„Greift uns nicht an“: Polizei-Appell vor Silvester – klare Botschaft oder Signal von Schwäche?
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet mit erneuten Ausschreitungen an Silvester und stellt sich auf massive Polizeieinsätze ein. „Dass in diesem Jahr an Silvester in vielen Orten massive Angriffe mit Böllern auf andere Feiernde, Polizisten und Rettungssanitäter drohen, kann niemanden überraschen“, sagte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke gegenüber der „Rheinischen Post“. „Spätestens seit den Gewaltexzessen im vergangenen Jahr in Berlin, aber auch in zahlreichen Orten im Ruhrgebiet und selbst im eigentlich friedlichen Bonn weiß jeder, dass in unserer Gesellschaft etwas auseinandergelaufen ist“, sagte er weiter. „Darauf müssen wir endlich reagieren.“
Masterplan gegen erneute Silvester-Exzesse
Die Vorab-Reaktion der Berliner Polizei hatte – in Erwartung erneuter Gewalt- und Böllerexzesse – erst einmal so ausgesehen: Sie hatte sich mit einer Mail an die Eltern der Berliner Schulen gewandt, in der sie nochmals dazu anmahnte, dass Eltern mit ihren Kindern sprechen sollen, um Gewalt an Silvester zu verhindern. Da heißt es unter anderem, man wolle unverletzt ins neue Jahr starten und dass man Toleranz und Respekt gegenüber den Einsatzkräften erwarte. Der Gebrauch von Gas oder Schreckschusswaffen sei verboten, oder man brauche einen Waffenschein dafür, den nur Erwachsene besitzen dürfen.
Jetzt hat die Berliner Polizei noch einmal nachgelegt und ein Video auf Twitter veröffentlicht, das wilde Szenen wie aus einem Endzeit-Movie zeigt, ein Zusammenschnitt der Neukölln Silvesternacht letzten Jahres: Lodernde Flammen, Sirenen, dazwischen unübersichtliche Gewaltentladungen inmitten von Qualm und Feuerwerkskörpern. Dann bitten Polizisten darum, doch „unsere Arbeit zu respektieren“, und eine junge Polizistin, die sich als Anna vorstellt, sagt mit weiblich-zarter Stimme in die Kamera: „Greift uns nicht an!“
„Wir sind dafür da, zu helfen und zu schützen“
Polizeisprecherin Anja Dierschke erklärt gegenüber „Bild“: „Ziel dieses Videos ist es, die zentralen gemeinsamen Botschaften der Berliner Feuerwehr und der Polizei Berlin über die Social-Media-Kanäle zu transportieren und möglichst viele Jugendliche und Heranwachsende zu erreichen.“ Es solle unter anderem verdeutlicht werden: „Wir sind dafür da, zu helfen und zu schützen – allen, an jedem Tag und zu jeder Zeit! Und vor allem auch: Wir sind Menschen!“
Die Resonanz auf Twitter zum Bitt-Clip der Polizei fällt kontrovers aus: Viele bedanken sich bei der Polizei, wünschen einfach nur gutes Gelingen und eine gewaltfreie Silvesternacht, andere Kommentatoren geben sich darüber hinaus irritiert, wie:
@shoutingcassy: „Ich wünsche euch ehrlich ne möglichst ereignislose Silvesternacht, aber solche Clips sind halt für den A….. ‚Bitte, bitte beschießt uns nicht mit Pyrotechnik.‘ Angemessen gewesen wäre: ‚Wenn ihr uns beschießt, dann gibt’s auf’s Maul!!! Und teuer wird’s später außerdem!’“
Sich etwas gewählter ausdrückend fragt @privat_pip nach: „Was soll denn das? Wen soll denn so ein Clip erreichen?? Ganz ehrlich mal: Das ist doch die komplett falsche Ansprache an das Problem-Klientel. – Bitte weniger Fühlis und mehr konsequent Rechtsstaat behaupten. Ich drück Ihnen für die kommenden Tage die Daumen!“
Auch @Buurmann äußert sich irritiert: „Ist das Euer ernst? Ihr richtet Euch mit einem Appell der Bitte an potentielle Gewalttäter? Das signalisiert Schwäche und ist genau das, was die potentiellen Gewalttäter verabscheuen. Dieses Video kann eine eskalierende Wirkung entfalten.“
Lob von Politik: Nichts unversucht lassen
Die Politik hingegen, hier das Beispiel CDU-Innenexperte Christopher Förster (37), der u. a. für Berlin-Gropiusstadt im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, befindet gegenüber „Bild“: „Es ist ein gutes Video mit klarer Botschaft. Zugleich ist es ein ungewöhnlicher Weg, den unsere Sicherheitskräfte mit diesem Video wählen. Ich bin ein Freund davon, dass man nichts unversucht lässt und diesen Weg scheint man hier zu gehen. Was am Ende viel wichtiger sein wird, ist, dass es ein schnelles und im Zweifel auch hartes Durchgreifen gegen jeden Angreifer an Silvester gibt.“
Die Berliner Polizei präpariert sich derweil nicht nur mit Bitt-Clips in den Sozialen Medien, sondern auch von der praktischen Vorbereitung: Es werden vier Staatsanwälte im Einsatz sein statt normalerweise zwei, die in der Silvesternacht Dienst haben. Auch die Rufbereitschaft wird aufgestockt auf drei Personen von ursprünglich einer Person.
Außerdem werden 2.800 Polizisten zusätzlich zu denen, die ohnehin schon regulär Streife fahren, im Einsatz sein, um dafür zu sorgen, dass das Böllerverbot eingehalten wird, in den drei Zonen in Berlin zum Beispiel. Nach dem letzten Jahr ist die neue Zone in Neukölln dazugekommen, zwischen Hermannplatz und Sonnenallee, also genau da, wo der Brennpunkt im vergangenen Jahr war und bei Gewalt- und Böllerexzessen Polizisten und Rettungskräfte massiv angegriffen wurden.
Ob die Bitte des Feuerwehrmanns im X-Clip erhört wird, der in die Kamera sprechend bekräftigt: „Beschießt uns nicht mit Böllern, Raketen oder Schreckschusswaffen!“? Oder wie wird wohl die im Video mit ernstem Beamtengesicht vorgetragene Aufforderung „Folgt unseren Anweisungen“ aufgenommen und wird sie in diesem Jahr befolgt werden?
Hier das Twitter/X-Video der Berliner Polizei.
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