„Die Gesellschaft hat so viel Vertrauen verloren“ – Fehler der Corona-Politik

Einseitige Diskussionen, fehlgeschlagene Berechnungsmodelle und unverhältnismäßige Maßnahmen. Es gibt etliche Ansätze, die Corona-Politik aufzuarbeiten, um gemachte Fehler in Zukunft zu vermeiden. Im Interview mit dem Epidemiologen Dr. Friedrich Pürner.
Epidemiologe Dr. Friedrich Pürner über die Corona-Politik
Dr. Friedrich Pürner, Facharzt und Epidemiologe.Foto: privat
Von 1. März 2023

Nach Einschätzung des Epidemiologen Dr. Friedrich Pürner gibt es vieles, was wir aus der Corona-Krise lernen können. Im Interview mit Epoch Times sprach der Arzt über selbst ernannte Experten, unverhältnismäßige Maßnahmen und eine rote Linie, die immer wieder seitens der Politik und durch sogenannte „Hilfssheriffs“ überschritten wurde. Dr. Pürner wagt es auch eine neue These aufzustellen: Waren die Masken und Impfungen, die eigentlich schützen sollten, möglicherweise eher Beschleuniger und Treiber der Pandemie?

In der Anfangszeit der Corona-Krise kamen vor allem Virologen zu Wort: Drosten, Kekulé, manchmal Streeck als Gegenpol. Zu diesem Zeitpunkt war Karl Lauterbach zwar noch kein Gesundheitsminister, aber in Talkshows ein begehrter Gast. Viele kritisierten, dass die Expertise sehr einseitig war. Wie haben Sie die Diskussion damals wahrgenommen?

Ebenfalls sehr einseitig. Der Mainstream hatte seine eigenen Experten. Wenn jemand mit einer anderen Meinung in den Talkshows zu Wort kam, wurde diese meistens nach dem Konzept vier gegen eins dargestellt. Wer eine andere Meinung äußerte, erntete harte Kritik und wurde von anderen Diskussionsteilnehmern und dem Moderator niedergemacht.

Welche Fachbereiche hätten aus Ihrer Sicht auf jeden Fall zur Sprache kommen müssen?

Es mangelte vor allem an Experten, die einen Überblick über die Maßnahmen hatten – beispielsweise praktizierende Ärzte, die direkt an der Basis arbeiteten. Von denen hat man aber immer nur die eingeladen, die für die Maßnahmen und für die Impfung geworben haben.

Es fehlte auch an Epidemiologen, also Stimmen aus meinem Fachbereich – also praktisch arbeitende Epidemiologen und nicht welche, die nur einfach in der grauen Theorie irgendwelche Modelle zelebrieren, sondern die Basis kennen. Auch Gesundheitsamtsleiter fehlten in der Diskussion. Grundsätzlich fehlten kritische und abweichende Meinungen, die nicht einfach nur der Politik nachplappern.

Zudem kamen Experten aus den sozialen Bereichen, die die Nachteile der Maßnahmen hätten benennen können, viel zu kurz in der Debatte. Selbst einige Kinderärzte, die schon ganz früh auf die negativen Auswirkungen der Maßnahmen hingewiesen haben, fanden kein Gehör.

Insgesamt gab es nur ein paar auserlesene Experten, hauptsächlich Virologen. Der Rest war gar nicht aus dem medizinischen Fachbereich. Das waren Mathematiker, Physiker, Verkehrsplaner – also die sogenannten Modellierer.

Den Modellierern kam mit den verschiedenen Szenarien überhaupt eine große Rolle in der Corona-Politik zu. Wie viel Beachtung sollte man solchen Berechnungen schenken?

Die Modellierungen sind nur Theorien, mit denen man einen Blick in die Zukunft wagt. Doch Modelle sollten schon besser sein als der Blick in eine Glaskugel. Gegenüber der Bevölkerung wurde es jedoch so dargestellt, als wäre das Modell die Realität, die eintreffen wird.

Modelle müssen immer wieder hinterfragt und geprüft werden, ob sie so eingetroffen sind. Das hat man nie gemacht, sondern es kam direkt das nächste Modell. Das Problem der Modellierer war, dass mit unsauberen Daten gearbeitet wurde. Jeder Modellierer hätte bessere Daten fordern sollen.

Ich hatte immer den Eindruck, je schrecklicher das Modell war und je steiler die Kurve, umso öfter wurden bestimmte Modellierer in Talkshows eingeladen. Die haben sich nach meiner Wahrnehmung geradezu übertroffen mit der Steilheit der Kurven, aber dabei vergessen zu erklären, dass es nur hypothetische Modelle waren, die nicht unbedingt eintreten müssen.

Letztendlich hat uns die Lebensrealität gezeigt, dass keines dieser einstigen Horrorszenarien jemals eingetroffen ist. Spätestens nach dem zweiten, dritten Modell, das uns so brutal vor Augen geführt worden ist, hätte ich erwartet, dass man sagt: „Diese Modelle treten doch gar nicht ein. Was ist denn hier los?“

Das Leben ist tatsächlich viel zu komplex, als dass man alles in ein Modell fassen kann – gerade in der Infektiologie und bei der Übertragung von Erkrankungen. Mit einem Modell kann man bestimmte Dinge in Wahrscheinlichkeiten einordnen, aber man darf sich auf keinen Fall fix darauf verlassen, so wie es die Politiker getan haben. Dass dann auch noch aus den fehlerhaften Modellen Maßnahmen abgeleitet worden sind, war völliger Nonsens.

Eine wichtige Maßnahme war die Maskenpflicht. In Corona-Verordnungen hatten die Landesregierungen grundsätzlich eine mögliche Befreiung von der Maskenpflicht eingeräumt. Später wurden Maskenatteste aber gar nicht anerkannt. Bei den Demonstrationen gab es teilweise dramatische Szenen, weil Menschen keine Masken aufsetzten. Ärzte, die solche Atteste ausgestellt haben, wurden und werden strafrechtlich verfolgt. Wie konnte es so weit kommen?

Möglicherweise wollte der Staat hier seine Macht demonstrieren. Anders kann ich mir das nicht erklären. Als Arzt weiß ich natürlich, dass es Menschen gibt, die aus gesundheitlichen Gründen eben keine Maske aufsetzen können.

Plötzlich wurde jedoch den Leuten mit Maskenattest unterstellt, dass sie grundlos keine Masken tragen wollen. Den Ärzten hat man viel zu leichtfertig unterstellt, dass sie Gefälligkeitsatteste ausgestellt haben. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass dies teilweise der Fall war. In jeder Branche gibt es schwarze Schafe. Aber die Politik hat alle – sowohl Ärzte als auch Leute aus der Bevölkerung – unter einen Generalverdacht gestellt. Das ist für mich eine Art Perversität. Hier trat eine Beweislastumkehr ein.

Auch Lehrer und Schulleiter haben Maskenatteste angezweifelt. Wie kann es sein, dass sich ein Lehrer über den Arzt stellt? Es fehlt ihm jegliche fachliche Kompetenz! Solches Mitläufertum darf es nie wieder geben.

Hier wurden nicht nur seitens der Politik, sondern auch von Schulleitern und Lehrern ganz klare Grenzen überschritten. Das ist ungefähr so, als wenn ein Arzt ein Kind vom Sportunterricht freistellt und der Lehrer fordert das Kind trotzdem auf mitzumachen. Das geht gar nicht. Diese Pädagogen haben ihren Beruf voll verfehlt.

Am 16. August 2021 hat die STIKO für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren eine allgemeine COVID-Impfempfehlung abgegeben, die auch auf die „assoziierten psychosozialen Folgeerscheinungen“ abzielte. Dabei sprach sich die STIKO „explizit dagegen aus, dass der Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht wird“. Was jedoch folgte, war – ähnlich wie bei den Maskenattesten – eine Stigmatisierung ungeimpfter Kinder, von der vielerorts berichtet wurde.

Diese Aussage der STIKO wurde im Wesentlichen gar nicht diskutiert. Den genauen Wortlaut kannten die wenigsten. Letztendlich konnte die Stigmatisierung, die Ausgrenzung der Kinder und Jugendlichen nur gelingen, weil sich Politiker und einige Bürger moralisch überhöht verhielten. Manche haben sich selbst zu „Hilfssheriffs“ ernannt. Warum? Weil sie angestachelt wurden durch ganz freche Aussagen der Politik. Sie fühlten sich bestärkt in dem, was sie taten, und wiegten sich in dem sicheren Glauben, dass es für sie keine negativen Konsequenzen geben wird.

Durch Corona wurden innerhalb der Gesellschaft eigene Regeln entwickelt in dem unsinnigen Glauben, dass alles schon irgendwie richtig sei – Hauptsache, man macht nichts falsch. Ich habe in der Praxis miterlebt, dass viele ihre eigenen Regeln hatten, egal ob Fahrschulen, Sportlehrer oder Sportvereine. Jeder tat, was er für richtig hielt. Völlig unkontrolliert unterwarf man sich den Aussagen der Politik und stellte eigene Regeln auf. Wichtig war dabei nur, dass der Anschein blieb, dass man kein Kritiker sei. Darauf kam es an. Der eigentliche Sinn mancher Regelungen wurde gar nicht mehr hinterfragt.

Manche haben es einfach laufen lassen, da kam man ungeimpft rein, musste sich aber in eine Liste eintragen. Andere haben gesagt: „Du kannst mitmachen, aber nur mit Maske.“ Wieder andere wurden ausgeschlossen, weil sie nicht geimpft waren. Wenn man vor Corona gesagt hätte, dass nur noch bestimmte Jugendliche zur Fahrschule dürfen, wäre hier der Teufel los gewesen.

Es wurden aber nicht nur Kinder stigmatisiert. Im Sommer 2021 setzte die Politik überwiegend auf 2G-Regeln. Nur wer gegen COVID-19 geimpft oder als davon genesen galt, durfte beispielsweise bestimmte Veranstaltungen oder gastronomische Einrichtungen besuchen. Was war aus epidemiologischer Sicht vertretbar?

Nach meiner fachlichen Einschätzung als Epidemiologe hätten wir keine dieser Maßnahmen gebraucht, weil COVID für den Großteil der Bevölkerung überhaupt keine Rolle gespielt hat. Außerdem ist zu keinem Zeitpunkt wissenschaftlich nachgewiesen worden, dass die 2G-Regeln irgendeinen positiven Effekt auf das Infektionsgeschehen innerhalb einer ganzen Bevölkerung hatten. Die 2G-Regel war weder verhältnismäßig noch ein geeignetes Mittel.

Die einzige sinnvolle Maßnahme wäre gewesen, den Blick auf die vulnerablen Gruppen zu lenken, also die Älteren und Vorerkrankten – aber ohne großartig Druck aufzubauen, ohne sie auszugrenzen oder die Altenheime für Besucher zu sperren. Es wäre ausreichend gewesen, den Infektionsschutz zu beachten oder notfalls zu verbessern.

Als Fachmann weiß ich, dass in der Vergangenheit der Infektionsschutz vielerorts ziemlich vernachlässigt wurde. Vor Corona ist man in bestimmten Bereichen mit bestimmten Erkrankungen viel zu lax umgegangen. Dafür hat man es bei den Corona-Maßnahmen in der breiten Bevölkerung vollkommen übertrieben. Es fehlte einfach das Maß der Mitte.

Es muss kommuniziert werden, dass COVID in der Übertragung und Schwere der Erkrankung der Grippe ähnelt. Saisonbedingt spielt sie im Sommer keine große Rolle, dafür aber im Herbst und Winter. Konkret bedeutet das: Händehygiene und wer krank ist, bleibt zu Hause. Man kann auch Abstand halten – aber bitte ohne Zollstock und ohne Striche auf dem Fußboden wie irgendwo im Supermarkt. Es wäre schön, einfach den normalen Menschenverstand walten zu lassen.

Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, den kaum jemand im Blick hat: Wir wissen, dass die Masken für die allgemeine Bevölkerung – wir reden hier also nicht von der Anwendung in einem bestimmten Setting im Gesundheitswesen– keinen signifikanten Schutz bieten und die Impfung auch nicht vor Ansteckung und Übertragung schützt. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass genau diese Maßnahmen die Virenübertragung und das Infektionsgeschehen beschleunigt haben könnten.

Können Sie das näher erklären?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich viele Menschen hinter ihren Masken und mit der Impfung sichergefühlt haben. Wenn sie daraufhin nicht mehr so gut aufgepasst oder Hygieneregeln vernachlässigt haben, ist das einfach menschlich und auch irgendwie logisch. Durch dieses Verhalten konnte sich aber das Virus womöglich viel, viel schneller und stärker verbreiten. Man muss die These wagen: Waren die Masken und Impfungen, die eigentlich schützen sollten, möglicherweise eher Beschleuniger und Treiber der Pandemie?

Ich kenne selbst nicht wenige Leute, die krank waren, aber draußen herumliefen. Als ich sie dann fragte: „Warum bleibst du nicht daheim?“, haben sie geantwortet: „Ich muss eh die Maske tragen, da kann ja nichts passieren und außerdem bin ich geimpft.“ Und da liegt der brutale Widerspruch.

Sie haben gerade die Altenheime angesprochen. Bewohner und Personal wurden möglichst durchgeimpft, Corona-Tests und Besuchsverbote waren an der Tagesordnung. Jetzt sagen Sie, dass man nicht so harte Regeln gebraucht hätte. Wären Hygienevorschriften wirklich ausreichend gewesen?

Jede medizinische Einrichtung braucht einen sogenannten Hygieneplan, der dem Gesundheitsamt bei Begehung vorgelegt werden muss. Das ist vielen in der Bevölkerung nicht bekannt. Im Hygieneplan muss ganz konkret für diese Einrichtung geregelt sein, wie sie mit bestimmten Erkrankungen umgeht und welche Schutzmaßnahmen greifen. Wenn in einem Altersheim beispielsweise ein Norovirus auftritt, muss man andere Schutzmaßnahmen ergreifen als bei Influenza. Aus der Praxis kann ich Ihnen sagen, das war oft ein Trauerspiel, was wir teilweise in den Hygieneplänen innerhalb bestimmter Einrichtungen in der Vergangenheit vorgefunden haben.

In einem bestimmten Rahmen kann man natürlich sagen, dass man die alten Leute im Pflegeheim schützen will. Man hat aber vergessen, auch mal zu fragen, was die Menschen in den Heimen selbst wollen. Ich weiß von vielen Zuschriften, dass einige Pflegeheimbewohner diese Schutzmaßnahmen gar nicht wollten. Sie wollten ihre letzten Tage nicht eingesperrt und alleine verbringen.

Wir hätten einfach sagen sollen: „Wer krank ist, der besucht die Oma eben nicht.“ Das wäre schon vor Corona eine super Idee gewesen, wurde aber vernachlässigt. Natürlich können Altenheime selbst eine Corona-Schutzstrategie entwickeln und Tests können dabei eine Rolle spielen. Für mich ist es auch verständlich, dass man hier nicht einfach die Dinge laufenlässt und sich dann COVID ausbreitet, sodass einige daran sterben. Aber so wie es gemacht wurde, war es vollkommen überzogen.

In der gesamten Corona-Politik spielte das natürliche Immunsystem keine Rolle. Im Gegenteil, wer sich auf seine Immunität berufen hat, galt schnell als „Querdenker“. Die Regierung hat sogar den sogenannten Genesenenstatus festgelegt, der zuerst sechs und dann später drei Monate betrug.

Inzwischen gibt es eindeutige Belege dafür, dass die natürliche Immunität der Immunität der Impfung überlegen ist. Das hatten wir Kritiker immer wieder geäußert. Wir kennen das auch von anderen Erkrankungen. Das ist bekanntes Lehrbuchwissen. Wer sich einmal infiziert und die Erkrankung gut überstanden hat, hat einen sehr, sehr guten Schutz gegen einen schweren Verlauf bei einer erneuten Ansteckung.

Nach Ansicht der Politiker mussten sich diese Personen aber trotzdem noch einmal impfen lassen. Das ist einfach Unsinn. Wenn eine Erkrankung für einen Großteil der Bevölkerung keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt, dann sollten die Menschen doch selbst entscheiden können, ob sie eine Impfung brauchen und wollen.

Natürlich kann eine COVID-Erkrankung mit Husten und Fieber und grippeähnlichen Symptomen unangenehm sein, und ja, für wenige war sie auch tödlich. Aber die meisten hatten keinen schweren Verlauf.

Doch obwohl man wusste, dass Genesene einen weitaus besseren Schutz als Geimpfte haben, wurde die einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt und die Leute mussten sich impfen lassen, damit sie ihren Job nicht verlieren. Das war völlig barbarisch und unsinnig.

Letztlich war die einrichtungsbezogene Impfpflicht eine politische Entscheidung, bei der die meisten Abgeordneten dafür gestimmt haben. Bereits Ende Februar 2022 hieß es vom RKI: „Die Impfung bietet grundsätzlich einen guten Schutz vor schwerer Erkrankung und Hospitalisierung durch COVID-19, dies gilt auch für die Omikronvariante.“ Hätte man die einrichtungsbezogene Impfpflicht schon viel früher aufheben müssen?

Man hätte die Impfpflicht erst gar nicht einführen dürfen. Dieser Schritt wird in der Diskussion schon wieder vergessen. Aber ja, der 31. Dezember 2022 war definitiv viel zu spät. Ich weiß ja nicht, wer von wem und wie beraten wird. Aber auf alle Fälle hätten Experten – wenn sie denn wirklich Experten sind – spätestens im Februar 2022 die Impfpflicht aussetzen müssen, und zwar mit sofortiger Wirkung. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits öffentlich darüber berichtet, dass sich auch geimpfte Menschen mit dem Coronavirus infizieren und damit auch andere anstecken können. Doch die zuständigen Behörden haben es einfach weiter laufen lassen. Das zeigt sehr schön, wie wichtig es wäre, ein unabhängiges Institut zu haben. RKI und STIKO sind nicht unabhängig, hätten hier aber dennoch intervenieren müssen.

Das Aussetzen der Impfpflicht wurde genauso wie das Aussetzen der Maskenpflicht im ÖPNV oder im Fernverkehr unnötig hinausgezögert. Natürlich kann man ein Gesetz nicht einfach ändern, aber man kann es aussetzen – und zwar relativ schnell. In dem Moment, wo man Kenntnis hat, dass diese Maßnahme nicht geeignet und nicht verhältnismäßig ist, muss diese Maßnahme sofort ausgesetzt werden.

Noch immer heißt es auf der Website „Zusammen gegen Corona“ des Ministeriums: „Einen wirksamen Schutz im Kampf gegen die Pandemie bietet außerdem die Corona-Schutzimpfung. Lassen Sie sich impfen und schützen Sie so sich und Ihre Liebsten.“ Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Das Ganze ist ein Armutszeugnis und ein Beleg dafür, dass Politiker wie Lauterbach nicht mit Fehlern umgehen können und auch überhaupt keine Fehlerkultur besitzen. Da fehlt wirklich das Einsehen, dass man übers Ziel hinausgeschossen ist. Wenn Kritik geübt wird, werten sie dies als Beleidigung. Sie machen einfach weiter, bis sie endlich ihr Amt verlieren.

Es ist wirklich peinlich und das macht mich ganz betroffen, weil ich um die Glaubwürdigkeit der Institutionen fürchte. Was ich so schlimm an der ganzen Geschichte finde, ist, dass die Institutionen wie die STIKO, aber auch das Bundesgesundheitsministerium und die Gesundheitsämter so stark an Glaubwürdigkeit verloren haben. Das ist brandgefährlich für die ganze Gesellschaft.

Wie wollen wir denn in Zukunft Menschen überzeugen? Was ist, wenn eines Tages tatsächlich eine gefährliche Pandemie an unseren Türen klopft? Werden die Menschen uns dann glauben? Besitzen wir dann das Vertrauen der Bevölkerung? Ich habe da Zweifel. Die Menschen sind nun misstrauisch. Dieser Verlust an Vertrauen ist nicht so schnell wiederherzustellen.

Wir haben uns jeden Vorsprung bezüglich anderer Impfungen verspielt. Das ist für mich als Arzt und auch als Bürger ein Riesenproblem. Die Gesellschaft hat so viel Vertrauen verloren durch Menschen wie Karl Lauterbach.

Das hört sich jetzt alles sehr negativ an, gab es auch etwas Positives innerhalb der Corona-Politik?

Spontan fällt mir da nichts Positives ein, außer, dass man Erkenntnisse aus der ganzen Misere ableiten kann. Die Corona-Politik war grenzüberschreitend und ausgrenzend. Die Bürger konnten und mussten erkennen, wie schnell der Staat freiheitsbeschränkende Maßnahmen einführen kann, ohne dafür gute Gründe zu haben.

Bestes Beispiel Bayern: Dort wurden Ausgangsbeschränkungen eingeführt und später von den Gerichten für rechtswidrig erklärt. Eine Entschuldigung oder gar eine Konsequenz in Form eines Rücktrittes blieb bisher aus. Erstaunlich ist für mich, dass ein Großteil der Bürger dies klaglos hinnimmt.

Sie selbst haben Ihren Posten als Gesundheitsamtsleiter verloren, weil Sie Kritik an der Corona-Politik Bayerns geäußert haben. Bis heute warten Sie auf Ihre berufliche Rehabilitierung. Wie könnte denn eine Aufarbeitung der Corona-Politik aussehen?

Wir haben durch Corona wunderbar gesehen, wie Reflexe zuschnappen können, wie man eine Gesellschaft spalten kann, wie Politiker plötzlich zu Fachleuten werden, obwohl sie keine sind, und wie schnell man Menschen ausgrenzen kann. Das darf sich auf gar keinen Fall mehr wiederholen. Wer Fehler gemacht hat, muss diese eingestehen und die Konsequenzen tragen, indem er zum Beispiel sein Amt niederlegt.

Wahrscheinlich ist es das Schwierigste für diese Leute, „die Hosen runterzulassen“, wie wir in Bayern sagen. Momentan sehe ich, dass man sich die Maßnahmen eher schönredet und man die negativen Auswirkungen oder die Nutzlosigkeit bestimmter Maßnahmen nicht wahrhaben will. Jetzt hört man immer öfter den Spruch: „Wir konnten es 2020 oder 2021 nicht besser wissen.“

Das ist einfach falsch. Wenn ich es 2020 besser wissen konnte, dann konnten das hoffentlich andere Experten auch. Und wenn sie sich jetzt hinstellen und sagen: „Nein, das konnten wir nicht besser wissen“, dann möge man bitte – und das sage ich jetzt ganz frei heraus – mich und all die anderen Kritiker von damals, die es besser wussten, zu den beratenden Experten machen.

Aus meiner Sicht müssen wir jetzt alles umdrehen: Die Kritiker, die recht behielten, müssen in Positionen gesetzt werden, die ein waches Auge walten lassen, wenn zukünftig wieder eine Schadenslage oder Krise eintritt, damit sie Gehör finden. Dabei denke ich beispielsweise an den Münchner Professor Dr. Christoph Lütge, der aus dem Bayerischen Ethikrat geflogen ist.

Das alles muss aufgearbeitet werden. Es geht hier nicht um persönliche Rache oder persönliche Befindlichkeitsstörungen, sondern man muss erkennen können, warum welche Fehler gemacht worden sind und diese Fehler dürfen sich auf gar keinen Fall mehr wiederholen.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Susanne Ausic.

Dr. Friedrich Pürner ist Facharzt und Epidemiologe. Nach Kritik an den Corona-Maßnahmen wurde er seines Postens als Leiter des Gesundheitsamts im bayerischen Aichach-Friedberg enthoben. In seinem Buch „Diagnose: Pan(ik)demie – Das kranke Gesundheitssystem“ gibt der Experte mit langjähriger Berufserfahrung einen umfassenden Einblick in die Zeit, in der ein Virus das Leben der Menschen auf den Kopf stellt.

208 Seiten
Softcover
ISBN: 978-3-7844-3602-9
18,00 EUR* D / 18,50 EUR* A / 24,50 CHF* (UVP)

 



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