tief verwurzelte Unternehmer über das Aufgeben oder den Wegzug ins Ausland nachdächten, könne das „niemanden kaltlassen“.

Oettinger: Deutschland ist zum „Absteigerland“ geworden

Bundeskanzler Scholz hatte hingegen am vergangenen Freitag seine Ampelkoalition auf einem politischen Erfolgskurs gesehen. Man komme bei der Energiewende voran, baue außerdem die Versorgungsnetze aus und investiere in Hoffnungsträger wie grünen Stahl und grünen Strom. Zudem sei man dabei, das eigene Land zum Standort für die Halbleiterindustrie zu machen. Ein Ausdruck davon sei nicht zuletzt die – von fast zehn Milliarden Euro an Subventionen begleitete – Ansiedlung des US-Konzerns Intel in Magdeburg.

Demgegenüber hatte erst vor wenigen Wochen der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger Deutschland auf einem Presseforum als „Absteigerland“ bezeichnet. Es sei „im Sinkflug unterwegs“, ein „kranker Fall, ein Sanierungsfall“ und stehe vor einem realen Wohlstandsverlust.

Innovationsfähigkeit und Reformbereitschaft seien beispielsweise im internationalen Vergleich unterentwickelt. Die Debatte in Berlin trage den bestehenden Herausforderungen nicht Rechnung. Stagnation und Larmoyanz bestimmten die politische Lage. Hohe Energiekosten und Lohnnebenkosten sorgten dafür, dass Deutschland als Standort dem Wettbewerb mit China und den USA nicht gewachsen sei. Abwanderung sei die Folge.

Kritik aus dem Mittelstand von führenden Ökonomen bestätigt

Drastische Produktionseinbrüche hatte zuletzt unter anderem der Maschinenbau zu verzeichnen. Auch Hersteller von Wärmepumpen hatten jüngst – wie Bosch – ihre Produktion ins Ausland verlagert. Andere wie die entsprechende Sparte von Viessmann waren in ausländisches Eigentum übergegangen.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer schätzte zuletzt den zusätzlichen Fachkräftebedarf in Deutschland auf jährlich 1,5 Millionen Menschen. Damit bestätigte sie indirekt auch die nunmehr anklingende Kritik aus dem Mittelstand.

Star-Ökonom Daniel Stelter warnte jüngst seinerseits vor einer sich abzeichnenden Entwicklung Deutschlands zum „Armenhaus Europas“. Das Land falle bei Investitionen zurück, Energiekosten und Inflation wirkten lähmend – und die Politik denke, sie könne tiefe strukturelle Mängel durch Subventionen überspielen.

(Mit Material von dpa)



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