Händler sehen „sehr erschreckende“ Entwicklungen für Europas Energieversorgung
Als „sehr, sehr erschreckend“ hat das Finanz-Fachportal „Bloomberg“ die Aussichten hinsichtlich der Energieversorgung im bevorstehenden Winter in Europa beurteilt. Was die Analysten dort in besonderem Maße beunruhigt, sind die Inhalte einer Telefonkonferenz, in der Stromhändler in Großbritannien einmal pro Woche Fragen an Manager des Electricity National Control Centre (ENCC), der dortigen nationalen Netzagentur, richten können.
Üblicherweise dominieren individuelle Detailfragen die Debatte. Doch mittlerweile sprechen die Fachleute immer mehr über Strategien und Verhaltensmaßregeln im Zusammenhang mit Notfällen oder Engpässen. Dabei zeichnet sich ab, dass die Fragenden dies nicht für eine Frage des Ob, sondern nur des Wann und Wie lange halten. Es werden Fragen gestellt wie jene, wie die Kommunikation erfolge und welches Stressereignis Vorrang habe, „wenn sowohl im Gas- als auch im Strombereich ein Systemstress-Ereignis auftritt.“
Britische Energieversorgung bleibt unpräzise
Das ENCC stößt ins gleiche Horn wie die Regierungsinstitutionen in der Downing Street. Diese wird nicht müde zu betonen, dass Haushalte, Unternehmen und die Industrie sich darauf verlassen könnten, dass sie „über den Winter mit dem nötigen Strom und Gas versorgt werden“. Immerhin habe Großbritannien „eines der zuverlässigsten und vielfältigsten Energiesysteme der Welt“.
Auch zumindest eine Energiepreisobergrenze für die Haushalte werde es geben – auf 3.549 Pfund Sterling pro Jahr (etwa 4.106 Euro). Zuletzt stieg der Referenzwert von 1.277 Pfund im vergangenen Winter auf 1.971 in den vergangenen sechs Monaten.
Passen müssen die Netzbetreiber demgegenüber schon, sobald es um Fragen wie jene geht, wie stark der Verbrauch zurückgehen würde, wenn die Preise über ein für die Haushalte verkraftbares Maß steigen würden. Auch bleibt offen, welche Veränderungen auf den Verbrauch in den entsprechenden Prognosen bereits eingepreist seien. Auf die Existenz eines stringenten Notfallplans deutet wenig hin.
Deutschland als Strom-Nettoexporteur
Neben Ausfällen und der Preisentwicklung ist es auch noch eine andere Sorge, die Großbritanniens Stromhändler umtreibt. Norwegen spielt bereits mit dem Gedanken, im Fall einer noch nachteiligeren Entwicklung die grenzüberschreitenden Stromflüsse abzuschalten. Weitere Länder könnten folgen – mit weiteren unkalkulierbaren Folgen für Versorgungslage und Preisniveau.
In Deutschland hat zuletzt unter anderem der Linken-Politiker Dietmar Bartsch ein Aussetzen deutscher Stromexporte ins Ausland gefordert. Im Besonderen meinte er damit Frankreich. Deutschland liefert derzeit Strom nach Frankreich, weil bedingt durch außerordentliche Wartungsarbeiten an 12 Betriebsstätten allein im vergangenen Halbjahr 35 Terawattstunden an Strom aus französischen Atomkraftwerken weniger erzeugt wurden als üblich.
Deutschland, das Nettoexporteur von Strom ist, liefert jährlich derzeit insgesamt fünf Terawattstunden nach Tschechien und in die Beneluxstaaten. Hinzu kommen weitere 8,3 TWh für Frankreich. Nach Österreich fließen weitere zehn Terawattstunden und drei in die Schweiz. Das Alpenland versorgt derzeit unter dem Eindruck der momentanen Engpässe in Frankreich Italien mit. Der Stromanbieter EDF hofft, noch im Herbst die Wartungsarbeiten abschließen zu können. Allerdings könnten, so der Konzern, auch längerfristige Ausfälle nicht ausgeschlossen werden.
Warum die Energieversorgung in Deutschland immer teurer wird
Deutschland will auf eigenen Atomstrom verzichten und ist seinerseits auf Importe angewiesen, um den Ausfall an grundlastfähigen Energieträgern infolge der „Energiewende“ kompensieren zu können. Das in Kombination mit den Exporten bedeuten, dass zusätzlich Gas verstromt werden muss, welches wiederum nicht für den Winter gespeichert werden kann.
Auf diese Weise trägt die grenzüberschreitende Energiezusammenarbeit zu einer Situation bei, in der auch unabhängig von Lieferausfällen aus Russland die Preise weiter steigen. Die EU-Sanktionen und der Verzicht auf die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verschärfen das Problem jedoch noch zusätzlich.
Derzeit wird ein Drittel des in Deutschland verfügbaren Gases verstromt, der restliche Strom kommt aus den hoch subventionierten erneuerbaren Energieträgern – und weiterhin aus Kohle. Deutschland will auch von der Erschließung neuer Energiequellen (Fracking) Abstand nehmen. Somit steigt nicht nur der Gaspreis, sondern auch jener für die elektrische Energieversorgung in schwindelerregende Höhen.
Dass einige Technologien günstiger Strom erzeugen, fällt auf dem Strommarkt insgesamt nicht ins Gewicht. Denn das sogenannte Merit-Order-System orientiert sich nicht an den Fixkosten einer Stromerzeugungstechnologie, sondern an den niedrigsten Grenzkosten. Also an den Kosten, die bei einem Kraftwerk für die letzte produzierte Megawattstunde anfallen. Das bewirkt, dass die Kilowattstunde Strom, die auf die teuerste Weise erzeugt wurde, den gleichen Marktpreis aufweist wie die aus der günstigsten Quelle. Am Ende kommt es auf die verfügbare Quantität an.
Hirth: Bis zu 30 Prozent des Energieverbrauchs ohne Komfortverlust einsparfähig
Bei „Bloomberg“ zieht man mehrere Schlüsse aus der Gesamtsituation. Erstens sei der drohende Stromnotstand schlimmer, als viele Führungskräfte der Branche, aber auch Politiker öffentlich zugeben würden. Zweitens seien nicht nur die Preise, sondern auch eine unsichere Versorgung ein immenses Problem. Drittens werde die Zeit für Vorbereitungen auf den Winter immer knapper.
Im Podcast von „The Pioneer“ macht auch der Energie-Ökonom Prof. Lion Hirth deutlich, dass es angebotsseitig kaum noch Optionen gibt, um möglichen Versorgungsengpässen gegenzusteuern. Investitionen in die Energieinfrastruktur und in weiterer Folge die Vergrößerung des Angebots bedürften einer entsprechenden Vorlaufzeit.
Entsprechend beschränken sich auch die Lösungsansätze, die Hirth mit Blick auf den bevorstehenden Winter präsentiert. Nämlich darauf, die Notwendigkeit von Einsparungen zu betonen und die Politik dazu aufzufordern, dies zu kommunizieren. Immerhin, davon ist der Energieexperte überzeugt, würde es auch „ohne merklichen Komfortverlust“ möglich sein, zehn, 20 oder sogar 30 Prozent des eigenen Energieverbrauches einzusparen.
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